Aus dem belagerten Leningrad – „The Siege“ von Helen Dunmore

Anna Michailovna liebt es, den Sommer in ihrem Garten vor den Toren Leningrads zu verbringen. Dort pflegt sie die Rosen ihrer Mutter, sät und erntet und schläft in warmen Nächten im Gartenhaus. Immer dabei ist ihr kleiner Bruder Kolya, dem sie langsam beibringt, ihr beim Gärtnern zu helfen. Seit ihre Mutter bei seiner Geburt gestorben ist, ist es an Anna, sich um den kleinen Bruder zu kümmern und um ihren Vater, einen Schriftsteller, der sich gründlich und nachhaltig mit der Sowjet-Regierung überworfen hat. Zum Ende des Sommers 1941, Anna denkt schon an die Ernte der Kartoffeln, machen beunruhigende Gerüchte die Runde: Die deutsche Wehrmacht rückt immer näher, im Leningrader Umland wird es gefährlich. Wie auch der Rest der Nachbarschaft packt Anna hastig ihre Sachen und kehrt in die Wohnung der Familie in Leningrad zurück, in die schützenden Grenzen der Stadt. Doch die vermeintliche Rettung wird zur Falle. Im Herbst 1941 beginnt die Blockade Leningrads, die über zwei Jahre dauern wird.

Dunmore schildert das Leben von Annas Familie, die zunächst noch tapfer versucht, sich den Deutschen in den Weg zu stellen. Der Vater, völlig ungeeignet für den Wehrdienst, kämpft an der Front, während Anna Verteidigungsgräben aushebt und hilft, Kinder aus der bedrohten Stadt zu evakuieren. Mitten in dem ganzen Chaos steht auch noch Marina vor der Tür, ehemals eine berühmte Schauspielerin und Ex-Geliebte ihres Vaters. Nur wenige Tage will sie bleiben, die Freundin, bei der sie eigentlich unterkommen wollte, ist gerade erkrankt. Man ahnt es schon: Sie wird nicht mehr gehen. Doch immerhin bringt sie Vorräte aus ihrem Garten mit. Das ist eine sehr willkommene Gabe, denn schon nach kurzer Zeit gehen die knappen Reserven der Stadt zur Neige. Leningrad ist angewiesen auf die Versorgung durch die Landwirtschaft im Umland, doch die Transporte können die deutschen Linien nicht mehr passieren. Wo es überhaupt noch etwas zu kaufen gibt, steigen die Preise ins Unermessliche.

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Verborgen vor der Welt – „Room“ von Emma Donoghue

Für den fünfjährigen Jack ist „Room“ die ganze Welt. Für seine Mutter ist es ein Gefängnis, in dem sie seit sieben Jahren ausharren muss, ein winziges Verlies, in dem ihr Entführer sie gefangen hält. Sie spricht beinahe nicht über ihren Peiniger, aber wenn sie muss, nennt sie ihn Old Nick. Als sie Anfang zwanzig war hat er sie auf einem Parkplatz unter einem Vorwand in seinen Van gelockt und in einen fluchtsicher und schalldicht ausgebauten Gartenschuppen gesperrt.

Die Erzählung erinnert stark an den Fall Fritzl und ist sicher nichts für schwache Nerven. Old Nick kommt an fast jedem Abend in das Gefängnis, um seine Gefangene zu vergewaltigen. Auch Jack ist das Ergebnis einer Vergewaltigung. Obwohl Old Nick Jack und seine Mutter gefangen hält, lässt er keine Gelegenheit aus, sie spüren zu lassen, dass sie ihm eine Last sind. Allein das Geld, das er für ihre Lebensmittel ausgeben muss, für Strom und Wasser, für Zahnpasta und Seife, für Annehmlichkeiten wie Bücher oder eine Topfpflanze. Unbezahlbar das Ganze! Von seinen Gefangenen erwartet er stille Dankbarkeit. Widerspruch und Aufruhr bestraft er, indem er tagelang den Strom abstellt oder den beiden auf andere Art das Leben noch unerträglicher macht. Früher hat Jacks Mutter mehrfach versucht zu fliehen, doch seit ihr Sohn da ist, wagt sie es nicht mehr aus Angst vor Old Nicks Rache bei einem weiteren misslungenen Versuch.

