Eleanor Catton: The Rehearsal

EleanorCatton_TheRehearsal„Masks or faces? That’s what I keep asking myself. Masks or faces?“

Eleanor Catton dürfte vielen aufgrund ihres Romans Die Gestirne bekannt sein, für den sie 2013 den Man Booker Prize bekam und der im Winter 2015 auch in deutscher Übersetzung recht erfolgreich war. Diesem Erfolg ist es wohl auch zu verdanken, dass nun auch ihr Erstling The Rehearsal im Taschenbuch unter dem Titel Die Anatomie des Erwachens erschienen ist.

Der Roman hat im Wesentlichen zwei Handlungsstränge. Einer davon ist einer Gruppe von Mädchen gewidmet, die alle die gleiche Highschool besuchen und (zumindest größtenteils) Saxophon-Unterricht bei der gleichen Lehrerin haben. Eine von ihnen, Victoria, hat eine kürzlich aufgedeckte Affäre mit Mr Saladin, dem Leiter der Schulband. Da sie vorübergehend suspendiert ist, bekommt ihre kleine Schwester Isolde alle Aufmerksamkeit ab, die negative wie die positive. Der zweite Handlungsstrang konzentriert sich auf Stanley, einen Jungen, der gerade die Schule beendet hat und nun das Glück hatte, einen der begehrten Plätze an der örtlichen Schauspielschule zu bekommen. Die Handlung deckt in etwa ein Jahr ab, in dem an der Schule die ersten Übungen durchgeführt werden, sich die ersten persönlichen Verstrickungen entwicklen und schließlich für die große Abschlussaufführung geprobt wird.

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Richard Yates: Revolutionary Road

revolutionaryroad„What the hell kind of a life was this? What in God’s name was the point or the meaning or the purpose of a life like this?“

Die Revolutionary Road ist eine Straße, die nicht hält, was der Name im ersten Moment zu versprechen scheint. Das Leben in dem New Yorker Vorort durch den diese Straße läuft, ist so gar nicht revolutionär. Das mag an der Zeit, den 50ern, liegen oder an den Menschen die dort wohnen, vor allem solide situierte Kleinfamilien, die mit Revolutionen wenig am Hut haben.

In diesem Vorort wohnen seit einigen Jahren auch April und Frank Wheeler mit ihren beiden Kindern. Davor führten sie ein freigeistiges und ungebundendes Leben, oder zumindest glaubten sie das, in New York. Doch als April schwanger wurde, gaben die beiden diesen Lebensstil auf und zogen in einen Vorort. Frank beendete sein Leben als Bonvivant und nahm einen Job an in der Firma, in der auch sein Vater schon sein Geld verdient hatte. Langweilig und eintönig aber sicher, von irgendwas müssen die Rechnungen ja bezahlt werden. April, die einmal davon geträumt hatte, Schauspielerin zu werden, ist nun Hausfrau und Mutter.

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Mark Twain: Meine geheime Autobiographie

„In dieser Autobiographie ist es meine Absicht, abzuschweifen, wann immer mir danach zumute ist, und wieder zurückzukehren, wenn ich so weit bin.“

Abschweifen kann Mark Twain tatsächlich wie fast kein Zweiter. Mehr als einmal musste ich beim Lesen seiner Biographie an Abe Simpson denken.

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Carlos Fuentes: Happy Families

„Loving means not talking about love“ happyfamilies

Die an Tarotkarten erinnernden Bilder auf dem Cover scheinen schon daraufhin zu deuten – Familie ist Schicksal. Sie ist die Vorsehung, der man nicht entkommen kann, ob man nun will oder nicht. Und sie ist die kleinste Scherbe des Spiegels der Gesellschaft, ein Mikrokosmos, in dem man jedes Detail des Gesamtbilds wiederfinden kann.

Fuentes erzählt in seinen Kurzgeschichten von sechzehn Familien, die vor allem ihr Unglück gemeinsam haben. An irgendeinem Punkt scheitern in diesem Buch alle Familien. Söhne, die sich gegen ihre Väter auflehnen, Töchter, die durch ihre despotischen Väter in lebenslanges Unglück gestürzt werden, ein Mann, der sich in die falsche Frau verliebt.

