Einige Bemerkungen über Brot und Sauerteig sowie zwei Bücher darüber

Seit ziemlich exakt zwei Jahren wohnt in meiner Küche ein Sauerteig. Er heißt Ryen und ist mir ein völliges Rätsel. Ich gebe ihm Mehl und Wasser und er macht daraus, was immer ihm in den Sinn kommt. Manchmal ist er riesig und kriecht über den Rand seines Glases, manchmal ist er pelzig, manchmal riecht er nach alten Äpfeln und manchmal wie etwas, worüber man dringend mit einem Gynäkologen sprechen sollte. Wovon das abhängt – ich weiß es nicht. Ich schätze von Temperatur und Luftfeuchtigkeit, aber die nehme ich offenbar anders wahr als Ryen. Aber egal, wie fies er gerade aussieht, er ist mir immer und zuverlässig eine große Hilfe beim Brotbacken. Auch das habe ich mit Ryens Entstehung vor zwei Jahren fast komplett selbst in die Hand genommen. Ich glaube, meine Brote sind nicht mal so besonders gut, aber wenn ich manchmal doch ein Brot kaufen muss, weil ich schlecht geplant habe, erinnert es mich immer wieder daran, wie gut es im Vergleich dann doch oft ist. (Sicher ist mein Brot schlechter als das eines Bäckers, der das seit Jahren macht und jeden Morgen im Steinofen frische Brote und so weiter – aber find das mal! Und bezahl das mal auf regelmäßiger Basis)

Es gibt ein Alltags-Standard-Brot, das ich sehr oft mache und das relativ viel zugesetzte Hefe enthält. Das macht es schnell und sicher. Manchmal, wenn ich die Zeit habe, Vorteige anzusetzen und abschätzen kann, ob ich in 14+3+2 Stunden Zeit haben werde, ein Brot zu backen, backe ich kompliziertere, die ohne zugesetzte Hefe auskommen und nur mit dem arbeiten, was ohnehin im Sauerteig-Ansatz ist. Ab da wird es dann spannend. Ich habe nämlich überhaupt keine Ahnung, wie viel Hefe Ryen gerade hat (es sieht nach viel aus, aber das kann täuschen) und deshalb auch keine Ahnung, wie das Brot werden wird. Wie aus diesem traurigen, grauen Brei aus Mehl und Wasser und Salz und sonst nichts ein unfassbar leckeres 1,5 kg-Brot wird, das mich zuverlässig eine ganze Woche ernähren kann, erstaunt mich immer wieder. Außerdem ist es eine nette Übung in „wird schon werden“. Ich kann da nichts machen. Hefe mag es warm, ich kann den Teig also wärmer lagern, wenn ich finde, dass er zu langsam geht, aber sonst… Das wird ein nicht so tolles oder ein fantastisches Brot und mein Einfluss darauf ist begrenzt, das werde ich akzeptieren müssen. Diese Laissez-faire-Haltung vertreten bei weitem nicht alle Hobby-BäckerInnen und in vielen Foren liest man von Leuten, die extra Wärmeschränke haben, in denen sie den Sauerteig bei x Grad fallend auf y Grad mit Mengenangaben, die meine Waage noch gar nicht erfasst… Mal im Ernst, wer hat denn Zeit für sowas?

Genug der Einleitung, hier kommen zwei Bücher, die sich mit der Thematik befassen:

Scott Cutler Shershow: Bread

Dieses kleine Buch ist in der Reihe „Object Lessons“ bei Bloomsbury erschienen. Verschiedene AutorInnen mit unterschiedlichsten Hintergründen verfassen für diese Reihe kleine Bände über alle denkbaren Objekte. Erschienen sind unter anderem Texte über Kapuzen, Kühlschränke, Bücherregale und eben Brot.

„A moment came – I cannot say quite how or why – when I realised I was in love with bread.“

Scott Cutler Shershow outet sich darin nicht nur als Brotliebhaber, sondern auch als begeistertet Hobbybäcker. In seinem Text befasst er sich mit der Entstehung von Brot in verschiedenen Teilen der Welt und auch mit den kulturellen Implikationen. Über die kontinentalen Grenzen und die Jahrhunderte hinweg galt Brot als das Grundnahrungsmittel schlechthin, steigende Preise für Brot oder Mehl waren häufig der Auslöser von Aufständen oder gar Kriegen. Nicht zu vergessen Marie Antoinettes legendär falsches Zitat, die Aufständischen mögen doch Kuchen essen. Sie riet der Überlieferung nach zu Brioche, was nun kein Kuchen, aber auch nur bedingt praxisnah ist, ist doch Brioche im Vergleich zu einem einfachen Roggenbrot schon recht luxuriös.

