Pause.

Den aufmerksameren Leser*innen wird es nicht entgangen sein: In den letzten Monaten ist hier nicht viel passiert. Und es wird auch erstmal nicht viel passieren.

Der Abgesang des Blogs scheint allgegenwärtig und das auch nicht erst seit ein paar Monaten. Bis zum Herbst war ich mir sicher, dass mir das egal ist und mich auch nicht betrifft. Dann setzte ich mich im September an meinen Laptop um über ein Buch zu schreiben und dachte „das hab ich alles schon gesagt. Einhundert Mal“ Ich habe den Laptop wieder zugemacht und nichts über das Buch geschrieben. Und auch über sonst fast nichts mehr, bis auf ein paar Beiträge, die schon halbfertig im Entwurfs-Ordner lagen.

Wenn man mal die reine Statistik betrachtet, geht es dem Blog gar nicht so schlecht, die Zahlen sind zumindest stabil, oft im leichten Aufschwung. Aber darum geht es ja gar nicht. Die Interaktions-Raten sind auf einem all time low, nicht nur auf dem Blog, sondern auch an anderen Stellen. Facebook habe ich vor Ewigkeiten aufgegeben, über twitter müssen wir wohl gar nicht sprechen.

Erschwerend hinzu kommt, dass ich gar nicht mehr so viel Zeit habe. Mein Anspruch war immer, mindestens eine Rezension pro Woche zu schreiben und ein „Essen aus Büchern“ im Monat. Das war natürlich nur mein Anspruch, kein Mensch hätte gemerkt, wenn mal was ausgefallen wäre. Trotzdem hat mich das zunehmend unter Druck gesetzt, denn die Freizeit-Konkurrenz für den Blog ist gewachsen. Als ich 2015 damit angefangen habe, lebte ich in der kleinsten kreisfreien Stadt Niedersachsens und das ist genau so, wie es klingt. Das Kulturleben beschränkte sich auf einen Filmclub, der einen eigenen Artikel wert wäre, und mein Sozialleben auf meine Freundin Lisa, mit der ich abwechselnd an unseren Küchentischen saß, billigen Weißwein trank und selbstgedrehte Zigaretten rauchte. Lisa ist weggezogen, der Wein ist auch teurer geworden, ich lebe inzwischen in der größten kreisfreien Stadt Bremens, was aber keine Kunst ist. Es ist nicht selten, dass fast jeder Abend in der Woche verplant ist, etliche davon mit teurem Weißwein. Für den Blog bleibt da oft nicht die Zeit.

Noch erschwerender kommt hinzu, dass sich die Mühe, trotz stabiler Zahlen, oft nicht zu lohnen scheint. Wobei das ja auch die nicht uninteressante Frage aufwirft, wann ein Blog sich denn „lohnt“. Die Artikel, die mir am wichtigsten sind und die Artikel, die am meisten Arbeit machen, sind oft leider auch die, die am wenigsten Aufmerksamkeit erfahren. „Essen aus Büchern“ krankt genau daran fast von Anfang an. Eine ganze Zeit habe ich noch geglaubt, das würde schon noch Fahrt aufnehmen, dann habe ich weitergemacht, weil ich Spaß daran hatte, dann wurde es nur noch mühsam und eine Pflichtaufgabe. Die Reihe ist nämlich, im Vergleich zu einer normalen Rezension, wirklich viel Arbeit.

Um es kurz zu machen: Gerade fehlt mir die Zeit, die Muße, die Inspiration. Manchmal ist das so mit Hobbys. Bestimmt passiert hier nochmal was, aber ich weiß noch nicht wann und was.

Wir lesen uns, da bin ich mir sicher. Bis dahin macht es gut und danke für eure geschätzte Aufmerksamkeit!

Essen aus Büchern: Weihnachtsholzscheit aus Anne Webers „Annette, ein Heldinnenepos“

In Annette, ein Heldinnenepos erzählt Weber die außergewöhnliche Lebensgeschichte von  Anne Beaumanoir, einer französischen Neurologin und Aktivistin. In jungen Jahren war sie bei der Résistance aktiv und verhalf jüdischen Menschen zur Flucht, später schloss sie sich dem Kampf um die Befreiung Algeriens an. Rücksicht auf sich selbst und ihre Familie nahm sie dabei kaum und kam mehrfach mit den Gesetzen in Konflikt. Schließlich wurde sie zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt, bei der ihr aber aufgrund einer Schwangerschaft erleichterte Bedingungen zugestanden wurden. Diese nutzte sie letzlich zur Flucht.