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Frank Witzel: Revolution und Heimarbeit

revolutionundheimarbeit„Oft ist es so, daß man das Schreckliche, das in einem selbst rumort, überhaupt nur äußern kann, wenn man es verkleidet, verändert, oder eben einer, oder mehreren Personen als deren Aussage unterschiebt.“

Ein deutscher Journalist reist nach Arlington in der Nähe von Washington, wo er ein Verbrechen aufklären will. Sein Schwager hat ihn auf diese Spur gebracht und hat auch den Kontakt zu seinem Bekannten Snake hergestellt, einem jungen Mann, der ursprünglich aus Deutschland stammt, nun aber schon seit vielen Jahren in den USA lebt. Der Journalist hat sein letztes Geld ausgegeben für den Flug in die USA und ein neues Aufnahmegerät, mit dessen Kopfhörern er aber schlecht zurechtkommt, was, wie er gleich zu Beginn anmerkt, zu Fehlern in seiner Arbeit geführt haben könnte. Nicht immer sei ihm gleich aufgefallen, wenn Aussagen seiner Interviewpartner merkwürdig oder undeutlich waren. Tatsächlich scheinen die Interviews, die er alle in seinen Bericht eingefügt hat, auf den ersten Blick oft nichts mit dem Kriminalfall zu tun zu haben. Überhaupt ist es schwer, herauszufinden, worum es bei diesem Verbrechen gehen soll.

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Michael Pollan: Kochen

„Die Prämisse dieses Buchs lautet, dass das Kochen eine der interessantesten und lohnendsten menschlichen Tätigkeiten überhaupt ist, wobei es allgemein so definiert wird, dass es das ganze Spektrum an Techniken umfasst, die Menschen entwickelten, um Rohstoffe der Natur in nahrhafte und wohlschmeckende Speisen und Getränke zu verwandeln.“pollan_kochen

Pollan, amerikanischer Journalist, geht in diesem Buch der Essenszubereitung in all seinen Facetten nach. Seine Erfahrungen gliedert er dabei in die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde. Einige von euch haben möglicherweise auf Netflix schon seine (sehr sehenswerte) Doku Cooked gesehen, dann dürfte euch einiges, aber bei weitem nicht alles in diesem Buch bekannt vorkommen.

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T. C. Boyle: Wassermusik

Wassermusik„Ich höre es in meinen Träumen. Ich höre es am Morgen, wenn ich erwache und die Vögel in den Bäumen singen. Es ist ein Wispern, ein Klingeln, es ist der Klang von Musik. Und weißt Du, was es ist? Es ist der Niger.“

Wassermusik war vor mehr als 30 Jahren Boyles erster Roman und begründete seinen bis heute andauernden Erfolg. Er erzählt darin in sich abwechselnden Episoden vom Leben zweier Männer, von Mungo Park, einem Afrikaforscher, der tatsächlich gelebt hat und von Ned Rise, der frei erfunden ist. Die beiden wachsen unter sehr verschiedenen Bedingungen auf.

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Lafcadio Hearn: Youma

youma„Die da gehört bereits der Vergangenheit an. Ihr besonderer Schlag war ein Produkt der Sklaverei, größtenteils durch Selektion erzeugt: die einzige Schöpfung der Sklaverei, deren Verlust man vielleicht bedauern könnte“

Irgendwann während meines Studiums habe ich ein Seminar zu Kolonialliteratur gemacht, ich glaube, es war Indien. Seitdem lese ich manisch alles, was irgendwas mit Kolonien zu tun. Ich kann nicht mal sagen warum, aber wenn ich einen Roman finde, der irgendwas mit Kolonien zu tun hat, werde ich ihn früher oder später lesen. Also auch Youma.