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Dem Vater auf der Spur – „In diesen Sommern“ von Janina Hecht

Blumen pflanzen auf dem Balkon, Urlaub auf dem Bauernhof, ein Sommer in Italien: In solchen Schlaglichtern beleuchtet Teresa die Tage ihrer Kindheit. Das Glück ist dabei höchst fragil. Teresas Vater ist Alkoholiker, seine Launen unberechenbar und die nächste Eskalation nie weit. Auf Zehenspitzen schleichen Teresa, ihr Bruder und ihre Mutter umher, immer darauf bedacht, den Patriarchen nicht zu verärgern. Dabei kann er auch anders sein, bemüht und interessiert. Dann bringt er Teresa das Fahrradfahren bei und kümmert sich um einen Surfkurs für sie. Doch gerade im Urlaub, wenn die Familie den ganzen Tag gemeinsam verbringt, ist die Stimmung fast durchweg angespannt. Selten lässt der Vater seine Wut an den Kindern aus, zumindest, solange sie noch klein sind. Es ist vor allem seine Frau, die seinen ungezügelten Zorn zu spüren bekommt. Doch auch das entgeht den Kindern natürlich nicht. Je älter sie wird, umso mehr geht das Verhalten Teresa gegen den Strich. Sie beginnt, den Vater absichtlich zu provozieren, die Situation auf die Spitze zu treiben.

Teresas Erinnerungen sind sehr knapp und skizzenhaft, dabei aber stark genug, um das äußerst schwierige Verhältnis zum Vater mit aller Wucht zu schildern. Ihre Hilflosigkeit, ihre Wut und ihre Angst stechen in all den kurzen Sequenzen scharf hervor. Im Rückblick versucht die Erzählerin, ihre Erinnerungen zu sortieren, aus lauter Bruchstücken ein komplettes Bild des Vaters zusammenzusetzen, zu dem sie nie Nähe aufbauen konnte. Denn so sehr sie in fürchtet, hassen kann sie ihn nicht, aufgeben will sie ihn nicht. Auch als erwachsene Frau hält sie den Kontakt aufrecht, stellt ihm ihre Freunde vor, sorgt sich um ihn, dessen Alkoholproblem immer schlimmer wird. Die Mutter ist da schon längst gegangen, der alternde Patriarch allein im Familienheim zurückgeblieben.

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Im Schatten des Barden – „Hamnet“ von Maggie O’Farrell

Hamnet ist uns, dem Namen nach zumindest, allen wohlbekannt. Als Prinz von Dänemark hat sein Vater ihm einen ewigen Platz in der Literaturgeschichte geschaffen. Der berühmte Vater aber spielt in diesem Roman kaum eine Rolle. Zu Beginn und als junger Mann ist er noch präsent, aber dann werden seine Aufenthalte in London länger und länger, die Besuche in Stratford immer seltener. Viel mehr ist es seine Frau, im Nachlass ihres Vater als Agnes Hathaway benannt, die ausnahmsweise mal im Scheinwerferlicht steht. Ihr weltberühmter Mann wird nicht einmal namentlich erwähnt. 26 Jahre alt ist Agnes, schön, geheimnisvoll und mit beinahe magischen Fähigkeiten beschenkt, als sie sich in den gerade achtzehnjährigen Lateinlehrer ihrer Halbbrüder verliebt. Für den Vater des Lateinlehrers, einen in finanzielle Schieflage geratenen Handschuhmacher, kommt sie gerade recht. Immerhin bringt sie ein nicht unansehnliches Erbe mit. Was mit hinter ihrem Rücken über sie sagt, ist da erstmal zweitrangig, ebenso wie ihr für eine erste Ehe ziemlich hohes Alter.

„What a way out it would be for the boy, she heard a woman at the market whisper, behind her back. You can see why he’d want to marry into money and get away from the father.“

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Nothing is free in America – „Dominicana“ von Angie Cruz

Ana ist gerade 13 Jahre alt, als der mehr als doppelt so alte Juan beschließt, dass sie seine Frau werden soll. Das Angebot kann sie nicht ausschlagen. Er ist einer der Ruiz-Brüder, die es in New York zu Wohlstand gebracht haben und vorteilhafte Geschäfte für ihre Familie versprechen. Anders als ihre Schwestern und Freundinnen hat Ana nie von einem Leben in den USA geträumt. Aber es ist der Traum ihrer Generation und ihrer Familie und irgendjemand muss ihn eben leben. Pech für Ana, dass es gerade sie trifft. Als sie 15 ist, holt ihr Bräutigam sie ab. Die Hochzeitszeremonie besteht darin, dass Juan gefälschte Papiere besorgt, nach denen sie erstens 19 und zweitens seine Frau ist und am nächsten Morgen landet sie schon in New York.