Immerhin ein Weihnachtsfest aber verbrachte sie in Haft und mit dem Versuch, es ihr und ihren Mitinsassinnen ein bisschen nett zu machen:

„Die Politischen dürfen gemeinsam abendessen. Aus ihrem heimischen Ofen, worin Elise ihn gebraten hat, zaubert Annette den herkömmlichen Truthahn mit Maronenfüllung und irgendwoher auch den „Weihnachtsholzscheit“, was eine astrunde, ungemein fette Torte ist.“

Das Essen ist nicht der erhoffte Erfolg. Mitinsassin Djamila, inoffizielle Führerin der algerischen Insassinnen, ist zwar zunächst zufrieden mit dem Truthahn aus der Halal-Schlachterei, moniert dann aber Sauce und Ofen. Beides genügt muslimischen Anforderungen nicht, stellt sie fest, und in der stillen Nacht liegt Annette wach und grämt sich, dass sie in einem muslimisch geprägten Umfeld unbedingt ein christliches Fest feiern wollte.

Der Kuchen aber, die „ungemein fette Torte“ findet Gnade in Djamilas strengen Augen. Und wer am Ende der Adventszeit noch nicht genug hat von Zucker und Fett, kann sich in diesem Jahr auch daran versuchen:

Weihnachtsholzscheit

Teig:

  • 6 Eier
  • 100 g Zucker + etwas mehr zum Rollen
  • 1 Prise Salz
  • 100 g Mehl

Creme:

  • 200 g weiche Butter
  • 150 g Zucker
  • 100 g Zartbitterschokolade
  • 2 TL Kakaopulver
  • 4 Eigelb
  • 1 Ei

Den Ofen auf 180°C Umluft vorheizen. Ein Backblech mit Backpapier auslegen.

Die 6 Eier trennen. Die Eiweiße mit dem Salz zu einem festen Schaum schlagen. Dann 30 g des Zuckers unterrühren.

Die Eigelbe mit den übrigen 70 g schaumig schlagen.

Das Eiweiß zum Eigelb geben, das Mehl darüber sieben und vorsichtig unterheben, bis die Masse gleichmäßig ist.

Den Teig gleichmäßig auf dem Backblech verteilen und glattstreichen. 12 Minuten bei 180°C backen.

In der Zwischenzeit ein sauberes Geschirrtuch leicht anfeuchten. Ausbreiten und etwas Zucker darauf verstreuen. Sobald die Teigplatte fertig ist, diese auf das Handtuch stürzen. Das Backpapier abziehen und den Teig mit Hilfe des Handtuchs von den langen Seiten aus zu einer möglichst festen Rolle formen. In dieser Form auskühlen lassen.

Anschließend die Creme herstellen. Dazu erst die weiche Butter mit dem Zucker schaumig rühren. Im Wasserbad die Schokolade schmelzen und sie anschließend zusammen mit dem Kakao unter die Buttermasse rühren. Dann die Eigelbe nach und nach unterrühren und ganz zum Schluss das ganze Ei. Die Creme 20 Minuten kalt stellen.

Die Biskuit-Platte wieder vorsichtig ausbreiten und die Hälfte der Creme darauf verteilen. Dabei an den langen Seiten 2 cm Rand freilassen. Wieder zusammenrollen und am Rand etwas andrücken. Die restliche Creme darauf streichen und die ganze Rolle gleichmäßig damit bedecken. Mit einer Gabel ein Muster in die Creme ziehen, das an Baumrinde erinnert. Einige Stunden kaltstellen, bis die Creme ganz fest ist.

In Scheiben geschnitten ist der Holzscheit eine wirklich leckere Sache – aber Annette übertreibt sicher nicht, wenn sie sagt, es sei eine „ungemein fette“ Angelegenheit.


Anne Weber: Annette, ein Heldinnenepos. Matthes & Seitz 2020.

Das Zitat stammt von S. 134.

Mehr Essen aus Büchern gibt es schiefgegessen.

Essen aus Büchern: Kasutera aus Kamila Shamsies „Burnt Shadows“

Hiroko Tanakas Leben in Kamila Shamsies Roman Burnt Shadows verläuft in geregelten Bahnen. Behütet aufgewachsen ist sie kurz davor, das Elternhaus zu verlassen um die Ehe einzugehen. Doch am Tag ihrer Verlobung fällt die Bombe auf ihre Heimatstadt Nagasaki. Von heute auf morgen steht Hiroko vor dem Nichts, wird hinausgeschleudert in die Welt, eine neue Liebe, ein neues Leben. Sie verlässt Japan, lebt in Delhi, Karachi und New York. Es war immer ihr Traum, Nagasaki zu verlassen und die Welt zu sehen, doch mit dem Trauma des Verlusts hat sie schwer zu kämpfen. In einem seltenen emotionalen Ausbruch versucht sie ihrer Freundin Elizabeth zu erklären, was ihr am meisten fehlt:

