Alles so schön bunt hier – Red Side Story

Man hat es nicht mehr zu hoffen gewagt: Jasper Fforde setzt seine Reihe „Shades of Grey“ endlich fort. Und die lange Arbeit daran scheint sich gelohnt zu haben – der zweite Teil steht dem ersten qualitativ in nichts nach.

Das Letzte, was ein totalitäres Regime gebrauchen kann, sind Bürger*innen, die zu viele Fragen stellen. East Carmine hat gleich zwei davon – Jane Brunswick und Eddie Russet. Beide sind dafür bekannt, dass sie notorisch Ärger machen und permanent versuchen, das komplexe und strikte Regelsystem des Staates an seine Grenzen zu bringen.

Das Erste, was ein totalitäres Regime mit solchen Untertanen macht, ist, sie auszuschalten. Jane und Eddie stehen zu Beginn dieses Romans, dem zweiten aus der „Shades of Grey“-Reihe, sehr kurz vor einem Prozess, der ihnen noch aus dem ersten Teil anlastet und mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit damit enden wird, dass sie zum Tode verurteilt werden. Bisher haben die beiden sich aus allem irgendwie rauswieseln können. Fraglich, ob ihnen das wieder gelingt.

Oder eben auch nicht, denn natürlich sterben die Protagonisten einer Reihe nicht schon in Teil 2, erst recht nicht, wenn man vierzehn Jahre auf diesen Teil gewartet hat. Jasper Fforde hatte das ungeheure Pech, dass der erste Teil seiner Reihe unter dem Titel Shades of Grey 2011 erschien und das nur sehr wenige Monate vor einem inhaltlich völlig anderen aber kommerziell unendlich erfolgreicheren Buch mit gleichem Titel. Damit ist er sang- und klanglos untergegangen, obwohl noch schnell der Untertitel „the Road to High Saffron“ hinzugefügt wurde. Danach wurde der zweite Teil ungefähr 700 Mal angekündigt und verschoben und nun ist er endlich da.

Jasper Fforde siedelt die Geschichte an in einer Zivilisation, die sich nach dem Ende der Menschheit entwickelt hat. Ihre Individuen sehen nicht alle Farben und welche man sieht und zu welchem Grad, bestimmt den eigenen gesellschaftlichen Status. Diese Regel steckt den Bürger*innen quasi in der DNA und niemand würde davon abweichen. Das Leben ist streng geregelt nach dem Buch Munsell, das für jeden Fall eine Regel kennt und auch besagt, wie ein Abweichen davon bestraft wird. Meistens drakonisch. Ausbrechen aus diesem System kann man nicht, denn eine andere Welt gibt es eben nicht. Oder… vielleicht doch? Nach einem sensationellen Fund und einer aufschlussreichen Begegnung glauben Jane und Eddie sehr wohl, dass es noch ein anderes Land geben muss, und dass es dort jemanden gibt, der mehr über das alles weiß. Viel mehr.

We now knew where we are, and might figure out when – but this added another question: what were we doing here?

S. 117

Natürlich riskieren sie Kopf und Kragen, um die Wahrheit zu finden. Sie sind getrieben von dem Wunsch, ihre Gesellschaft zu verbessern, die engen Fesseln des Regimes zu sprengen, aber sie haben auch ein ganz privates Interesse: Sie lieben sich, aber als Grün und Rot können sie niemals zusammen leben. Sie sind eine Art Guerilla-Romeo und Julia in einer Welt, in der wahre Liebe kaum existiert. Ehen werden aufgrund günstiger Mischverhältnisse geschlossen und dann erträgt man sich eben irgendwie.

Jane und Eddie ertragen sich sehr gut und nachdem sie auf abenteuerliche Art und Weise ihrem fast schon sicheren Tod entkommen sind, sichern sie sich Plätze für den großen Jahrmarkt in Vermillion, den man natürlich auch nur mit Sondererlaubnis besuchen darf. Zwischen all den halbseidenen Gestalten, die dort in diversen Zelten und Buden Waren und sonst was verkaufen, hoffen sie, der Wahrheit einen großen Schritt näher zu kommen.

Vielleicht war es gar nicht schlecht, dass Fforde so viele Jahre gebraucht hat, der Roman kann es nämlich problemlos mit seinem Vorgänger aufnehmen. Der erste Teil war beinahe überfordernd damit, wie die gesamte Weltordnung auf den Kopf gestellt hat, daran hat man sich nun im zweiten Teil gewöhnt. Es gibt also weniger ganz neues, aber immer noch sehr kluge Wendungen und sehr lustige Elemente. Das einzige, was mich persönlich nervt, aber das ist wirklich rein persönlich, ist dass Fforde sich immer Sportarten ausdenken muss, die dann einen überproportional großen Platz einnehmen, in diesem Fall das Gyro-Bike-Rennen. Aber das kann man ihm wirklich nachsehen. Wer den ersten Teil der Reihe noch nicht gelesen hat, sollte unbedingt damit anfangen, ansonsten ist diese Welt schon sehr verwirrend. Und wer ihn schon kennt, darf sich hier auf ein neues großes Vergnügen freuen.

Jasper Fforde: Red Side Story.
Hodder Stoughton 2024, 376 Seiten.
978 – 1 – 444 – 76376 – 6

Die deutschen Übersetzungen sind unter den Titeln Grau und Rot bei Eichborn lieferbar.

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