Den Vorhang auf! – „Schatten über den Brettern“ von David Misch

Leicht macht der Erzähler in David Mischs Debüt-Roman einem den Einstieg in den Text nicht. Es gibt einen ER, einen dunklen Schatten, ein ich und ein „mein liebes Kind“. Wer das alles ist, und wie diese Personen zueinander in Beziehung stehen, das muss man sich erst mühsam erschließen. Dabei ist die Rahmenhandlung eigentlich ganz einfach: ein alter Mann sitzt auf einer Parkbank, sieht dem Treiben um einen Weiher herum zu und schreibt dabei seine Erinnerungen auf. Ab und an leistet ihm eine jüngere Frau Gesellschaft, an deren Arm gestützt er hin und wieder ein paar Schritte gehen kann. 

Es dauert ein wenig, bis man sich die Biographie des Alten aus den Versatzstücken seines Lebens zusammenreimen kann. Er erzählt, das kündigt er auch an, nicht chronologisch. Wie sich aus seinen Aufzeichnungen langsam herausschält, ist er früher offenbar als Schauspieler tätig gewesen, allerdings nicht auf großen und bedeutenden Bühnen, sondern in einem kleine Mitmach-Theater, in dem er seine Rollen nicht nur spielte, sondern auch gemeinsam mit dem Leiter des Theaters erdachte. Zum Hauptberuf reicht das nicht, tagsüber verbringt er seine Zeit in einer Folien-Fabrik, wobei man seine Tätigkeit dort immer weniger als Arbeit bezeichnen kann. Seinen Figuren ist er so nah, dass er mit ihnen lebt und sie Teil seiner Persönlichkeit werden.

„Es gab kein passendes Wort für diesen Zustand der Lebensvergessenheit, der mich überkam, wenn es um das Theater ging.“

Das Theater, an dem der Erzähler mitwirkt, steht dabei in der Tradition des im Roman oft erwähnten Theaterwissenschaftlers Augusto Boals, der in Brasilien eine Form des Theaters entwickelte, die er als „Theater der Unterdrückten“ bezeichnete. Das Ziel dieser Theaterform ist, das Publikum aus der Rolle der rein Konsumierenden zu befreien und sie zum Mitmachen zu bewegen, was auch eine Auswirkung auf ihren Alltag haben soll. So sehr das den Erzähler begeistert, so wenig Anklang findet diese Form des Schauspiels bei den neuen Machthabern im „kleinen Land in Westeuropa“, das nie benannt wird, aber ziemlich offenbar Österreich ist. Es dauert nicht lange, bis die kleine Bühne geschlossen wird und mit ihr die Paraderollen des Erzählers untergehen, was zum entscheidenden Bruch in seinem Leben wird. Seitdem haben sich die Umstände offenbar noch einmal verschärft. Das faschistoide Regime ist stark geworden und hat nun eine wachsames Auge auf alle Bereiche des Lebens. Gemischt-ethnische Klassen sind ebenso untersagt wie Homosexualität und das Ausüben nicht-christlicher Religionen. Allein das Wissen über die inzwischen verbotenen Umtriebe des alten Mannes wird für seine Gesprächspartnerin auf der Parkbank zur Gefahr.

Der Einstieg in den Roman ist ausgesprochen sperrig. Das liegt zum einen daran, dass die Personen, wie eingangs erwähnt, weder benannt noch klar zugeordnet werden. Der Weg durch das Dickicht fällt auch deshalb nicht ganz leicht, weil zunächst völlig unklar ist, wo der Roman hin will und wer einem hier überhaupt etwas erzählen will. Und so spannend das sein kann – hier trägt die Handlung die Komplexität nicht. Erst spät im Buch entwirren sich die Fäden und es wird langsam klar, was hinter der Erzählung steckt. Die Sprache des Erzählers ist sehr ausladend, gespickt mit altertümlich anmutenden Wörtern und mitunter schon sperrig und gestelzt. Dieser Duktus passt nicht immer zu diesem Mann, der sonst direkter und weniger gekünstelt zu sein scheint. Die Theater-Thematik stellt eine wichtige und interessante Komponente der Geschichte dar, gerade auch, weil es weniger um die großen Bühnen und glamouröse Rollen geht, sondern um kleinere und agilere Formen, in denen Protest und Kritik unmittelbar umgesetzt werden können. Dass aber auch gerade diese Bretter mehr als die Welt bedeuten können, beweist der Erzähler eindringlich. 


tl;dr: In seinem Roman-Debüt beschreibt David Misch einen Mann, der in seiner Zeit als Schauspieler so sehr mit seinen Rollen verschmolzen ist, dass das Erstarken eines faschistoiden Regimes und das Verbot seines Theaters sein Ende bedeuteten. Der Roman braucht lange, um zu fesseln, und die Sprache passt nicht immer zu Handlung und Erzähler.


David Misch: Schatten über den Brettern. duotincta 2020. 298 Seiten. Gelesen als eBook mit 220 Seiten.

Das Zitat stammt von S. 195.

Dieser Roman ist nominiert für den Blogger*innen-Preis Das Debüt 2020. Im Rahmen dessen wurde mir vom Verlag ein Leseexemplar überlassen.

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