„I always planned on leaving Nagasaki, you know. I was never sentimental about it. But until you see the place you’ve known your whole life reduced to ash you don’t realise how much we crave familiarity. […] I want to hear Japanese, I want tea that tastes the way tea should taste in my understanding of tea. I want to look like the people around me.“

Ihre Familie, ihr Verlobter oder auch nur materieller Besitz spielen in dieser Liste ihrer Verluste und Sehnsüchte keine Rolle, sondern die kleinen Dinge, die man kaum wahrnimmt, solange sie eben da sind:

„I want to feel my body move with the motion of being on a street-car. I want to live between hills and sea. I want to eat kasutera.“

Kasutera ist ein an Biskuit erinnernder Kuchen, der in Japan und ganz besonders in Nagasaki bekannt ist und in seiner Urform im 16. Jahrhundert von Portugiesen importiert wurde, damals noch als „Bolo de Castela“, kastilianischer Kuchen. Durch den hohen Zuckergehalt war der Kuchen geeignet als Seefahrerproviant und taugte in Japan aufgrund der enormen Zuckerpreise auch zum Luxusgut. Inzwischen hat sich der japanischen Kasutera natürlich auf eigene Art weiterentwickelt, geblieben ist aber der hohe Zuckeranteil und der sehr saftige Teig, der den Kuchen über lange Zeit halt- und genießbar macht.

Für alle, die das auch mal ausprobieren wollen, kommt hier das Rezept:

Kasutera

  • 6 Eier
  • 200 g Zucker
  • 3 EL Honig
  • 3 EL heißes Wassser
  • 150 g Mehl
  • 1 EL Rohrohrzucker

Einen Backrahmen auf 20 x 20 cm einstellen und auf ein mit Backpapier ausgelegtes Blech stellen. Den Rohrohrzucker auf dem Backpapier verstreuen.

Die Eier gründlich verrühren, dann unter Rühren den Zucker einrieseln lassen. Eine hitzebeständige Schüssel in ein Wasserbad stellen und das Ei langsam erhitzen, dabei ständig rühren. Sobald das Ei warm wird, aus dem Wasserbad nehmen und mit dem Rührgerät 8 Minuten kräftig aufschlagen, bis die Masse weiß wird.

Den Ofen auf 170°C (Ober-/Unterhitze) vorheizen.

Den Honig mit dem heißen Wasser zu einer gleichmäßigen Masse verrühren. Etwas runterkühlen lassen und dann zwei Minuten lang unter das Ei schlagen, bis die Masse glänzend wird.

Das Mehl über die Eier-Honig Masse sieben und dann sorgfältig unterheben. Die Schüssel ein paar Mal auf die Arbeitsfläche schlagen, damit evtl. Luftblasen aus der Masse entweichen.

Den Teig in die vorbereitete Form füllen. Mit einem Löffel ein paar Mal durch den Teig gehen, um neue Luftblasen zu verhindern.

Bei 170°C 15 Minuten lang backen, dann die Temperatur auf 160°C reduzieren und weitere 60 Minuten backen. Mit einem Holzstäbchen prüfen, ob der Teig durch ist. Er sollte aber in der Mitte immer noch recht feucht sein, sonst wird die Konsistenz am Ende zu trocken.

Während der Kuchen im Ofen ist, zwei Bahnen Frischhaltefolie überkreuzt auf einem Brett oder Tablett auslegen. Die Bahnen sollten so groß sein, dass der Kuchen komplett darin eingewickelt werden kann.

Den Kuchen nach Ablauf der Backzeit aus dem Ofen holen, und auf die vorbereitete Frischhaltefolie stürzen. Backrahmen und Backpapier vorsichtig entfernen. Den Kuchen in die Folie einwickeln, evtl. mit einer weiteren Lage verstärken. Auskühlen lassen. Den erkalteten Kuchen mind. 24 Stunden im Kühlschrank ruhen lassen. Erst dann hat der Kasutera seine optimale saftige Konsistenz erreicht.

Auspacken und in Stücke schneiden. Der Kuchen hält sich, wenn man ihn erneut luftdicht verpackt, mehrere Tage im Kühlschrank.


Kamila Shamsie: Burnt Shadows. Bloomsbury 2009. 363 Seiten.

Die Zitate stammen von S. 99 – 100.

Bei Cooking With Dog könnt ihr auch ein Video finden, das ganzen Prozess auch für Leute erklärt, die keinen Backrahmen haben.

