Essen aus Büchern: Weihnachtsholzscheit aus Anne Webers „Annette, ein Heldinnenepos“

In Annette, ein Heldinnenepos erzählt Weber die außergewöhnliche Lebensgeschichte von  Anne Beaumanoir, einer französischen Neurologin und Aktivistin. In jungen Jahren war sie bei der Résistance aktiv und verhalf jüdischen Menschen zur Flucht, später schloss sie sich dem Kampf um die Befreiung Algeriens an. Rücksicht auf sich selbst und ihre Familie nahm sie dabei kaum und kam mehrfach mit den Gesetzen in Konflikt. Schließlich wurde sie zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt, bei der ihr aber aufgrund einer Schwangerschaft erleichterte Bedingungen zugestanden wurden. Diese nutzte sie letzlich zur Flucht.

Immerhin ein Weihnachtsfest aber verbrachte sie in Haft und mit dem Versuch, es ihr und ihren Mitinsassinnen ein bisschen nett zu machen:

„Die Politischen dürfen gemeinsam abendessen. Aus ihrem heimischen Ofen, worin Elise ihn gebraten hat, zaubert Annette den herkömmlichen Truthahn mit Maronenfüllung und irgendwoher auch den „Weihnachtsholzscheit“, was eine astrunde, ungemein fette Torte ist.“

Das Essen ist nicht der erhoffte Erfolg. Mitinsassin Djamila, inoffizielle Führerin der algerischen Insassinnen, ist zwar zunächst zufrieden mit dem Truthahn aus der Halal-Schlachterei, moniert dann aber Sauce und Ofen. Beides genügt muslimischen Anforderungen nicht, stellt sie fest, und in der stillen Nacht liegt Annette wach und grämt sich, dass sie in einem muslimisch geprägten Umfeld unbedingt ein christliches Fest feiern wollte.

Der Kuchen aber, die „ungemein fette Torte“ findet Gnade in Djamilas strengen Augen. Und wer am Ende der Adventszeit noch nicht genug hat von Zucker und Fett, kann sich in diesem Jahr auch daran versuchen:

Weihnachtsholzscheit

Teig:

  • 6 Eier
  • 100 g Zucker + etwas mehr zum Rollen
  • 1 Prise Salz
  • 100 g Mehl

Creme:

  • 200 g weiche Butter
  • 150 g Zucker
  • 100 g Zartbitterschokolade
  • 2 TL Kakaopulver
  • 4 Eigelb
  • 1 Ei

Den Ofen auf 180°C Umluft vorheizen. Ein Backblech mit Backpapier auslegen.

Die 6 Eier trennen. Die Eiweiße mit dem Salz zu einem festen Schaum schlagen. Dann 30 g des Zuckers unterrühren.

Die Eigelbe mit den übrigen 70 g schaumig schlagen.

Das Eiweiß zum Eigelb geben, das Mehl darüber sieben und vorsichtig unterheben, bis die Masse gleichmäßig ist.

Den Teig gleichmäßig auf dem Backblech verteilen und glattstreichen. 12 Minuten bei 180°C backen.

In der Zwischenzeit ein sauberes Geschirrtuch leicht anfeuchten. Ausbreiten und etwas Zucker darauf verstreuen. Sobald die Teigplatte fertig ist, diese auf das Handtuch stürzen. Das Backpapier abziehen und den Teig mit Hilfe des Handtuchs von den langen Seiten aus zu einer möglichst festen Rolle formen. In dieser Form auskühlen lassen.

Anschließend die Creme herstellen. Dazu erst die weiche Butter mit dem Zucker schaumig rühren. Im Wasserbad die Schokolade schmelzen und sie anschließend zusammen mit dem Kakao unter die Buttermasse rühren. Dann die Eigelbe nach und nach unterrühren und ganz zum Schluss das ganze Ei. Die Creme 20 Minuten kalt stellen.