Nur etwa die Hälfte des Buchs widmet sich aber dieser Thematik, im übrigen Teil geht es vor allem um Religion und Sprache. Ein ganzes Kapitel widmet sich der Frage ob es Zufallen sei, dass „bread“ und „dead“ sich reimen – ist es, um mal die Spannung rauszunehmen. Allerdings nutzt er diesen Todes-Kontext zu einem interessanten Ausflug in die Welt der Mikroorganismen, die erst in der Sauerteigkultur liebevoll hochgezogen werden, um sie dann im 200°C heißen Ofen umzubringen.

Ich persönlich hätte mir mehr praktische Infos über Geschichte des Brots, Brotarten und so weiter und weniger theoretische Spekulationen gewünscht. Unterhaltsam und kurzweilig ist das Buch dennoch, wenn auch nur mit eingeschränktem Informationswert.

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Andrew Whitley: Do Sourdough. Slow Bread For Busy Lives.

Die Do-Reihe aus dem gleichnamigen Verlag hat es sich zum Ziel gemacht, scheinbar komplexe Dinge sehr einfach zu machen. Wie oben schon geschrieben, wird man als Sauerteig-Anfängerin mit Infos aus dem Netz und auch aus vielen Büchern völlig erschlagen. 3 Gramm hiervon, 5 Gramm davon, 35°C Außentemperatur, auf jeden Fall dieses Mehl, das kein Laden in deiner Stadt verkauft – alles klar. Da vergeht einem schon mal die Lust, überhaupt damit anzufangen.

„Above all, sourdough is fun.“

Andrew Whitleys Herangehensweise ist eine deutlich entspanntere. Eine Sauerteigkultur besteht nur aus einer Menge Mikroorganismen, die sich irgendwie vertragen müssen und das erreicht man sehr leicht. Wer ein par einfache Grundregeln beherzigt, wird sehr schnell erfolgreich sein, wenn auch vielleicht nicht das perfekte Ergebnis erzielen. Aber was soll’s? Whitley benennt immer die ideale Herangehensweise und dann einen riesigen Haufen Alternativen, sollte das Ideal aus welchen Gründen auch immer nicht erreichbar sein. Das ist erfreulich anderes als in vielen anderen Sauerteig-Ratgebern, die so tun, als würde man einen traurigen Backstein aus dem Ofen holen, sollte man irgendwo auch nur marginal abweichen.

Das Buch beinhaltet Anweisungen für die ersten Schritte, praktische Hinweise für das weitere Vorgehen und einige Rezepte, sowohl sehr leichte als auch etwas komplexere. Ich ärgere mich tot, dass ich dieses Buch nicht hatte, als ich den Sauerteig angesetzt habe. Ja, es hat alles geklappt, Ryen geht es gut, aber wochenlang lebte ich jeden Tag in panischer Angst um sein Wohlergehen, bis er einigermaßen stabil war. Das hätte ich mir offenbar sparen können. Wer immer also mit dem Gedanken spielt, selbst Sauerteig-Brot zu backen und hinreichend Englisch versteht, findet hier das perfekte Einsteigerbuch. Auch wer schon mal mit Sauerteig experimentiert hat, findet hier wertvolle Ergänzungen und Hinweise. Andrew Whitley kann nicht genug gelobt werden. Uneingeschränkte Empfehlung!


Scott Cutler Shershow: Bread. Erschienen in der Reihe Object Lessons bei Bloomsbury 2016. 160 Seiten, ca. € 10,-. Eine deutsche Übersetzung liegt nicht vor.

Das Zitat stammt von S. 1

Andrew Whitley: Do Sourdough. Slow Bread For Busy Lives. The Do Book Company 2014. 155 Seiten, ca. € 10,-. Eine deutsche Übersetzung gibt es derzeit noch nicht, allerdings hat Hoffmann & Campe die Lizenzen für die Reihe und plant, pro halbem Jahr drei Titel in Übersetzung zu bringen. Es ist also nur eine Frage der Zeit.