Mehr Essen aus Büchern gibt es auf schiefgegessen.

Eiskalte Sühne – „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ von Peter Høeg

Lange Zeit führte kein Weg vorbei an Smilla und ihrem Gespür für Schnee. Buch wie Verfilmung waren in den 90er große Erfolge und für viele die erste Konfrontation mit den schwierigen dänisch-grönländischen Beziehungen.

Fräulein Smilla lebt allein, ohne Lohnarbeit und immer sehr gut angezogen in einem eher unschönen Block in Kopenhagen. Mit dem Nachbarsjungen Jesaja pflegt sie ein enges Verhältnis, vor allem da dieser bei seiner alkoholkranken Mutter keine Geborgenheit findet. Zudem verbindet die beiden ihre grönländische Herkunft. Doch eines Tages liegt Jesaja tot vor dem Wohnblock, in dem sie beide leben. Er ist beim Spielen auf dem Dach verunfallt und hinuntergestürzt, so das schnelle Ermittlungsergebnis der Polizei. Smilla ist sich sofort sicher, dass das keinesfalls die Wahrheit sein kann. Nicht nur hatte Jesaja panische Höhenangst, an seinen Fußspuren erkennt die schneeerfahrene Grönländerin sofort, dass er gerannt und am Ende in seiner Verzweiflung gesprungen sein muss. Im festen Willen, Jesajas Mörder, denn nicht weniger als Mord kann es sein, zu finden, gerät Smilla in ungeahnte Verstrickungen und große Gefahr. Sie kann gar nicht ahnen, in welche Schlangengrube sie kopfüber springt, als sie bei Jesajas Beerdigung beschließt, seine Feinde zu finden.

„Ich frage mich zum x-ten Mal, wie ich hier gelandet bin. Ich kann die Schuld daran nicht ganz allein tragen, die Last ist zu schwer, ich muß auch Pech gehabt haben, irgendwie muß sich das Universum von mir zurückgezogen haben.“

Erzählt wird davon in den drei Teilen „Die Stadt“, „Das Schiff“ und „Das Eis“ und das verrät auch schon, wie die Handlung sich entwickelt: Weg von Kopenhagen und über das Wasser in Smillas alte Heimat, das mehr oder weniger ewige Eis von Grönland. Als vermeintliche Angestellte schließt sie sich einer geheimnisvollen Expedition an. Unterwegs findet Smilla nicht nur Gelegenheit, ihr Leben und ihr Verhältnis zur grönländischen Kultur zu reflektieren, sondern auch für etliche recht brutale Schlägereien. Doch wer auch immer sie zu hindern versucht: Smilla ist von ihrem Weg nicht mehr abzubringen. Jesajas gewaltsamer Tod gerät dabei recht schnell zum Nebenschauplatz, ist Smilla doch einer gewaltigen Verschwörung auf der Spur. Etwas gefährliches Lebendiges soll von Grönland nach Dänemark gebracht werden, das hat sie schnell raus, aber was kann es sein? (Ich hatte gehofft, es sei ein aufgetauter Säbelzahntiger oder so, das ist es nicht. Aber wer sowas mal lesen will, wird bei Lincoln Childs Nullpunkt fündig. Ich rate aber nicht dazu.)

Der Spannungsbogen hat manchmal beträchtliche Schwierigkeiten, seine Haltung zu bewahren, aber immerhin weiß man am Ende alles, was es über die dänische Schifffahrt und ihre Regularien zu wissen gibt. Man muss Høeg allerdings zu Gute halten, dass die Entwicklung der Geschichte tatsächlich unvorhersehbar bleibt, so mühsam der Weg zur Aufklärung mitunter auch ist. Das liegt vielleicht auch daran, dass das Ende so vergleichbar unspektakulär ist, dass man darauf gar nicht kommt. In irgendeiner Form herausragend ist dieser Roman dann auch eigentlich nicht. Warum gerade diese Geschichte einen so durchschlagenden Erfolg hatte, immerhin war sie auch der Fortsetzungsroman in der Wormser Zeitung, ist mir mit zwanzig Jahren Abstand nicht mehr ersichtlich. Ist es das grönländische Setting? Die toughe Frau, die Leute mit Schraubenziehern angreift und dabei unfassbar gut gekleidet ist? Die Trillionen exotischen Wörter für Schnee, die sie kennt? Irgendeinen Nerv muss Høeg mit diesem Roman getroffen haben, den er zumindest bei mir jetzt nicht mehr trifft. Smilla ist, und ich sage das ungern, weil es sie sehr ärgern würde, nicht besonders gut gealtert.