Der Roman spielt Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Karibikinsel Martinique. Youma, Tochter einer Sklavin, wächst als Ziehtochter einer weißen Kreolin auf. Ihr fehlt es an nichts, sie wird reich mit Kleidern und Schmuck beschenkt, und Aimée, die Tochter des Hauses, ist ihr wie eine Schwester. Allerdings wird Youma, trotz aller Privilegien, jede Bildung verweigert, da man fürchtet, das könne sie unzufrieden mit ihrer gesellschaftlichen Position machen. Als Aimée das elterliche Haus verlässt, heiratet und Tochter Mayotte auf die Welt bringt, bleiben die beiden unzertrennlich. Aimée erkrankt kurz darauf tödlich und Youma verspricht, immer an Mayottes Seite zu bleiben und wird, wie auch ihre eigene Mutter, eine da, eine Amme, zu der viele Kinder in der kreolischen Gesellschaft ein so enges Verhältnis haben, dass sie ihr näher sind als der eigenen Mutter.

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Joanna Bator: Dunkel, fast Nacht

dunkelfastnacht„So eine Art Schauerroman. Schloss Fürstenstein, Fürstin Daisy und andere Wałbrzycher Geschichten. Ein Teil spielt in der Kriegszeit, aber das meiste heute. Ich konzentriere mich auf die Gegenwart.“

Ich hatte es ja schon befürchtet – meine Erwatungshaltung gegenüber Bators neuem Roman war fast unerreichbar hoch, nachdem ich Sandberg und Wolkenfern so geliebt hatte. Wie auch ihre anderen Romane spielt Dunkel, fast Nacht im polnischen Wałbrzych, rund 60 Kilometer von Wrocław gelegen. Wałbrzych hieß mal Waldenburg und die bewegte deutsch-polnische Vergangenheit sitzt der Stadt und ihren Einwohnern noch immer in den Knochen.

Alicja Tabor ist dort aufgewachsen, lebt aber seit Jahren als Journalistin in Warschau. Nach Wałbrzych zieht sie nichts mehr, ihre Eltern und ihre Schwester sind schon vor Jahren gestorben und ihr bleibt dort nichts als ein verfallendes Haus. Dorthin kehrt sie nun aber im Auftrag ihrer Zeitung zurück, denn drei Kinder sind spurlos verschwunden und sie soll mit den Angehörigen sprechen. Sobald sie in das Haus zurückkehrt, finden die Geister ihrer Kindheit sie wieder. Ihr Vater war Historiker und davon besessen, in Schloss Fürstenstein mit seinem riesigen, unterirdischen Gängesystem einen sagenumwobenen Schatz zu finden. Ihre Schwester Ewa, jung verstorben, glaubte an den Geist der letzten Fürstin Daisy, die ihr Lichtsignale aus dem Schloss sendet. Und durch den Boden des Badezimmers hört man nachts die Geister der Juden klopfen, die in Groß-Rosen ermordert wurden. Aber auch die erwachsene Alicja sieht sich Bedrohungen ausgesetzt. Jemand versteckt sich nachts in ihrem Garten und erhängt wenig subtil eine Katze im Apfelbaum.

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Jane Gardam: Eine treue Frau

treuefrau„Heirate mich, Elizabeth. Verlass mich nie. Ich werde dich nie wieder darum bitten. Aber verlass mich nicht. Nie.“

Elizabeth Feathers, genannt Betty, kennt man schon aus Der untadelige Mann, das im letzten Jahr erstmals auf Deutsch erschienen ist. Während der erste Band der Trilogie ihrem Mann gewidmet war, gehört der zweite nun ihr. Wer den ersten Teil gelesen hat, wird sich vielleicht erinnern, dass die Ehe von Edward und Betty sich nicht gerade durch überbordende Leidenschaft, wohl aber durch gegenseitige Achtung und aufrichtige Zuneigung auszeichnet.

Bettys Eltern stammen aus Schottland, sie selbst ist aber in Tianjin geboren und aufgewachsen, hat das Lager in Shanghai überlebt, ist jung verwaist und nahezu mittellos. Nun ist sie auf der Durchreise in Hongkong und erhält den Brief eines jungen Mannes, der um ihre Hand anhält. Sauber getippt auf dem Briefpapier seiner Kanzlei – Edward Feathers, genannt Filth, gesteht ihr seine Liebe. So reserviert wie diese Ehe beginnt, wird sie auch weitergehen. Edward ist, auch das ist aus dem ersten Teil bekannt, traumatisiert von einer Kindheit, in der er immer das Gefühl hatte, nicht erwünscht zu sein, weitergereicht und bestenfalls geduldet zu werden. Er erhofft sich nicht mehr, als nie mehr in seinem Leben verlassen zu werden und das verspricht ihm Betty, seine treue zukünftige Frau, am Abend ihrer Verlobung. Eine Stunde zu früh, denn nur wenig später lernt sie ihre große Liebe kennen – Terry Veneering, Vater eines missratenen Sohnes, Mann einer wunderschönen Chinesin und Edward Feathers Erzrivale.