Die Biskuit-Platte wieder vorsichtig ausbreiten und die Hälfte der Creme darauf verteilen. Dabei an den langen Seiten 2 cm Rand freilassen. Wieder zusammenrollen und am Rand etwas andrücken. Die restliche Creme darauf streichen und die ganze Rolle gleichmäßig damit bedecken. Mit einer Gabel ein Muster in die Creme ziehen, das an Baumrinde erinnert. Einige Stunden kaltstellen, bis die Creme ganz fest ist.

In Scheiben geschnitten ist der Holzscheit eine wirklich leckere Sache – aber Annette übertreibt sicher nicht, wenn sie sagt, es sei eine „ungemein fette“ Angelegenheit.


Anne Weber: Annette, ein Heldinnenepos. Matthes & Seitz 2020.

Das Zitat stammt von S. 134.

Mehr Essen aus Büchern gibt es schiefgegessen.

Essen aus Büchern: Kasutera aus Kamila Shamsies „Burnt Shadows“

Hiroko Tanakas Leben in Kamila Shamsies Roman Burnt Shadows verläuft in geregelten Bahnen. Behütet aufgewachsen ist sie kurz davor, das Elternhaus zu verlassen um die Ehe einzugehen. Doch am Tag ihrer Verlobung fällt die Bombe auf ihre Heimatstadt Nagasaki. Von heute auf morgen steht Hiroko vor dem Nichts, wird hinausgeschleudert in die Welt, eine neue Liebe, ein neues Leben. Sie verlässt Japan, lebt in Delhi, Karachi und New York. Es war immer ihr Traum, Nagasaki zu verlassen und die Welt zu sehen, doch mit dem Trauma des Verlusts hat sie schwer zu kämpfen. In einem seltenen emotionalen Ausbruch versucht sie ihrer Freundin Elizabeth zu erklären, was ihr am meisten fehlt:

„I always planned on leaving Nagasaki, you know. I was never sentimental about it. But until you see the place you’ve known your whole life reduced to ash you don’t realise how much we crave familiarity. […] I want to hear Japanese, I want tea that tastes the way tea should taste in my understanding of tea. I want to look like the people around me.“

Ihre Familie, ihr Verlobter oder auch nur materieller Besitz spielen in dieser Liste ihrer Verluste und Sehnsüchte keine Rolle, sondern die kleinen Dinge, die man kaum wahrnimmt, solange sie eben da sind:

„I want to feel my body move with the motion of being on a street-car. I want to live between hills and sea. I want to eat kasutera.“

Kasutera ist ein an Biskuit erinnernder Kuchen, der in Japan und ganz besonders in Nagasaki bekannt ist und in seiner Urform im 16. Jahrhundert von Portugiesen importiert wurde, damals noch als „Bolo de Castela“, kastilianischer Kuchen. Durch den hohen Zuckergehalt war der Kuchen geeignet als Seefahrerproviant und taugte in Japan aufgrund der enormen Zuckerpreise auch zum Luxusgut. Inzwischen hat sich der japanischen Kasutera natürlich auf eigene Art weiterentwickelt, geblieben ist aber der hohe Zuckeranteil und der sehr saftige Teig, der den Kuchen über lange Zeit halt- und genießbar macht.

Für alle, die das auch mal ausprobieren wollen, kommt hier das Rezept:

Kasutera

  • 6 Eier
  • 200 g Zucker
  • 3 EL Honig
  • 3 EL heißes Wassser
  • 150 g Mehl
  • 1 EL Rohrohrzucker

Einen Backrahmen auf 20 x 20 cm einstellen und auf ein mit Backpapier ausgelegtes Blech stellen. Den Rohrohrzucker auf dem Backpapier verstreuen.

Die Eier gründlich verrühren, dann unter Rühren den Zucker einrieseln lassen. Eine hitzebeständige Schüssel in ein Wasserbad stellen und das Ei langsam erhitzen, dabei ständig rühren. Sobald das Ei warm wird, aus dem Wasserbad nehmen und mit dem Rührgerät 8 Minuten kräftig aufschlagen, bis die Masse weiß wird.