Peter Høeg: Fräulein Smillas Gespür für Schnee. Aus dem Dänischen übersetzt von Monika Wesemann. Carl Hanser 1994, 528 Seiten. Gelesen in der eBook-Ausgabe mit 447 Seiten. Die Originalausgabe ist 1992 unter dem Titel Frøken Smillas fornemmelse for sne erschienen.

Das Zitat stammt von S. 288.

Essen aus Büchern: Jollof Rice aus Chimamanda Ngozi Adichies „Half of a Yellow Sun“

Man kann glaube ich keinen Adichie-Roman lesen, ohne mindestens einmal auf Jollof Rice zu stoßen. Und damit ist sie in der westafrikanischen Literatur nicht alleine. Wenn über Essen gesprochen wird, dann auch ganz schnell über Jollof Rice. Er ist Comfort Food, Partyessen, Beerdigungsmahlzeit. Egal ob im Familienkreis oder bei Feiern beliebiger Größe darf er nicht fehlen. Und trotzdem habe ich ihn all die Jahre ignoriert, weil er mir nicht spektakulär genug vorkam. Ein kapitaler Fehler! Spektakulär ist er nun wirklich nicht, aber trotzdem sofort in die TOP 10 meiner Lieblings-Reisgerichte aufgestiegen.

Jollof Rice wurde, soweit sich das nachvollziehen lässt, im 14. Jahrhundert im heutigen Senegal entwickelt. Von dort trat das wandlungsfähige Reisgericht seinen Siegeszug über ganz Westafrika an und ist heute nicht nur im Senegal, sondern auch in den Nachbarländern und bis nach Kamerun beliebt. Bei einem Gericht, das schon so lange existiert, und in so unterschiedlichen Regionen zubereitet wird, gibt es natürlich schon lange nicht mehr „das eine“ Rezept. Viele Rezepte beinhalten Tomaten, Tomatenmark, Chili (oft Scotch Bonnet) und Zwiebeln. Je nach Region kommen andere Gewürze hinzu sowie weitere Zutaten wie Gemüsearten, Fleisch oder Fisch. Manchmal werden diese direkt mit dem Reis gegart, manchmal dazu serviert.

In Half of a Yellow Sun ist Jollof Rice der ganze Stolz von Koch Ugwu. Doch mit dem kann er nicht glänzen, als Olanna, die große Liebe seines Dienstherren Odenigbo, das erste Mal zu Besuch nach Nsukka kommt. Er soll ihr „fried rice“ servieren, ein Essen, das die weitgereiste Schönheit aus London kennt. Weder Ugwu noch Odenigbo wissen, was genau das sein soll, aber sie wissen, dass es ihr Lieblingsessen ist. Ugwu hat eigentlich überhaupt keine Lust auf den lästigen Besuch, der nichts als Arbeit mit sich bringen wird, und kocht widerwillig das vermeintliche Lieblingsessen. „It’s quite tasteless, which is better than bad-tasting, of course“ lautet wenig später Olannas vernichtendes Urteil.

„‚Yes, mah,‘ Ugwu said. He had invented what he imagined was fried rice, frying the rice in groundnut oil, and had half-hoped it would send them both to the toilet in a hurry. Now, though, he wanted to cook a perfect meal, a savoury jollof rice or his special stew with arigbe, to show her how well he could cook.“

Mit meinem fried rice kann ich übrigens auch nicht glänzen, das überlasse ich Menschen, die es besser können. Aber an Jollof Rice habe ich mich nun zumindest herangewagt. Ausgesucht habe ich dafür eine recht grundlegende Version. Sie lässt sich beliebig erweitern oder kann auch als Beilage dienen. Nachdem ich den Jollof Rice über Jahre so sträflich missachtet habe, war ich auf jeden Fall extrem positiv überrascht. Er ist würzig und anpassungsfähig, überhaupt nicht trocken, eine hervorragende Beilage, aber auch in der Lage, für sich selbst zu überzeugen. Probiert es aus!

Jollof Rice

  • 40 ml Pflanzenöl
  • 200 g gehackte Tomaten
  • 2 Rote Paprika
  • 2 kleine Zwiebeln
  • 1/2 – 1 Chilischote*
  • 1 EL Tomatenmark
  • 1 TL Currypulver**
  • 1/2 TL getrockneter Thymian
  • 1 Lorbeerblatt
  • 600 ml Gemüsebrühe***
  • 1 TL Butter (optional)
  • 400 g Langkornreis
  • Salz, Schwarzer Pfeffer
  • Optional: Zwiebelringe, Tomaten

* Je nach Sorte und Geschmack. Jollof Rice ist ein für europäische Verhältnisse scharfes Essen.
** Jamaikanisches Currypulver. Dieses kann man fertig kaufen, nach z. B. diesem Rezept selbst mischen oder notfalls auch durch anderes Currypulver ersetzen.
*** Sehr beliebt ist hierfür der sehr klassische Maggi-Brühwürfel. Wer das nicht mag, nimmt andere Brühe.

