Joanna Bator: Dunkel, fast Nacht

dunkelfastnacht„So eine Art Schauerroman. Schloss Fürstenstein, Fürstin Daisy und andere Wałbrzycher Geschichten. Ein Teil spielt in der Kriegszeit, aber das meiste heute. Ich konzentriere mich auf die Gegenwart.“

Ich hatte es ja schon befürchtet – meine Erwatungshaltung gegenüber Bators neuem Roman war fast unerreichbar hoch, nachdem ich Sandberg und Wolkenfern so geliebt hatte. Wie auch ihre anderen Romane spielt Dunkel, fast Nacht im polnischen Wałbrzych, rund 60 Kilometer von Wrocław gelegen. Wałbrzych hieß mal Waldenburg und die bewegte deutsch-polnische Vergangenheit sitzt der Stadt und ihren Einwohnern noch immer in den Knochen.

Alicja Tabor ist dort aufgewachsen, lebt aber seit Jahren als Journalistin in Warschau. Nach Wałbrzych zieht sie nichts mehr, ihre Eltern und ihre Schwester sind schon vor Jahren gestorben und ihr bleibt dort nichts als ein verfallendes Haus. Dorthin kehrt sie nun aber im Auftrag ihrer Zeitung zurück, denn drei Kinder sind spurlos verschwunden und sie soll mit den Angehörigen sprechen. Sobald sie in das Haus zurückkehrt, finden die Geister ihrer Kindheit sie wieder. Ihr Vater war Historiker und davon besessen, in Schloss Fürstenstein mit seinem riesigen, unterirdischen Gängesystem einen sagenumwobenen Schatz zu finden. Ihre Schwester Ewa, jung verstorben, glaubte an den Geist der letzten Fürstin Daisy, die ihr Lichtsignale aus dem Schloss sendet. Und durch den Boden des Badezimmers hört man nachts die Geister der Juden klopfen, die in Groß-Rosen ermordert wurden. Aber auch die erwachsene Alicja sieht sich Bedrohungen ausgesetzt. Jemand versteckt sich nachts in ihrem Garten und erhängt wenig subtil eine Katze im Apfelbaum.

Katzen spielen überhaupt eine große Rolle im Roman. Fürstin Daisy liebte diese Tiere sehr und noch immer gibt es zahlreiche Katzenfrauen, die durch den Ort streifen, Katzen füttern und Menschen in Not helfen. Jeder im Buch hatte schon mindestens eine Begegnung mit einer der mysteriösen Frauen. Ihnen gegenüber steht eine dunkle Macht, die Ewa „Katzenfresser“ getauft hat, dämonenartige Wesen, die in Menschen eindringen und ihrer Seele schaden. Auch ihnen sind die meisten schon begegnet.

Um die mysteriöse, dank einer Kakerlakenplage auch noch apokalyptisch angehauchte Atmosphäre zu vervollständigen, tritt Jerry Swan auf, ein verrückter Prediger, der die Massen begeistert und Geld sammelt für eine gigantische Statur der Schmerzensmutter, Schutzpatronin der Stadt. Er handelt mit Knochenverkäufern, die in der Erde nach sterblichen Überresten suchen, um sie als Reliquien zu verkaufen und macht einen höchst verdächtigen Eindruck. Nicht nur ihr mysteriöser Verfolger sitzt Alicja im Nacken, auch die Zeit arbeitet gegen sie und sie weiß, dass es bald zu spät sein könnte für die verschwundenen Kinder.

Und was ich jetzt über Joanna Bators Roman sagen muss, sage ich extrem ungerne, weil ich sie für so eine gute Autorin halte.

