Die namenlose Protagonistin in Kandasamys Roman heiratet sehr jung und zieht mit ihrem Mann nach Mangalore, wo er an der Universität arbeitet. Sie spricht die lokale Sprache nicht, findet zunächst keine Anstellung und noch weniger Anschluss und bleibt zunächst zu Hause. Als Autorin und Übersetzerin kann sie schließlich auch von dort aus ein wenig arbeiten.
Nach nur wenigen Tagen Ehe beginnt schon der Terror. Beim Abendessen beginnt ihr Mann, sich mit Streichhölzern Verbrennungen zuzufügen. Er will erst aufhören, wenn sie ihren Facebook-Account deaktiviert. Also schreibt sie einen letzten schnellen Post, behauptet eine kurze Auszeit zu brauchen, um in ihrem neuen Leben anzukommen, und deaktiviert das Konto. Wenige Tage später gibt er ihr das Passwort zu seinem Mail-Konto und verlangt das ihre. Wenn sie nichts zu verbergen habe, könne sie es ihm ja geben. Er beginnt, ihre Mails zu beantworten und deaktiviert schließlich das Internet ganz, solange er nicht zu Hause ist. Sie bekommt ein neues Handy, dessen Nummer niemand kennt. Er schneidet sie von ihrem bisherigen Leben vollkommen ab, weil er Angst hat, dass sie Kontakt zu anderen Männern haben könnte, dass sie Ex-Freunde anruft. Das alles reicht aber immer noch nicht, um ihn zu beruhigen. Er wirft ihr vor, dass sie immer noch an sie denke, dass sie andere Männer in Gedanken liebe.
Er fängt an, sie zu schlagen. Mit den Händen, mit Kabeln, mit Stöcken. Wenn sie tagsüber zu faul war, wenn sie Widerworte gibt, wenn sie sich rechtfertigt, wenn sie an andere Männer denkt. Ihr Mann brüstet sich damit, im Untergrund für die maoistische Bewegung Indiens gekämpft zu haben. Er sagt, er könne Menschen töten, ohne mit der Wimper zu zucken. Er vergewaltigt sie. Zunächst nur als weitere, spontane Strafe, dann systematisch, jede Nacht. Er will sie dafür bestrafen, dass sie jemals mit anderen geschlafen hat, er will dafür Sorgen, dass sie Angst hat vor Sex, damit sie niemals fremdgeht, ihn nicht mehr verlässt. Und er will dafür sorgen, dass sie möglichst schnell schwanger wird. Schon ohne Kind kann die Erzählerin ihn nicht verlassen, ohne sich und ihre Familie schrecklich zu blamieren. Mit Kind wäre ihre Flucht faktisch unmöglich.
„When he hits me, the terror flows from the fear that today he uses his bare hands, but tomorrow he could wield a heavy-buckled belt, he could grab an iron rod, he could throw a chair, that he could break open my head against a wall.
Every day I inch closer to death, to dying, to being killed, to the fear that I will end up in a fight whose result I cannot reverse.“
Die Erzählerin kann sich an beinahe niemanden mehr wenden, nachdem ihr Mann fast alle Kommunikations-Wege dicht gemacht hat. Oft telefoniert sie mit ihren Eltern im entfernten Chennai. Die raten ihr, durchzuhalten. Leise zu treten, keine Widerworte zu geben, eine gute Hausfrau zu sein, kurz: ihn nicht zu verärgern, ihm keinen Anlass zur Gewalt zu geben. Und vor allem raten sie ihr, schwanger zu werden. Ein Kind werde Ruhe in die Beziehung bringen.
Kandasamy beschreibt nicht nur das grausame Schicksal einer einzigen Ehefrau, sondern sortiert die Geschehnisse in die gesellschaftlichen Zusammenhänge ein. Sie macht verständlich, warum ihre Flucht so unfassbar schwer war und warum so viele Frauen in Indien Opfer häuslicher Gewalt werden, ohne sich effektiv dagegen wehren zu können. Neben den gesellschaftlichen Umständen schildert sie auch die Ungläubigkeit, die ihr in ihrem privaten Umfeld oft begegnete: Freundinnen, die nicht glauben konnten, dass er wirklich so schlimm war, dass ihm nicht einfach nur Liebe fehlte, und Bekannte, die ihr vorwarfen, als gute Feministin habe sie viel eher gehen müssen.
Die Gewalt in ihrer kurzen Ehe schildert die Autorin distanziert und überlegt, aber um nichts weniger dringlich. Kandasamy ist auch Lyrikerin, was man ihrem Text anmerkt. Sie gibt ihrem Text einen Rhythmus, der einen mitreißt, ohne dass es zu stilisiert wirkt. Den einzelnen Kapiteln stellt sie Zitate und Gedichte anderer Frauen voran. Sie gibt ihrem Roman damit und mit ihren eigenen Überlegungen zum Feminismus einen theoretischen Unterbau, der ihr individuelles Schicksal in einen größeren Kontext einordnet, ohne dass das bemüht oder künstlich erscheint. Die rabiate Gewalt, die in diesem Roman geschildert wird, verlangt den LeserInnen einiges ab. Die Poetik der Sprache dämpft das etwas, schmälert aber nicht das Leiden der Erzählerin. When I Hit You ein kraftvoller, schonungsloser und mutiger Roman, der einen nicht so schnell wieder loslässt.
Meena Kandasamy: When I Hit You. Or, A Portrait of the Writer as a Young Wife. Atlantic Books 2018. 249 Seiten. Erstausgabe Atlantic Books 2017. Eine deutsche Übersetzung von Karen Gerwig ist unter dem Titel Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau für März 2020 bei CulturBooks angekündigt. (Danke für den Tipp, letteratura.)
Das Zitat stammt von S. 187.
2018 war der Roman auf der Shortlist des Women’s Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des wpf-Leseprojekts.
Schade, dass es noch keine Übersetzung gibt. Ich fand ihren Roman „Reis & Asche“ bereits sehr stark.
Viele Grüße!
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Den kenne ich noch nicht, aber das hier war sicher nicht das letzte, das ich von ihr gelesen habe.
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Ich glaube, es wird eine Übersetzung geben, ich habe das Buch meine ich in einer Vorschau entdeckt …
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Danke dir für deinen Hinweis! Ich habe nochmal bei VLB-TIX geguckt und bin tatsächlich fündig geworden. Das Buch erscheint im März bei CulturBooks. Ich ergänze das mal im Post.
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Genau, das war’s! 🙂
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Das ist ja toll! Danke!
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