Die Paprikaschoten entkernen und grob würfeln. Eine der Zwiebeln häuten und grob hacken. Die Chilischote von Kernen und Stil befreien. Tomaten, Paprika, Zwiebel und etwas Brühe in einem Mixer zu einer glatten Paste verarbeiten. Mit 200 ml Brühe in einen Topf geben, zum Kochen bringen und etwa 10 – 15 Minuten köcheln lassen, bis es etwas einreduziert ist.

In der Zwischenzeit die zweite Zwiebel schälen und in feine Ringe schneiden. Das Öl in einer großen Pfanne (der Reis muss gleich auch noch rein) erhitzen. In etwa 2 – 3 Minuten glasig dünsten. Lorbeer, Currypulver und Thymian zugeben und 3 – 4 Minuten anrösten. Tomatenmark zugeben und ebenfalls einige Minuten anrösten. Dann mit der Tomaten-Mixtur ablöschen, zum Kochen bringen und weitere 10 – 15 Minuten reduzieren lassen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Diese Sauce ist die Basis für den Reis und darf ruhig kräftig abgeschmeckt werden.

Die übrige Brühe mit in die Pfanne gießen und aufkochen lassen. Den Reis abspülen und in die Pfanne geben. Butter einrühren. Sicherstellen, dass der gesamte Reis von Flüssigkeit bedeckt ist. Dann die Pfanne mit Alufolie oder Backpapier bedecken und einen Deckel auflegen. Es soll möglichst wenig Dampf aus der Pfanne entweichen können. Die Temperatur auf die niedrigste Stufe reduzieren, so dass die Flüssigkeit gerade noch so kocht. 15 Minuten einfach stehen lassen, dann einmal umrühren. Wieder zudecken und weitere 15 Minuten garen. Sollte der Reis dann noch nicht gar sein, etwas Flüssigkeit zugeben und noch ein wenig garen.

Optional mit Zwiebelringen und Tomatenvierteln oder einfach als Beilage servieren.


Chimamanda Ngozi Adichie: Half of a Yellow Sun. 4th Estate 2006.

Die Zitate stammen von S. 23.

Mehr Essen aus Büchern gibt es auf schiefgegessen.

Flickenteppich einer Identität – „153 Formen des Nichtseins“ von Slata Roschal

Ksenia ist vieles: sie ist Deutsche und Russin, Jüdin und Zeugin Jehovas, Mutter und Schriftstellerin. Als Kind ist sie mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen, weil ihr Großvater jüdische Wurzeln geltend machen konnte. Ob die wirklich so sind, wie von ihm behauptet, weiß Ksenia nicht. In ihrem Leben spielt es eine viel größere Rolle, dass ihre Eltern Zeugen Jehovas sind und ihre Tochter somit auch. Zweimal die Woche geht es in die Versammlung, am Wochenende in den Missionsdienst. Und da stehen Ksenia und ihre Eltern nicht einfach irgendwo lächelnd mit dem Wachtturm in der Hand rum, sondern machen es richtig, gehen von Tür zu Tür. Die Röcke sind lang, die Regeln sind klar, alles Interesse an Weltlichem verpönt, Geburtstagsfeiern gibt es ebenso wenig wie ein Weihnachtsfest. Früh beginnt in ihr ein Emanzipationswunsch zu reifen. Die Versammlung nervt, die hässlichen Röcke sind ihr peinlich, aber noch größer ist die Angst vor der Behandlung als Abtrünnige, als Aussteigerin aus der Gemeinde. Einer ihrer Onkel hat es gewagt, über ihn spricht man aber nicht mehr und mit ihm erst Recht nicht mehr.

„Kinder, die sich entschieden, die Organisation zu verlassen, meist zur Volljährigkeit, bereiteten ihren Eltern nicht nur peinliche Momente, stellten sie nicht nur als versagende Erzieher bloß, diese Kinder entschieden sich für eine Welt, die von Satan regiert wurde, sie verzichteten auf das ewige Leben.“

Als Erwachsene hat sie es schließlich geschafft, aber die Selbstzweifel werden nicht weniger. In ihrer Beziehung ist sie nicht so richtig glücklich, aber auch bei weitem nicht unglücklich genug, um sie zu beenden. Sie leidet unter dem trotzigen Verhalten ihres Sohnes und fragt sich ständig, ob sie eine bessere Mutter sein könnte. Phasenweise hat sie Energie für gar nichts. Bringt den Sohn in den Kindergarten, sitzt dann stundenlang nur da und starrt an die Wand, bis sie ihn wieder abholen muss. Manchmal aber ist sie produktiv in ihrer Arbeit als Schriftstellerin oder Dolmetscherin, gewinnt sogar einen Preis in ihrer kleinen Heimatstadt.