Das Zitat stammt von S. 9

22 Gedanken zu “Einige Bemerkungen über Brot und Sauerteig sowie zwei Bücher darüber”

    1. Unbedingt! Als ich mich heute nacht um halb eines allerdings nochmal aus dem Bett schleppen musste, weil ich vergessen hatte, den Sauerteig für heute anzusetzen, fand ich Brot kaufen für ein paar Minuten eine gute Idee.

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  1. Irgendwie gruselt es mich vor diesem Mitbewohner. 😉 Dabei schwärmen viel die ich kenne davon. Ich backe seit Jahren jetzt mein Standard Buttermilchbrot mit Leinsamen,Sesam, Kürbis- und Sonnenblumenkernen, ab und an Schwarzkümmel ganz wagemutig dazu. 630 er Dinkelmehl und das tolle ist, es geht ratzfatz und die Zutaten sind meist alle vorhanden. Hut ab vor der Hege & Pflege des eigensinnigen Gastes.

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  2. Hallo Marion,

    da ich seit gut einem Jahr auch selber Brot backe (erst nur mit Hefe und seit Anfang des Jahres nur noch mit Sauerteig) habe ich deinen Beitrag sehr gerne gelesen.
    Ich habe mit dem Sauerteig durch das Buch „a casa“ (AT Verlag) begonnen, wo dieses Wunderwerk keine Schwierigkeit darstellt, weswegen ich mich nun endlich da ran traute. Und die Rezepte in dem Buch sind schön einfach und gelungen fast immer.
    Deine zwei vorgestellten Bücher wecken zumindest Interesse und ich kann nur jedem empfehlen, es selber auszuprobieren. Es ist eigentlich kein Hexenwerk.

    Wie bäckst du deine Brote? Im Topf oder auf dem Blech mit Wasserzufuhr?

    Liebe Grüße
    Marc

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    1. Hallo Marc,

      bisher backe ich die Brot immer auf dem Blech mit Wasser, bis auf ein paar Ausnahmen, die ich in einer Brotbackform mache – Körnerbrote beispielsweise. Im Topf hab ich es noch nie probiert. Erst hatte ich keinen passenden und dann war ich schon so „eingeschossen“. In Whitleys Buch war aber ein Rezept, das interessant klang, das will ich bei Gelegenheit mal ausprobieren.

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      1. Ist es sehr aufwändig auf dem blech zu backen?
        Wir haben daheim einen schönen gusseisernen Topf, da kann man herrlich knapp 1,2kg Brote backen, die sehr rustikal werden. Da drin ist sogar mein erstes 80%iges Roggenmischbrot gelungen. Schmeckte besser als beim Bäcker, wie du ja im Beitrag schon geschrieben hast.
        Ich kann dir auch mal eines aus dem a casa Buch zukommen lassen oder eine Variante, die ich mir daraus abgeleitet habe.

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        1. Oh ja, das würde mich sehr freuen! Danke!
          Ich finde das Backen auf dem Blech überhaupt nicht aufwendig. Man muss nur – je nach Rezept – während des Vorheizens oder auch während der ersten Minuten ein tiefes Blech/Fettpfanne mit Wasser in den Ofen stellen und das anschließend wieder rausnehmen.
          Das „schwierige“ daran ist das Rundwirken, dass man das Brot also vorher schon in Form bringen muss und dass es diese Form dann auch halten muss. Gestern ist mein Brot an einer Stelle im Gärkorb hängengeblieben und ist dann recht unglücklich auf das Blech gestürzt. Es ist immer noch sehr lecker aber deutlich flacher als geplant, weil dadurch die Spannung in der Oberfläche verloren gegangen ist.

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  3. Stimmt, das rundwirken ist manchmal eine Kunst, insbesondere, wenn einem der Teig wegläuft. Das sollte bei dem Roggenbrot eigentlich nicht passieren.
    Das Rezept:
    600g Mehl (innerhalb dieser Menge einfach das Mischungsverhältnis variieren, also in dem Fall 500 Roggen 100 Weizen, auch als Vollkorn möglich, aber auch mit Dinkel und Weizen oder alle drei geht es, wuchtig sind die 600g insgesamt)
    400g Wasser
    120g Sauerteig (mit Roggen angesetzt, Weizen geht auch, schmeckt aber „flacher“)

