Das Ende des Traumpaars – „Ordinary People“ von Diana Evans

Melissa und Michael sind ein viel bewundertes Traumpaar. Schön und erfolgreich leben sie das perfekte Familienglück mit ihren beiden Kindern in Süd-London nahe Crystal Palace. Dass das Glück eigentlich schon vorbei ist, ahnen nicht einmal ihre Freunde Damian und Stephanie, die mit ihren Kindern etwas außerhalb der gefährlichen Großstadt leben. Man ahnt es – auch bei den beiden läuft es nicht gerade rund.

Evans porträtiert zwei Paare in einer schwierigen Lebensphase. Die erste Verliebtheit ist schon lange vorbei, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, nun muss man sich mit dem Alltag und seinen Herausforderungen herumschlagen. Schon lange beinhalten die Textnachrichten, die man sich schreibt, keine Liebesschwüre mehr, sondern die Bitte, auf dem Heimweg noch eben Spülmittel zu besorgen. Am Wochenende kuschelt man nicht mehr verliebt im Bett, sondern streitet über den richtigen Aufbewahrungsort von Spannbetttüchern. Eigentlich wissen beide Paare, dass es so nicht weitergehen kann. Doch eingestehen wollen sie es sich nicht. Zu groß ist die Angst vor dem Ende und davor, den Kindern das vermeintlich glückliche Elternhaus zu nehmen. Besonders Michael und Melissa starten verbissen Versuch um Versuch. Sie lassen alte Dates wiederaufleben in der Hoffnung, auch das alte Glück wiederzufinden, stellen am Ende aber doch nur enttäuscht fest, dass es nicht mehr das Gleiche ist.

„They were partners in the very tedious sense of the word, and the difficult thing was that they coudn’t talk to their best friends about it, because they had been each other’s best friends.“

Der Roman konzentriert sich vor allem auf Melissa und ihren Blick auf die Situation. Einst eine erfolgreiche Modejournalistin, verbringt sie nun ihre Tage als Mutter in vollgesabberten Klamotten. Sie beobachtet, wie sie sich selbst Stück um Stück verliert, ihre Träume von großen Reisen aufgibt und sich plötzlich nicht mehr darum kümmert, dass ihre Schuhe dreckig sind. Sie zerfällt in zwei Melissas, eine für draußen und eine für zu Hause und jeden Tag schmerzt es mehr, Draußen-Melissa vor der Tür zurückzulassen und nicht zu wissen, ob sie am nächsten Tag noch da sein wird. Überhaupt hasst sie es, im Haus zu sein. Sie hat Angst vor dem Haus und den Geistern seiner Vergangenheit. Mit jedem Tag ist sie sicherer, dass es spukt in den historischen Mauern, dass die unglückliche Tochter der Vorbesitzerin mehr und mehr Besitz ergreift von ihrer eigenen Tochter Ria. Auf den Rat ihrer Mutter hängt sie Knoblauch in den Flur, legt halbe Zwiebeln auf die Fensterbank und Kochbananen unters Kopfkissen. Die Geister vertreibt sie damit nicht, dafür aber Michael. Unaufhaltsam driften die beiden auseinander, bis Michael Melissa vor ein Ultimatum stellt: nach Jahren unverheirateten Zusammenlebens will er die Hochzeit oder die Trennung.

Evans gelingt es, die kriselnden Beziehungen in diesem Roman überzeugend und nahbar darzustellen. Auch, wenn jede Familie auf ihre Art unglücklich ist, wie es auch hier immer wieder zitiert wird, sind die Konflikte nachvollziehbar und vielen sicher nicht ganz unbekannt. Evans konstruiert den Roman entlang eines sehr R&B-lastigen Soundtracks, allen voran dem namensgebenden Song Ordinary People von John Legend. Das zweite Stützskelett sind aktuelle Ereignisse, von denen die Charaktere angestoßen und getrieben werden. Der Roman, in dem fast ausschließlich Schwarze Personen vorkommen, beginnt mit der Euphorie nach Barack Obamas Wahl. Ein Schwarzes Traumpaar an der Spitze der Welt scheint so vieles möglich zu machen. Der Tod von Pop-Ikone Michael Jackson nur wenige Monate später hingegen löst finale Krisen aus.

Die Schwere im Leben der Charaktere, die immer tiefer in ihre Hoffnungslosigkeit sinken, macht Ordinary People sicher nicht zu einem leichten Lesevergnügen. Doch es gelingt Evans auf unverkrampfte Art, die Geschichte zweier Paare mit einer Reflektion des Paar-Seins und des Familienlebens an sich zu verknüpfen. Sie schafft Situationen, in denen diese Fragen aufkommen und initiiert Dialoge darüber, ohne dass es jemals gekünstelt wirkt. Ordinary People ist weit mehr als ein Roman über zwei unglückliche Paare und doch genau das.


tl;dr: Evans erzählt die Geschichte zweier ehemaliger Traumpaare, die sich im Alltag immer mehr verlieren, so undenkbar das ihrem Umfeld erscheint. Diese Handlung nutzt sie sehr geschickt und unverkrampft als Basis für eine Auseinandersetzung mit dem Paar-Sein an sich.


Diana Evans: Ordinary People. Liveright Publishing Corporation 2018. 329 Seiten. Eine deutsche Übersetzung von Mayela Gerhardt ist unter dem Titel Leute wie wir 2021 bei Hoffmann und Campe erschienen.

Das Zitat stammt von S. 123.

Evans war 2009 mit diesem Roman auf der Shortlist des Women’s Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des gleichnamigen Leseprojekts.

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