153 Formen des Nichtseins ist ein nicht immer leicht zu greifender Text, zusammengesetzt aus kurzen Episoden und ganz verschiedenen Textstücken. Das Buch besteht sowohl aus Passagen, die von der Protagonistin erzählt werden, als auch aus Texten aus Kleinanzeigen, Foren und Publikationen der Zeugen Jehovas. Eine chronologische Anordnung gibt es nicht, eher eine assoziative. 153 dieser Texte setzt Roschal zusammen zu einer Collage, die in etwa abbildet, woraus Ksenia besteht, was sie sein könnte. Oder eben nicht sein könnte. Es ist ein komplexes Unterfangen, das ohne abschließende Antwort bleiben muss. Die Frage, woher sie kommt, bringt Ksenia auch als Erwachsene immer noch zum Stottern. Manchmal sagt sie dann, sie sei Jüdin, das ist eindeutig und exotisch. Aber egal, wie verzweifelt die Protagonistin mitunter auch ist, wird der Text nie schwermütig. Ksenia betrachtet sich und ihr Leben fast durchgehend mit einem ironischen Blick und bissigem Humor.

Roschals Debüt ist eigenartig im besten Sinne des Wortes und ein kraftvoller Text, der sich nicht auf traditionelle Erzählformen verlässt. Das muss er auch gar nicht. Die Erzählstimme ist eine sehr eigene und stimmige, die problemlos durch den Text trägt. Obwohl dieser aus lauter Versatzstücken besteht, ergibt sich am Ende ein sehr stimmiges und starkes Bild. Eine Bereicherung für die Literatur und hoffentlich nicht das letzte mal, dass wir von ihr lesen dürfen!


Slata Roschal: 153 Formen des Nichtseins. Homunculus 2022, 171 Seiten.

Das Zitat stammt von S. 51.

Welt im Wandel – „Mahtab“ von Nassir Djafari

Die Zukunft seiner Familie kann nur in Europa liegen, davon ist Amin überzeugt. Zusammen mit seiner Frau Mahtab verlässt er deshalb Iran, um im ordentlichsten aller Länder zu leben: Deutschland. Dort sind die Behörden hilfsbereit und die Straßen sauber, dort lebt der Fortschritt. Und dort leben, Ende der 60er Jahre, auch Amin und Mahtab, mittlerweile Eltern von drei Kindern. Mahtab arbeitet als Krankenschwester und daran, die moderne Frau zu werden, die ihr Mann gerne in ihr sieht. Sie will Autofahren lernen und sich moderner kleiden, doch als ihre Tochter Azadeh plötzlich im Minirock herumläuft und Studentenproteste besucht, wird ihr das alles doch zu viel mit der Modernität.

„Sie wachsen in einem Land auf, in dem Recht und Gesetz gelten, wo die Behörden den Menschen helfen und sich ihnen nicht in den Weg stellen, wo nach einem Autounfall innerhalb von Minuten Polizei und Rettungswagen da sind, wo jede noch so winzige Baustelle mit rotem Band gesichert ist, damit sich niemand den Knöchel bricht. Wäre das nicht wunderbar?“

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Der Sog der Elbe – „Unter Wasser Nacht“ von Kristina Hauff.

„Ihr lebt hier im Paradies!“ Diesen Satz haben Sophie und Thies schon oft gehört, seit sie die besetzten Häuser ihrer Studienzeit hinter sich gelassen haben und einen Resthof nahe Lüneburg gekauft haben. Dort leben sie nun mit Bodo und Inga, ihren besten Freunden, die sich auf dem Grundstück ebenfalls ein Haus gebaut haben. Ganz nah an der Elbe, mit Scheune, großem Garten und Tischtennisplatte. Fehlen nur noch die spielenden Kinder auf der Wiese. Und genau da beginnt das Martyrium von Thies und Sophie. Während Bodo und Inga zwei strahlende, fröhliche, begabte Kinder großziehen, klappt es bei ihnen zunächst gar nicht mit der Schwangerschaft. Und dann kommt Aaron. Aaron wird kein begabter Sänger, kein begnadeter Fußballspieler und auch nicht das beliebteste Kind in der Klasse.