Ana träumt davon, zur Schule zu gehen, Englisch zu lernen, vielleicht sogar zu studieren. Sie will ein eigenes Unternehmen gründen und ein eigenes Auto fahren, schöne Kleider tragen und ein selbstständiges Leben führen. Nichts davon erwartet sie in New York. Die riesige Stadt überfordert sie, aber Juan lässt sie ohnehin nicht alleine aus der Wohnung. Während er arbeiten ist, hütet sie das Haus, putzt und kocht und verkauft Bekannten ihres Mannes Anzüge, die vom Lastwagen gefallen sind. Von Schule und Ausbildung ist keine Rede mehr. Sie solle fordern, hatte ihre Mutter ihr geraten: Kleider, Geld, Schmuck. Doch wenn sie fordert, sagt Juan nur nein, er könne es sich nicht leisten. Zu allem Überfluss hat Juan auch noch eine Beziehung zu einer anderen Frau, und das schon seit Jahren. Ana bleibt nichts, als es zu akzeptieren. Heimlich legt sie Dollar für Dollar zur Seite und hofft, davon bald einen Flug nach Hause zahlen zu können, denn New York wird niemals ihr zu Hause sein, das weiß sie sofort. Einen Lichtblick in dieser hoffnungslosen Situation gibt es erst, als Juan für mehrere Wochen verreist. In der Dominikanischen Republik ist ein Krieg ausgebrochen, Juan muss dort nach dem Rechten und seinem Besitz sehen. Ana bleibt alleine in New York zurück und kann endlich die Freiheit erleben, die sie sich von den USA erhofft hatte.

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Es ist der Alltag, der uns zerstört – „Herr Oluf in Hunsum“ von Christopher Ecker

Herr Oluf in Hunsum berichtet von etwas ganz Alltäglichem und eigentlich unerträglich Langweiligem: Ein Philosophen-Kongress in einem Tagungshotel in etwas abgeschiedener Lage direkt am Deich. Zu sehen gibt es Kollegen und Schafe, zu hören vor allem Selbstgefälliges. Dorthin reist Professor Oluf Sattler im Auftrag seines Instituts um in einem Vortrag die bisherigen Geldgeber davon zu überzeugen, weiterhin Geldgeber zu bleiben. Dass das keine gute Idee ist, lässt einen gleich der erste Satz des Romans wissen: „Du hättest nicht fahren dürfen!“ Die Anklage gegen den Hauptdarsteller ist damit eröffnet.

Die Tat, die ihm vorgeworfen wird: Obwohl Frau und Kleinkind hohes Fieber haben, fährt Oluf Sattler zum Kongress. Er wirft sich das vor und seine Frau ihm wohl auch, denn schon direkt nach seiner Abreise reagiert sie nicht mehr auf seine Anrufe. Irgendwann geht nicht einmal mehr der Anrufbeantworter dran. Oluf Sattler malt sich das Schlimmste aus. Sein verzweifelter Versuch, seiner Frau eine E-Mail zu schreiben, ist zum Scheitern verurteilt: um sich einzuloggen, soll er eine Sicherheitsfrage beantworten und alle Bilder mit Autos antippen. Der Professor, der sich seit Jahren nur noch mit Bildern und Abbildungen befasst, versteht die Gedanken hinter dieser Frage nicht: ist ein Auto ohne Kennzeichen, also ein stillgelegtes Auto, überhaupt noch als Auto zu werten? Was macht ein Auto zum Auto? Und wie würde eine Person, die sich solche Rätsel ausdenkt, wohl darüber denken? Er scheitert wieder und wieder, länger und länger kann er seiner Frau keine Nachricht zukommen lassen, denn sein völlig veraltetes Handy verschickt auch keine SMS mehr.

Sattlers Schuldgefühl wächst mit jedem zurückgelegten Kilometer und zugleich kommen Erinnerungen hoch an eine fast vergessene und noch viel größere Schuld. In Gesprächen mit einem fiktiven Psychotherapeuten arbeitet er dieses und das gegenwärtige Versagen auf.

