In der Sackgasse – The Street

The Street erzählt die Geschichte von Lutie Johnson – jung, schön, arm, Schwarz und im New York der 1940er Jahre verzweifelt bemüht, sich und ihrem Sohn eine bessere Zukunft aufzubauen. Völlig verarmt, aber immerhin sittlich gefestigt müht sie sich mit dem trostlosen Leben in Harlem ab.

Es gibt so Straßen, da wohnt fast niemand wirklich gerne. Die Wohnungen sind günstig aber heruntergewirtschaftet, die Nachbarn originell und die Bonitätseinstufung bald im Keller. Aber für manche sind sie auch die einzige Zuflucht. So auch für Lutie Johnson, die in den 1940ern eine bezahlbare Wohnung für sich und ihren Sohn in New York sucht. Damals wie heute ein schwieriges Unterfangen und für Lutie erst recht, weil für sie als Schwarze viele Wohngegenden gar nicht erst in Betracht kommen.

Als ihr in der 116th Street in Harlem eine Wohnungen angeboten wird, schlägt sie sofort zu, obwohl der Hausverwalter Jones ihr von Anfang an höchst merkwürdig vorkommt. Es wird schon gehen denkt sich Lutie, die sich sicher ist, dass sie bald genug Geld verdienen wird, um eine bessere, schönere Wohnung bezahlen zu können. Sie rackert sich ab und greift nach jedem Strohhalm, um dem Elend zu entfliehen. Über all das verliert sie ihren Sohn Bubb aus den Augen, der ängstlich in ihrer Wohnung auf sie wartet und bald einen sehr fragwürdigen Freund in Jones findet. Sie selbst gönnt sich kaum Freizeit und schon gar keine Freundschaften, für so etwas hat sie gar keine Zeit.

Als sie in den Mantel schlüpfte, wollte sie sich einfach das Gefühl gönnen, dass sie irgendwohin ging, wo sie für kurze Zeit die Rechnungen – Gas, Miete, Strom – vergessen könnte. Irgendwo, wo Platz war und die Wände nicht unerbittlich näher rückten – einem die Luft zum Atmen nahmen.

S. 75

Schon nach kurzer Zeit beginnt Lutie zu fürchten, dass sie niemals in einer besseren Straße als der 116th Street wird wohnen können, wie sehr sie sich auch anstrengen mag. Egal, wie hart sie arbeitet und egal, wie eisern sie spart – das Elend hält sie fest umklammert. Dass sie jung und hübsch ist, macht alles nur noch schlimmer. Der Hausverwalter bedrängt sie auf unangenehmste Art und vielversprechende Job-Aussichten entpuppen sich als plumper Versuch, sie rumzukriegen. Auch das übrige Romanpersonal zeichnet sich nicht eben durch Humanität und Empathie aus, vor allem die Männer. Sie sind durch die Bahn schmierig, gierig, großspurig, unzuverlässig und nur an Luties gutem Aussehen interessiert. Allenfalls Mrs. Hedges, die tagein, tagaus aus ihrem Fenster guckt, scheint es gut mit den Menschen zu meinen, aber auch das hält nur so lange an, wie es nicht ihren eigenen Vorteil gefährdet.

The Street wurde nach der Erstveröffentlichung 1946 ein Bestseller und der erste Roman einer afro-amerikanischen Autorin, von dem mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden. Auf den deutschen Markt schaffte der Roman es erst sehr viel später, war aber auch hier ein Erfolg. Vielleicht, weil Luties Geschichte seit Jahrzehnten fortgeschrieben wird. Die Erfahrung, dass Sexismus, Rassismus und Klassismus jeden Aufstieg verhindern, machen Menschen damals wie heute in wahrscheinlich jeder Stadt der Welt.

Doch so weit verbreitet Luties Probleme auch sein mögen, so ist sie doch eine besondere Persönlichkeit. Petry macht ihre Einsamkeit und Verzweiflung nahbar und nachvollziehbar. Der Roman wirft ein unbarmherziges Licht auf die Straßen Harlems, durch die der eisige Wind die Zeitungsblätter weht, auf die hellhörigen Wohnungen, in denen man jeden Streit der in ebenso prekären Verhältnissen lebenden Nachbarn mitbekommt. Und auf die Menschen, die bei all der Trostlosigkeit nicht so zuversichtlich bleiben wie Lutie, und verschlagen werden, lügen und betrügen, um die eigene Haut zu retten. Lutie aber bleibt sittlich und standhaft – manchmal ein bisschen zu sehr. Diese Protagonistin erlaubt sich so wenig Fehltritte, dass es manchmal ein bisschen viel des Guten ist. Immer bleibt sie standhaft und ehrlich und verliert nicht den Willen, sich am eigenen Schopf aus dem Elend zu ziehen. Doch dazu bräuchte es, das ahnt man schnell, ein mittelgroßes Wunder.

Ann Petry: The Street – Die Straße.
Nagel & Kimche, 2020. 383 Seiten.
Aus dem Amerikanischen (The Street) übersetzt von Uda Strätling.
978-3-312-01160-5

7 Gedanken zu “In der Sackgasse – The Street”

      1. Ich habe den Film damals im Kino gesehen (ist also schon eine Weile her) und ihn als sehr sehenswert in Erinnerung. Tolle Schauspielerinnen vor allem.

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