Lipitsch, der Misanthrop -„Der Kreis des Weberknechts“ von Ana Marwan

Karl Lipitsch, seinen Vornamen erfährt man erst spät und nebenbei, denn Lipitsch siezt gerne, lebt ein zurückgezogenes Leben. Er hat sich ein Jahr Auszeit genommen, um an seiner philosophischen Schrift zu arbeiten. Gestört werden will er dabei nicht und überhaupt schätzt er den Umgang mit anderen Menschen nicht. Er bezeichnet sich selbst als Misanthrop und hält vor allem Frauen für eine ärgerliche Ablenkung.

„Allein zu leben, hingegen, bedeutete für Lipitsch das höchste Glück. Er lebte seit einem halben Jahr in einer Art Einsamkeit, die er vollkommen nannte.“

Blöd für ihn, dass ihn eines Tages, er kehrt gerade von einer Reise zurück, seine Nachbarin Mathilde anspricht. Er ist gezwungen, gemeinsam mit ihr in der Bahn zu sitzen und gepflegten Smalltalk zu betreiben, bis sich ihre Wege vor der Haustür endlich trennen. Das allerdings nur vorübergehend. In den nächsten Tagen spricht Mathilde ihn immer wieder über den Gartenzaun an, bringt Kuchen, kommt schließlich zum Kaffee vorbei. Ehe er sich versieht, ist Lipitsch ihr ins Netz gegangen und verstrickt sich mit jedem Fluchtversuch nur noch mehr in den klebrigen Fäden.

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Mathilde gegenüber bleibt er schroff und abweisend. Obwohl ihre Freundschaft über Monate andauert, erfährt er nur sehr wenig über sie. Er weiß nicht einmal, was ihr Beruf ist. Kein Wunder, dass Mathilde das Interesse an der Verbindung zu verlieren droht, während Lipitsch verärgert auf jeden Konkurrenten schielt.

Marwan überzeugt in ihrem Debüt-Roman vor allem stilistisch. Lipitsch legt Wert auf gewählten Ausdruck und intellektuellen Diskurs, und das schwingt auch im Roman mit. Selbstverständlich glaubt Lipitsch dabei immer, er kenne sich in „seinen“ Feldern am besten aus. Das alles erzählt Marwan mit einem deutlich ironischen Unterton. So beeindruckend der Roman aber stilistisch ist – die Handlung trägt nicht weit. Lipitsch verrennt sich immer weiter in seinen Gefühlen zu Mathilde, erstarrt aber in seiner Unfähigkeit zu funktionierender zwischenmenschlicher Interaktion. Diese Beziehung zu sezieren ist nervenaufreibend und darf das auch sein. Die Diskrepanz aber zwischen durchgehend sehr geschliffenem Stil und der großen Alltäglichkeit der Handlung wirkt, vor allem zum Ende hin, streckenweise bemüht und beinahe gekünstelt. Diese Diskrepanz hat mich vor allem deshalb geärgert, weil Der Kreis des Weberknechts so voll ist von klugen, witzigen und ironischen Beobachtungen und einen smarten Blick auf die Geschehnisse hat. Und auch der Stil ist für sich genommen enorm gut. Aber wie Mathilde und Lipitsch passen sie am Ende nicht zusammen, obwohl es so gut angefangen hat. Das ist beides  sehr schade.


Ana Marwan: Der Kreis des Weberknechts. Otto Müller Verlag 2019.

Ich danke dem Verlag für das Leseexemplar, das mir im Rahmen von „Das Debüt“ überlassen wurde.

Das Zitat stammt von S. 5.

Dieser Roman war auf der Shortlist von „Das Debüt“ 2019.

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