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Wozu die Schönheit uns treibt -„On Beauty“ von Zadie Smith

Die Kunstwissenschaftler Monty Kipps und Howard Belsey sind Erzrivalen. Sie haben nicht nur völlig verschiedene Ansichten zu Rembrandt, sondern auch dazu, wie Universitäten und Bildung aussehen sollten und eigentlich zur Welt an sich. Ihr aktueller Kleinkrieg ist an einem Selbstporträt Rembrandts entbrannt und noch weit davon, beigelegt zu werden, als Monty als Gastdozent ausgerechnet an Howards College im beschaulichen Wellington unterrichten soll. In der Kleinstadt und erst recht am kleinen College ist es völlig unmöglich, sich aus dem Weg zu gehen. Dabei hat Howard auch ohne Monty schon genug Ärger: Nach dreißig Jahren Ehe hat er seine Frau betrogen, die gar nicht daran denkt, ihm zu verzeihen.

On Beauty konzentriert sich vor allem auf die Familie Belsey, bestehend aus Howard, seiner Frau Kiki und den Kindern Levi, Jerome und Zora. Mit ihnen und ihrem konservativen Gegenpart, der Kipps-Familie, bringt Zadie Smith eine enorme Fülle von Themen und Konflikten in den Roman, ohne, dass es konstruiert wirkt. Eines der vorherrschenden Themen des Romans ist Rassismus, der den Figuren in unterschiedlichem Ausmaß begegnet und der sie auf verschiedene Arten beschäftigt. Kiki Belseys ist Schwarz und sowohl sie als auch ihre Kinder werden im weißen Wellington gelegentlich mit Argwohn betrachtet, besonders Levi, der auch durch seine Kleidung negativ auffällt. Er selbst definiert sich mehr als alle anderen Familienmitglieder als Teil einer diskriminierten Minderheit, sucht einen Ausweg aus der behüteten Mittelschicht und wird mit seinem Engagement für Haiti politisch aktiv. Damit bildet er einen Gegenpol zu seinem Vater, der sein Leben und ein Forschen ausschließlich der Ästhetik verschrieben hat und das so sehr, dass ihm der Bezug zur Realität vor lauter Schönheit manchmal fast abhanden kommt: Während sein gesamtes Kollegium schon lange auf Powerpoint umgestellt hat, kritzelt Howard immer noch auf Overhead-Folien herum.

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Familiäre Erwartungshaltung – „Stay With Me“ von Ayòbámi Adébáyò

Als Akin und Yejide sich das erste mal im Kino begegnen, ist es für beide Liebe auf den ersten Blick. Wenige Jahre später sind sie verheiratet und eigentlich glücklich. Zum perfekten Glück fehlt den beiden allerdings ein Kind, das findet vor allem Akins Familie und seine Mutter. Ihr Sohn muss einen Nachkommen zeugen, komme was wolle. Nachdem man bei diversen Untersuchungen kein Problem feststellen kann, schleppt Akins Mutter Yejide von Wunderheiler zu Wunderheiler, damit ihre Stieftochter bloß endlich schwanger wird. Als das nichts hilft, greift sie zu einer pragmatischen Lösung: Akin braucht einfach eine Zweitfrau, die mit der jungen Funmi auch schnell gefunden ist.

Yejide ist schockiert. Sie selbst ist die Tochter einer ersten Ehefrau und wurde von den weiteren Frauen ihres Vaters immer so schlecht behandelt, dass für sie nie etwas anderes in Frage kam, als eine monogame Ehe. Und nun ist da Funmi. Nach der Wut kommt bald die Angst. Was, wenn Funmi vor ihr schwanger wird? In einem letzten Versuch besucht Yejide einen weiteren Wunderheiler, der ihr verspricht, dass sie wenigen Tagen schwanger sein wird. Doch obwohl Yejides Bauch dicker und dicker wird und sie sogar die Tritte des Kindes spürt, ist beim Ultraschall nichts zu sehen. Akins vorsichtige Andeutungen, dass sie vielleicht wirklich nicht schwanger sein könnte, strapazieren die ohnehin unter Druck stehende Ehe noch weiter.