Der Roman ist halb Mystery, halb Krimi, mit einer Protagonistin, die eher Ermittlerin als Journalistin ist und die Geschichte in der Ich-Perspektive erzählt. Das obenstehende Zitat, dass Bator Romanfigur und Hobby-Autor Marek in den Mund legt, trifft es ganz gut. Die Katzenfresser könnte sich auch Gaiman ausgedacht haben, die Tunnel unter der Stadt wären das perfekte Ferienabenteuer für Blytons Fünf Freunde und Alicja Smoky Barrett ist die klassische Ermittlerin mit seelischer Verwundung, die neben dem Täter auch sich selbst und ihren inneren Frieden sucht. Ihre Selbstreflexion ist dabei leider extrem steif und plakativ. Gelegentliche Kalenderweisheiten wie „Manchmal schlägt man im Leben einfach irgendeine Richtung ein, es muss vorwärts gehen, auch wenn alle Wege gleichermaßen aussichtslos erscheinen“ (S. 404) machen es nicht besser. Auch die Dialoge sind oft schleppend und undynamisch, die Inquit-Formeln wirken zuweilen krampfhaft aus dem Synonym-Wörterbuch herausgesucht. Die seitenlangen Kommentare aus einem Internetforum, in denen die sich aufschaukelnde Stimmung verdeutlicht werden soll, wirken gestelzt und werfen die Frage auf, was sie eigentlich zum Text beitragen. Viele Erzählstränge scheinen übernatürlich zu sein, werden aber am Ende doch als erklärbar aufgelöst. Bis auf einen, der massiv aus der Reihe schlägt und bei dem nicht ganz klar wird, warum es ihn in dieser Form gibt.

Ihre eigentliche Stärke zeigt die Autorin in den Geschichten, die Alicja sammelt, die verschiedene Menschen ihr bereitwillig erzählen. Aus diesen Ereignissen, die zum Teil schon sehr lange her sind, ergibt sich ein engmaschiges Netz mit überraschenden Verknüpfungen, das man erst nach und nach versteht. Eben diese Stärke hat sie auch in vorhergehenden Romanen ausgespielt, deren eigentliche Handlungen recht unspektakulär waren, deren Binnenerzählungen einen aber sofort in ihren Bann zogen. Jetzt hat sie einen Roman mit spannender Handlung geschrieben, der auch durchaus seinen Reiz hat, dabei aber kann sie ihre Stärke als Geschichtenerzählerin nicht einsetzen. Und um diese Fähigkeit ist es einfach schade.

Wer jetzt noch Bator lesen will, und man sollte, denn es lohnt sich, dem sei wärmstens der bezaubernde Sandberg empfohlen.

Einen völlig anderen, viel positiveren und sehr interessanten Eindruck kann man bei Muromez finden und im Freitag gibt es ein ebenfalls lesenswertes Interview mit der Autorin.


Joanna Bator: Dunkel, fast Nacht. Suhrkamp 2016. 510 Seiten, € 24,95. Aus dem Polnischen übersetzt von Lisa Palmes. Originalausgabe: Ciemno, parwie noc. Verlagsgruppe Foksal 2012.

Das Zitat stammt von Seite 264 der o.a. Ausgabe.

5 Gedanken zu “Joanna Bator: Dunkel, fast Nacht”

  1. Hey klasse, wie du deinen Eindruck wiedergibst und doch auf positivere Meinungen verweist. Das ist erfrischend uneitel und sympathisch😊 Gefällt mir.

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    1. Vielen Dank, das freut mich sehr!
      Ich finde es immer spannend, eine Besprechung zu lesen, die fast gar nicht mit meiner Meinung übereinstimmt. Und überhaupt freue ich mich immer, wenn jemand über „seltene“ Titel schreibt.
      Speziell in diesem Fall konnte ich die Meinung auch in jedem Punkt nachvollziehen, uns sind auch oft die gleichen Dinge aufgefallen, wir haben sie nur völlig unterschiedlich aufgefasst. Und dann macht auch der Austausch darüber Spaß.

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  2. Nach unserer Diskussion (bei mir) nun deinen Text gelesen und ich kann deine Kritik nachvollziehen. Man kann diesen Roman durchaus als Unterhaltungsliteratur bezeichnen, die nicht immer aufgeht. Man kann es aber auch anders sehen – wie ich. 🙂 Danke dafür!

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