    Als erstes Mehl und Wasser vermischen und ca eine Stunde stehen lassen, dann den Sauerteig dazu geben. Danach aller halbe Stunde dehnen und Falten und dabei maximal 20g Salz dazu geben (ich persönlich finde für meinen Geschmack 15g ausreichend). Danach den Teig stehen lassen (ich mache immer 12h bei Zimmertemperatur, länger habe ich noch nicht probiert), vielleicht noch einmal zwischendrin dehnen und Falten.
    Zubereitung im Topf: Ofen inklusive Topf auf 250°C vorheizen, währenddessen Brot rund wirken und nochmal gehen lassen (entweder im Gärkorb oder auf irgendeiner Unterlage)… In den Topf geben, mit geschlossenem Deckel 45min und dann noch mit offenen Deckel 5-10min backen, he nachdem, wie dunkel man die Kruste haben will.

    Bissl abkühlen lassen, genießen.

    Ich hoffe, es war verständlich genug aufgeschrieben 😉

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      1. Achso noch ergänzend: Beim ersten Schritt nur 390g Wasser drauf geben, der Teig darf gerne noch etwas krümelig-trocken sein.

        Alternativ nehme ich für mich das Rezept auch als Grundlage für Brötchen her. 50/50 Weizen und Dinkel…. Und 20g Wasser weniger, dafür aber jeweils 10g Olivenöl und Honig, bissl weniger Salz. Schmecken richtig gut… Die backe ich zwischen zwei blechen ohne Wasserzugabe…

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        1. Nein, leider noch nicht – da im Moment ein Brotesser weniger da ist, hat mein letztes Brot mich noch bis gestern ernährt. Jetzt am WE ist die Zeit vermutlich zu knapp – vielleicht schaffe ich Ansatz morgen und Weiterverarbeitung am Sonntag… Mal sehen. Ich halte dich auf jeden Fall auf dem Laufenden!

          Noch eine Verständnisfrage: du schreibst, man soll den Teig alle halbe Stunde dehnen und falten – über welchen Zeitraum denn?

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            1. Hallo Marc,

              ich bin jetzt endlich mal zum Ausprobieren gekommen. Das Ergebnis war ganz gut, ich hatte aber zwischenzeitlich sehr mit dem Teig zu kämpfen. Nach den 12 Stunden Ruhezeit war er so nass, dass man eigentlich überhaupt nicht damit arbeiten konnte, von Rundwirken mal ganz zu schweigen. Ich musste dann noch eine ganze Menge Mehl zugeben, was man ja eigentlich nie machen soll. Ich weiß nicht, woran das gelegen haben kann, am Vorabend sah er ganz okay aus. Vielleicht wird er beim nächsten mal ja kooperativer 🙂

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            2. Hm, das ist natürlich olle, wenn der erste Versuch mit dem Rezept misslingt. Welche Mehlmischung für die 600g hast du denn genommen? Ich habe das Problem des breit Laufens immer beim Dinkel (sobald mehr als 50% drin sind). Da nehme ich immer etwas weniger Wasser (so 50g weniger) dann geht auch der gut zu bearbeiten.

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            3. Ich kann dir leider nicht mehr auf deine letzte Nachricht antworten, so viel Kommentarverschachtelung kann mein Blog nicht 🙂
              Wenn ich mich nicht total irre, hab ich mit 500 Roggen und 100 g Weizen gearbeitet. Mein Sauerteig war flüssiger als sonst, deswegen hab ich die Wasserzugabe schon reduziert. Was mich am meisten gewundert hat, war dass der Teig am Morgen viel nasser war als am Vorabend. Das ist mir so noch nie passiert, kann aber eigentlich nur mit dem Sauerteig zusammenhängen. So richtig erklären kann ich es mir damit zwar auch nicht, aber einen anderen Faktor kann ich mir kaum vorstellen. Vielleicht ist dem das sehr schwüle Wetter in diesen Tagen nicht bekommen.
              Naja, ist ja auch kein Drama. Bei Gelegenheit starte ich einfach einen neuen Versuch, vielleicht mit einem gnädigeren Sauerteig.

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            4. Das kann natürlich sein, dass das Wetter extrem rein gepfuscht hat, da Roggen eigentlich viel Wasser verträgt. Einfach weiter probieren, irgendwann klappt es. Das ist ja das schöne am Brot backen. Man lernt nie aus.

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