Aaron ist von Anfang an „schwierig“ lässt seine Eltern und auch sonst niemanden an sich heran, wird gewalttätig. Thies, selbst Lehrer, und Sophie sind überfordert und zermürbt von der ständigen Anspannung, von den ewigen Gesprächen mit der Schulleitung. Ihre Beziehung leidet ebenso wie die Freundschaft zu Bodo und Inga, deren Glück die beiden ständig vor der Nase haben. Sie neiden ihnen das Familienglück, auch wenn sie das niemals zugeben würden. Als gerade mal wieder ein Schulverweis droht und Aarons Eltern endgültig mit ihrem Latein am Ende sind, als sie sich eingestehen müssen, dass sie wirklich und gar nicht mehr weiterwissen, kommt Aaron eines Abends nicht nach Hause. Zwei Tage später gibt die Elbe seinen leblosen Körper wieder frei.

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Die Verlorene – „Die Kameliendame“ von Alexandre Dumas

Im März 1847 werden in der Pariser Rue d’Antin die Habseligkeiten einer schwer verschuldeten Dame versteigert. Die ehemalige Besitzerin war keine Unbekannte in der Stadt. Marguerite Gautier war eine glamouröse Gestalt, die gefragteste und schönste Kurtisane von ganz Paris, Dauergast in den Theatern der Stadt, Zierde jeder Runde. Gestorben aber ist sie ganz allein und mit gerade Mitte Zwanzig an einem Lungenleiden. Auch nach ihrem Tod verliert ihr Dasein nichts von seinem vermeintlichen Glamour und die Versteigerung zieht zahlreiche Schaulustige an, darunter auch den Erzähler von Die Kameliendame, der aus einer Laune heraus für einen enormen Preis eine Ausgabe von Manon Lescaut ersteht. Dieser Kauf bringt ihm kurze Zeit später die Bekanntschaft von Armand Duval ein, dem einzigen Mann, der Marguerite nicht nur begehrt und bewundert hat, sondern aufrichtig geliebt.

Armand Duval erzählt ihm die tragische Geschichte einer Liebe, die nicht sein konnte, von zwei Welten, die zu verschieden waren, um zu einer zu werden. Als Armand Marguerite kennenlernt, ist sie schon eine bekannte und etablierte Kurtisane. Wie jeder Mann verliebt er sich Hals über Kopf in sie. Aber als einziger Mann nimmt er Anteil an Marguerite selbst und an ihrer Krankheit. Das überzeugt selbst die kapriziöse Marguerite und sie ist bereit, ihm zuliebe ihr Leben auf den Kopf zu stellen. Sie weiß genau, dass er ihr einen Lebenswandel, wie sie ihn jetzt führt, nicht finanzieren kann. Das kann kein Mann alleine. Das muss bisher aber auch kein Mann alleine. Ohne ein halbes Dutzend Liebhaber, die ihr hoffnungslos verfallen sind, kann Marguerite nicht mehr leben, wie bisher. Allein ihre Miete übersteigt Armands bei weitem nicht bescheidene Möglichkeiten. Und dennoch willigt sie ein, will mit ihrer Vergangenheit abschließen und ein ganz anderes Leben an Armands Seite führen. Schluss mit dem wilden Nachtleben, den Abenden im Theater, den Gesellschaften mitten in der Nacht. Doch Armands etablierte bürgerliche Familie kann eine Prostituierte in der Familie natürlich nicht dulden.

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Essen aus Büchern: Key Lime Pie aus Nora Ephrons „Heartburn“

Selbst wer Nora Ephron nicht kennt, kennt mindestens eines ihrer Werke. Unter anderem ist sie Autorin und Regisseurin von „Harry und Sally“, „Schlaflos in Seattle“ und „e-m@il für Dich“. Auch ihr zweiter Mann Carl Bernstein war kein Unbekannter – er war maßgeblich an der Aufklärung des Watergate-Skandals beteiligt. Die Ehe der beiden scheiterte während Ephrons zweiter Schwangerschaft fulminant und öffentlichkeitswirksam, nachdem Bernstein eine Affäre mit der ebenfalls sehr bekannten Journalistin Margaret Jay, Baroness of Paddington eingegangen war. Diese Trennung verarbeitete Nora Ephron in Heartburn. Die Protagonistin des Romans ist ein Koch-Kolumnistin, die, als sie im siebten Monat schwanger ist, von der Affäre ihres Mannes erfährt. In ihrer Geschichte über diese Trennung berichtet sie nicht nur von ihrem gebrochenen Herz und ihrem verletzten Stolz, sondern auch ganz viel von Essen.

Dabei vertritt sie unter anderem eine sehr dezidierte Meinung zu Quiche:

I was never completely idiotic – I never once made a quiche, for example […]

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