Von ihren Gefühlen überwältigt verbringt sie eine wunderbare Nacht mit ihm, die erste überhaupt mit einem Mann. Und wird prompt von Edwards ältestem und treustem Freund Albert Ross ertappt, der ihr unmissverständlich klarmacht, dass er ihr das Leben zur Hölle machen wird, sollte sie Feathers Herz brechen. Also heiratet sie Edward und hält von da an ihr Versprechen.

Gardam ergänzt ihre Reihe nun um die Perspektive der Frau. Beim untadeligen Mann, dessen Handlung mit Bettys Tod erst richtig beginnt, wusste man die ganze Zeit, dass die Hälfte der Geschichte unerzählt bleibt, dass Edward offenbar Dinge nicht mitbekommen oder missverstanden hat. Einige davon werden nun erzählt, viele aber immer noch nicht. Die Darstellung von Betty, der ja nun der ganze Band gehört, bleibt immer noch recht löchrig. Gelegentlich wird erwähnt, dass sie im Lager war, dass sie beim Auswärtigen Amt gearbeitet und geheime Botschaften dechiffriert hat, dass sie viel gereist ist. Details dieser offenbar interessanten Lebensgeschichte werden aber nicht erzählt, während im ersten Teil Edwards Biographie durchaus ausgearbeitet wurde. Im Wesentlichen ist sie immer noch Mrs Feathers, Ehefrau und keine Mutter. Es geht um ihre Arbeit im Kirchenvorstand, den Garten, eine Schwangerschaft, doch alles, was vor der Eheschließung lag, wird höchstens erwähnt. Ihre selbstbewusste, zuweilen unkonventionelle Art und ihr sicheres Auftreten in der sich entwickelnden Metropole Hongkong lassen darauf schließen, dass es durchaus einiges zu sagen gäbe, dass sie nicht nur eine treue sondern auch eine sehr spannende Frau ist. Ihre „mittleren Jahre“ fallen fast komplett unter den Tisch. Sie heiratet, zieht mit Edward nach London, ist in etwa dreißig, erkrankt schwer, erholt sich, kehrt mit Edward nach Hongkong zurück und ist auf einmal schon fast sechzig und wieder auf dem Sprung nach England. Dazwischen? Hat sie sicher auch irgendwas gemacht.

Dafür wird im letzten Viertel des Buchs nochmal ein Teil der Geschichte erzählt, den man aus dem ersten Teil schon kennt, nämlich Edwards einsames Leben in Dorset nach Bettys Tod – am Ende verlässt sie ihn nämlich doch, wenn auch nicht freiwillig. Da Betty nun nicht mehr dabei ist und damit gänzlich jeder neue Input fehlt, ist dieser letzte Teil fast nur noch eine Zusammenfassung des untadeligen Manns mit ein paar wenigen neuen Aspekten. Was jetzt genau mit Veneering war, wird wohl erst im dritten und letzten Teil verraten.

Bei aller Kritik ist Eine treue Frau ein gut zu lesendes (mostly) Feel Good-Buch, das nostalgischen Nachkriegs-Charme versprüht und so britisch ist wie Yorkshire Pudding. Als Ergänzung zu Ein untadeliger Mann funktioniert es allerdings nur bedingt, zu oft ist es schlicht redundant, und es reicht meines Erachtens völlig aus, wenn man eins von beiden gelesen hat.


Jane Gardam: Eine treue Frau. Aus dem Englischen übersetzt von Isabel Bogdan. Hanser 2016. 270 Seiten, € 21,90. Originalausgabe: The Man in the Wooden Hat. Chatto & Windus 2009.

Das Zitat stammt von Seite 40 der Hanser-Ausgabe.