Den Ofen auf 170°C (Ober-/Unterhitze) vorheizen.

Den Honig mit dem heißen Wasser zu einer gleichmäßigen Masse verrühren. Etwas runterkühlen lassen und dann zwei Minuten lang unter das Ei schlagen, bis die Masse glänzend wird.

Das Mehl über die Eier-Honig Masse sieben und dann sorgfältig unterheben. Die Schüssel ein paar Mal auf die Arbeitsfläche schlagen, damit evtl. Luftblasen aus der Masse entweichen.

Den Teig in die vorbereitete Form füllen. Mit einem Löffel ein paar Mal durch den Teig gehen, um neue Luftblasen zu verhindern.

Bei 170°C 15 Minuten lang backen, dann die Temperatur auf 160°C reduzieren und weitere 60 Minuten backen. Mit einem Holzstäbchen prüfen, ob der Teig durch ist. Er sollte aber in der Mitte immer noch recht feucht sein, sonst wird die Konsistenz am Ende zu trocken.

Während der Kuchen im Ofen ist, zwei Bahnen Frischhaltefolie überkreuzt auf einem Brett oder Tablett auslegen. Die Bahnen sollten so groß sein, dass der Kuchen komplett darin eingewickelt werden kann.

Den Kuchen nach Ablauf der Backzeit aus dem Ofen holen, und auf die vorbereitete Frischhaltefolie stürzen. Backrahmen und Backpapier vorsichtig entfernen. Den Kuchen in die Folie einwickeln, evtl. mit einer weiteren Lage verstärken. Auskühlen lassen. Den erkalteten Kuchen mind. 24 Stunden im Kühlschrank ruhen lassen. Erst dann hat der Kasutera seine optimale saftige Konsistenz erreicht.

Auspacken und in Stücke schneiden. Der Kuchen hält sich, wenn man ihn erneut luftdicht verpackt, mehrere Tage im Kühlschrank.


Kamila Shamsie: Burnt Shadows. Bloomsbury 2009. 363 Seiten.

Die Zitate stammen von S. 99 – 100.

Bei Cooking With Dog könnt ihr auch ein Video finden, das ganzen Prozess auch für Leute erklärt, die keinen Backrahmen haben.

Mehr Essen aus Büchern gibt es auf schiefgegessen.

Essen aus Büchern: Jollof Rice aus Chimamanda Ngozi Adichies „Half of a Yellow Sun“

Man kann glaube ich keinen Adichie-Roman lesen, ohne mindestens einmal auf Jollof Rice zu stoßen. Und damit ist sie in der westafrikanischen Literatur nicht alleine. Wenn über Essen gesprochen wird, dann auch ganz schnell über Jollof Rice. Er ist Comfort Food, Partyessen, Beerdigungsmahlzeit. Egal ob im Familienkreis oder bei Feiern beliebiger Größe darf er nicht fehlen. Und trotzdem habe ich ihn all die Jahre ignoriert, weil er mir nicht spektakulär genug vorkam. Ein kapitaler Fehler! Spektakulär ist er nun wirklich nicht, aber trotzdem sofort in die TOP 10 meiner Lieblings-Reisgerichte aufgestiegen.

Jollof Rice wurde, soweit sich das nachvollziehen lässt, im 14. Jahrhundert im heutigen Senegal entwickelt. Von dort trat das wandlungsfähige Reisgericht seinen Siegeszug über ganz Westafrika an und ist heute nicht nur im Senegal, sondern auch in den Nachbarländern und bis nach Kamerun beliebt. Bei einem Gericht, das schon so lange existiert, und in so unterschiedlichen Regionen zubereitet wird, gibt es natürlich schon lange nicht mehr „das eine“ Rezept. Viele Rezepte beinhalten Tomaten, Tomatenmark, Chili (oft Scotch Bonnet) und Zwiebeln. Je nach Region kommen andere Gewürze hinzu sowie weitere Zutaten wie Gemüsearten, Fleisch oder Fisch. Manchmal werden diese direkt mit dem Reis gegart, manchmal dazu serviert.