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Fordernde Sommerfrische – „To the Lighthouse“ von Virginia Woolf

To the Lighthouse zählt zweifelsohne zu den bekanntesten Romanen Woolfs und vermutlich auch der Literaturgeschichte. Doch was den Leuchtturm angeht, beginnt er mit einer Enttäuschung: Aufgrund des rauen Wetters ist ein Besuch gar nicht möglich. Damit entspinnt sich schon der erste Konflikt der Familie Ramsay, die im Roman die zentrale Rolle einnimmt. Mrs. Ramsay ist darum bemüht, ihrem enttäuschten Sohn ein Wunder in Aussicht zu stellen, während ihr Mann überzeugt ist, dass der Ausflug keinesfalls stattfinden kann und man dem Jungen keine unnötige Hoffnung machen sollen.

„They came to her naturally, since she was a woman, all day long with this and that; one wanting this, another that; the children were growing up; she often felt she was nothing but a sponge sopped full of human emotions.“

Die Familie Ramsay, angeführt vom angesehen Philosophen Mr. Ramsay als Familienoberhaupt, verbringt im ersten Teil des Romans (The Window) wie in jedem Jahr ihren Sommer auf der Isle of Skye. Die Ramsays leben in dieser Zeit mit ihre acht Kindern (acht! Und das mit einem Philosophengehalt!) in einem Haus ganz nah am Meer, hinter dem ein kleiner Garten sanft in Richtung Küste abfällt. Das sommerliche Idyll teilen die Ramsays mit einigen Gästen, darunter die Malerin Lily Briscoe und der Dichter Augustus Carmichael. Der Roman ist besonders auf das Innenleben seiner Figuren konzentriert: der Fokus springt von Person zu Person und erlaubt so unterschiedliche Sichtweisen, nicht so sehr auf das äußere Geschehen, als auf die unterschiedlichen Wahrnehmungen und auf die inneren Konflikte der Personen. Viel Handlung enthält der erste Teil indessen nicht. Vor allem geht es darum, ob der geplante Ausflug nun stattfinden kann oder nicht (kann er nicht), um Spaziergänge in die Stadt und an den Strand und um ein Abendessen. Es ist die ganze träge Ereignislosigkeit eines freien Sommertages. Diese Trägheit ist natürlich nur oberflächlich, denn wie eben schon gesagt, ist der wahre Reichtum des Romans ja nicht in der Handlung zu suchen.

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Familiäres Trauma – „May We Be Forgiven“ von A. M. Holmes

Die Brüder Harold und George Silver waren sich noch nie grün. Verwandte erinnern sich an Schlägereien bei Familienfesten und Harold ist sich sicher, dass George ihn töten wollte. Als Erwachsene haben sie ein zivilisierteres, wenn auch nicht unbedingt besseres Verhältnis. Bis zu der Nacht, in der George in die Psychiatrie kommt, nachdem er einen Unfall mit mehreren Toten verursacht und vielleicht sogar provoziert hat. Harold und Georges Frau Jane beginnen eine Affäre, von der George trotz seiner Abwesenheit bald Wind bekommt. Er entkommt aus der Psychiatrie und tötet Jane.

„You grow up thinking your family is normal enough, and then, all of a sudden, something happens and it is so not normal, and you have no idea how it got that way, and there’s really nowhere to go from here – it will never be anywhere near normal again.“

Die gemeinsamen Kinder des Ehepaares sind nun Harolds Verantwortung, der völlig überfordert ist mit jedem Aspekt der Situation. Die Umstände sind ausgesprochen tragisch, Homes gelingt es aber überraschend gut, das Absurde daran hervorzuheben ohne jemals pietätlos zu sein. Harold gerät in eine völlig neue Welt. Als Historiker mit Spezialisierung auf Nixon kommt er eher schlecht als recht über die Runden, während George erfolgreich in der Unterhaltungsindustrie war und beide Kinder an teuren Privatschulen untergebracht hat. Harold weiß nicht, wie man mit Kindern umgeht, er weiß nicht, wie man mit viel Geld umgeht und er weiß auch noch nicht so richtig, wie man mit dem Internet umgeht. Das führt skurrilen Bekanntschaften auf Dating-Plattformen, die mehr oder wenig explizit geschildert werden. Homes Humor reicht von knochentrocken bis burlesk und ist manchmal fast ein bisschen überdreht.

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