In Half of a Yellow Sun ist Jollof Rice der ganze Stolz von Koch Ugwu. Doch mit dem kann er nicht glänzen, als Olanna, die große Liebe seines Dienstherren Odenigbo, das erste Mal zu Besuch nach Nsukka kommt. Er soll ihr „fried rice“ servieren, ein Essen, das die weitgereiste Schönheit aus London kennt. Weder Ugwu noch Odenigbo wissen, was genau das sein soll, aber sie wissen, dass es ihr Lieblingsessen ist. Ugwu hat eigentlich überhaupt keine Lust auf den lästigen Besuch, der nichts als Arbeit mit sich bringen wird, und kocht widerwillig das vermeintliche Lieblingsessen. „It’s quite tasteless, which is better than bad-tasting, of course“ lautet wenig später Olannas vernichtendes Urteil.

„‚Yes, mah,‘ Ugwu said. He had invented what he imagined was fried rice, frying the rice in groundnut oil, and had half-hoped it would send them both to the toilet in a hurry. Now, though, he wanted to cook a perfect meal, a savoury jollof rice or his special stew with arigbe, to show her how well he could cook.“

Mit meinem fried rice kann ich übrigens auch nicht glänzen, das überlasse ich Menschen, die es besser können. Aber an Jollof Rice habe ich mich nun zumindest herangewagt. Ausgesucht habe ich dafür eine recht grundlegende Version. Sie lässt sich beliebig erweitern oder kann auch als Beilage dienen. Nachdem ich den Jollof Rice über Jahre so sträflich missachtet habe, war ich auf jeden Fall extrem positiv überrascht. Er ist würzig und anpassungsfähig, überhaupt nicht trocken, eine hervorragende Beilage, aber auch in der Lage, für sich selbst zu überzeugen. Probiert es aus!

Jollof Rice

  • 40 ml Pflanzenöl
  • 200 g gehackte Tomaten
  • 2 Rote Paprika
  • 2 kleine Zwiebeln
  • 1/2 – 1 Chilischote*
  • 1 EL Tomatenmark
  • 1 TL Currypulver**
  • 1/2 TL getrockneter Thymian
  • 1 Lorbeerblatt
  • 600 ml Gemüsebrühe***
  • 1 TL Butter (optional)
  • 400 g Langkornreis
  • Salz, Schwarzer Pfeffer
  • Optional: Zwiebelringe, Tomaten

* Je nach Sorte und Geschmack. Jollof Rice ist ein für europäische Verhältnisse scharfes Essen.
** Jamaikanisches Currypulver. Dieses kann man fertig kaufen, nach z. B. diesem Rezept selbst mischen oder notfalls auch durch anderes Currypulver ersetzen.
*** Sehr beliebt ist hierfür der sehr klassische Maggi-Brühwürfel. Wer das nicht mag, nimmt andere Brühe.

Die Paprikaschoten entkernen und grob würfeln. Eine der Zwiebeln häuten und grob hacken. Die Chilischote von Kernen und Stil befreien. Tomaten, Paprika, Zwiebel und etwas Brühe in einem Mixer zu einer glatten Paste verarbeiten. Mit 200 ml Brühe in einen Topf geben, zum Kochen bringen und etwa 10 – 15 Minuten köcheln lassen, bis es etwas einreduziert ist.

In der Zwischenzeit die zweite Zwiebel schälen und in feine Ringe schneiden. Das Öl in einer großen Pfanne (der Reis muss gleich auch noch rein) erhitzen. In etwa 2 – 3 Minuten glasig dünsten. Lorbeer, Currypulver und Thymian zugeben und 3 – 4 Minuten anrösten. Tomatenmark zugeben und ebenfalls einige Minuten anrösten. Dann mit der Tomaten-Mixtur ablöschen, zum Kochen bringen und weitere 10 – 15 Minuten reduzieren lassen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Diese Sauce ist die Basis für den Reis und darf ruhig kräftig abgeschmeckt werden.

Die übrige Brühe mit in die Pfanne gießen und aufkochen lassen. Den Reis abspülen und in die Pfanne geben. Butter einrühren. Sicherstellen, dass der gesamte Reis von Flüssigkeit bedeckt ist. Dann die Pfanne mit Alufolie oder Backpapier bedecken und einen Deckel auflegen. Es soll möglichst wenig Dampf aus der Pfanne entweichen können. Die Temperatur auf die niedrigste Stufe reduzieren, so dass die Flüssigkeit gerade noch so kocht. 15 Minuten einfach stehen lassen, dann einmal umrühren. Wieder zudecken und weitere 15 Minuten garen. Sollte der Reis dann noch nicht gar sein, etwas Flüssigkeit zugeben und noch ein wenig garen.

Optional mit Zwiebelringen und Tomatenvierteln oder einfach als Beilage servieren.


Chimamanda Ngozi Adichie: Half of a Yellow Sun. 4th Estate 2006.

Die Zitate stammen von S. 23.

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Essen aus Büchern: Key Lime Pie aus Nora Ephrons „Heartburn“

Selbst wer Nora Ephron nicht kennt, kennt mindestens eines ihrer Werke. Unter anderem ist sie Autorin und Regisseurin von „Harry und Sally“, „Schlaflos in Seattle“ und „e-m@il für Dich“. Auch ihr zweiter Mann Carl Bernstein war kein Unbekannter – er war maßgeblich an der Aufklärung des Watergate-Skandals beteiligt. Die Ehe der beiden scheiterte während Ephrons zweiter Schwangerschaft fulminant und öffentlichkeitswirksam, nachdem Bernstein eine Affäre mit der ebenfalls sehr bekannten Journalistin Margaret Jay, Baroness of Paddington eingegangen war. Diese Trennung verarbeitete Nora Ephron in Heartburn. Die Protagonistin des Romans ist ein Koch-Kolumnistin, die, als sie im siebten Monat schwanger ist, von der Affäre ihres Mannes erfährt. In ihrer Geschichte über diese Trennung berichtet sie nicht nur von ihrem gebrochenen Herz und ihrem verletzten Stolz, sondern auch ganz viel von Essen.

Dabei vertritt sie unter anderem eine sehr dezidierte Meinung zu Quiche:

I was never completely idiotic – I never once made a quiche, for example […]

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Essen aus Büchern: Kalbsschnitzel Russischer Art aus Kate Atkinsons „Life After Life“

In Life After Life lässt Kate Atkinson ihre Protagonistin Ursula ein Leben nach dem anderen führen. Wann immer sie stirbt, wird sie einfach ein weiteres Mal geboren und fängt gewissermaßen von vorne an. Kleinste Entscheidungen, die sie im nächsten Versuch anders trifft, ändern ihr Schicksal und das anderer, verkürzen und verlängern Leben. Ein besonders schwerer Punkt, an den sie in mehreren Leben kommt, ist das „Veal à la Russe“, eine Kreation der Haushälterin Mrs Glover, die sie immer wieder stolz serviert, obwohl die Resonanz zumindest verhalten ausfällt. Direkt nach der grauenhaften Buddenbrook’schen Specksuppe ist dieses Gericht wohl da am meisten geschmähte, von dem ich je gelesen habe. Ursulas Bruder Jimmy sagt, es sähe aus wie Hundefutter und Mrs Glover erläutert beim Servieren verschnupft, worum es sich handelt:

‚Veal cutlets à la Russe‘, Mrs Glover said as she put a large white china dish on the table. I’m only telling you because last time I cooked it, someone said they couldn’t begin to imagine what it was.“

S. 384
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Essen aus Büchern: Spaghetti al Limone aus Ariane Kochs „Die Aufdrängung“

Ariane Kochs Debüt-Roman Die Aufdrängung ist ein sehr schwer greifbarer Text. Nur wenig wird konkret benannt und selbst die Eckpfeiler der Handlung bleiben im Dunkeln. Der Roman handelt von einer Frau, die in ihrem Leben unzufrieden ist, aber nicht die Kraft findet, es zu verändern, bis ein Gast in ihr Leben eindringt. Wer der Gast ist ob Mensch, ob Tier, ob Phantom – man weiß es nicht. Ebenso wenig konkret wird der Ort, an dem sie lebt. Ein beinahe unvorstellbares Haus mit einem immer voller Staubsauger, das in einem vage umrissenen Dorf in den Bergen liegt. Umso netter, wenn es wenigstens halbwegs Greifbares gibt, und wenn es nur ein Teller Nudeln ist:

„[…] und habe mich dann abgewandt und bin ohne sichtbares Zögern zum Haus zurückgelaufen, habe mich aufs Sofa gelegt wo ich einen großen Teller mit Spaghetti al Limone zu mir genommen habe, während im Fernsehen eine Sendung über den Beinbruch eines Elchbabys ausgestrahlt wurde.“

Ob das aber tatsächlich so war, weiß man nicht, denn der ganze Satz, aus dem das Zitat stammt und der so lang ist, dass er ein eigenes Kapitel bildet, beginnt mit „Oder es ist alles noch viel schlimmer…“ und ist damit wieder nur eine weitere Möglichkeit in der schwebenden Realität dieses Romans. Möglicherweise also hat es das Spaghetti-Essen auf dem Sofa nie gegeben. Bevor sie also in den Nebeln alternativer Enden verschwinden, hier schnell das Rezept:

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Essen aus Büchern: Chettinad Curry aus Meena Kandasamys „When I hit you“

Essen kann, wenn man es nicht nur essen, sondern auch kochen muss, eine nervtötende, zermürbende Angelegenheit sein. Das gilt vor allem dann, wenn man kein besonders großes Interesse am Kochen hat und eigentlich lieber andere Dinge im Leben tun würde, statt jeden verdammten Tag am Herd zu stehen. So geht es der Erzählerin in Meena Kandasamys When I Hit You. Sie heiratet noch recht jung und folgt ihrem Ehemann in eine Stadt fern ihrer Heimat, in der sie niemanden kennt. In ihrem neuen Leben erwartet ihr Ehemann, den sie vorher als liebevoll und interessant kennengelernt hat, dass sie ihm ergeben dient. Selbstverständlich darf sie nicht arbeiten gehen, bald schon darf sie auch keine Kontakte außerhalb ihrer Familie mehr haben. Müßiggang sieht ihr Mann nicht gern – wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, erwartet er ein sauberes Heim und eine warme Mahlzeit. Wenn er das nicht bekommt, sind die Strafen drakonisch. Wenn er es bekommt, auch. Schon sehr früh in ihrer Ehe fühlt die Frau sich wie eine Schauspielerin, stets darauf bedacht, eine perfekte Ehefrau in einem sonnendurchfluteten Heim darzustellen.

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Essen aus Büchern: Schottische Eier aus Jess Kidds „Heilige und andere Tote“

Schottische Eier sind ein Kleinod der britischen Küche und erfreuen sich auf der Insel großer Beliebtheit, auch als fertiger Snack aus dem Supermarkt. Bekannt sind sie dort als Scotch Eggs und ob das wirklich was mit Schottland zu tun hat, ist zumindest fraglich. Sowohl „scotching“ als Verb mit diversen Bedeutungen ist als möglicher Namensgeber im Gespräch, ebenso wie eine Firma namens Scott, die ein beliebtes Produkt im Sortiment hatte, dass den heutigen Scotch Eggs sehr ähnlich ist.

Woher auch immer der Name kommt: Schottische Eier im heutigen Sinne sind wachsweich gekochte Eier in einer Hülle aus Wurstbrät, die paniert und frittiert werden – letzteres wiederum lässt eine schottische Herkunft wahrscheinlich erscheinen. In Heilige und andere Tote ist diese Ikone der Snack-Kultur ein Teil einer Mahlzeit, die Sozialarbeiterin Maud ihrem Klienten Cathal Flood zum Tee serviert. Gedacht ist diese Mahlzeit als mögliche Annäherung zwischen Cathal und seinem Sohn Gabriel, zu dem er schon lange keinen Kontakt mehr hat und haben will. Gabriel sitzt noch nicht mal, als der zaghafte Annäherungsversuch schon scheitert:

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Essen aus Büchern: Spartakistenpudding aus „Die rote Köchin“

In Die rote Köchin erzählt die Bauhaus-Schülerin Hannah R. von ihrer Zeit an der legendären Weimarer Institution und von ihrer Tätigkeit als Köchin und Mitglied einer spartakistischen Zelle. Von ihrer Tätigkeit als Köchin finanziert sie die Aktivitäten der Gruppe und verköstigt in Volksküchen die werktätige Bevölkerung. Zu jedem der kurzen Kapitel gehört ein Rezept, das auf die eine oder andere Art zum Inhalt passt.

Das Kapitel um den Spartakistenpudding widmet sich keinem geringeren als Gropius höchstselbst, der den Pudding sehr gelobt haben soll, so zumindest schildet es Hannah R. Serviert wird der Pudding 1922 zur feierlichen Einweihung des Denkmals der Märzgefallenen, das Gropius auf dem Weimarer Friedhof schuf. Es erinnerte an die Männer und Frauen, die beim Widerstand gegen den Kapp-Putsch getötet wurden. Das Denkmal wurde 1936 zerstört und zehn Jahre später neue errichtet.

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Essen aus Büchern: Indian Tacos aus Tommy Oranges „There There“

Herkunft und Identität sind die zentralen Themen in Tommy Oranges Roman There There, in dem er sich mit der Kultur von Native Americans befasst, ihrer Zerrissenheit und Entwurzelung. Ein immer wieder genanntes Gericht sind die Indian Tacos, die zumindest für einige Charaktere ein echtes Highlight sind, darunter Orvil und sein Bruder:

„They only knew about Indian tacos because their grandma made them for their birthdays. It was one of the few Indian things she did. And she was always sure to remind them that it’s not traditional, and that it comes from lacking resources and wanting comfort food.“

Indian Tacos basieren auf einem frittierten Fladenbrot, dem Navajo fry bread. Es entstand zur Zeit der als „Long Walk“ bezeichneten Zwangsumsiedlung von rund 9.000 Menschen, mit der 1864 begonnen wurde. In dieser Zeit wurden in Rund 50 Marschtrupps vor allem Navajos zu Fuß über knapp 500 Kilometer vom heutigen Arizona nach New Mexico gebracht. Mindestens 200 überlebten die Strapazen nicht. Aus den kargen zur Verfügung gestellten Rationen entwickelten die Navajo das heute berühmte und berüchtigte fry bread. Vielen gilt es mittlerweile als Sinnbild für die um sich greifenden Zivilisationskrankheiten heute lebender Navajo: aus Weißmehl und frittiert, ohne wahren Nährwert, dafür mit jeder Menge Kalorien – als Basis gesunder Ernährung dient es nun wirklich nicht. Und doch ist es unverzichtbar. Es ist ein zentrales Element und identitätsstiftender Baustein der Esskultur geworden, eine Erinnerung an das kollektive Trauma der Vertreibung und ein Muss bei jedem Powwow. Und das, obwohl es auf so unschöne Art seinen Weg in die Kultur gefunden hat.

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