Der Fall einer Königin – „Bring Up the Bodies“ von Hilary Mantel

In der noch nicht vollendeten Cromwell-Trilogie widmet Hilary Mantel sich dem wenig beachteten und eher unbeliebten Thomas Cromwell, der als Berater und rechte Hand des Königs seine Finger bei ungefähr allem im Spiel hatte, was während der Regentschaft Henrys VIII von Bedeutung war. Für Henry selbst war vor allem eins von Bedeutung: er wollte um alles in der Welt einen männlichen Erben haben. In Wolf Hall , dem ersten Roman der Reihe, führte dies bereits zur Scheidung von seiner ersten Frau, der Gründung einer neuen Kirche und der Ehe mit der zweiten Frau Anne Boleyn. Das dies alles für reichlich Unruhe im Königreich sorgte, versteht sich von selbst. Vor allem Anne Boleyn hatte nicht nur Freunde im Land. Viele Herzen gehörten immer noch Katherine von Aragon und viele waren nicht bereit, „die Konkubine des Königs“ als neue Königin zu akzeptieren.

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Und nun hat auch noch der König genug von ihr. Das einzige Kind, das aus der Beziehung hervorgeht, ist schon wieder ein Mädchen und die einzige weitere Schwangerschaft endet mit einer Fehlgeburt. Henry hat schon wieder eine andere im Auge. Sein Herz schlägt nun für die bescheidene, fast unscheinbare Jane Seymour. Doch erstmal muss die jetzige Königin aus dem Weg geräumt werden, doch dafür braucht es handfeste Gründe. Und wer wäre besser qualifiziert, diese zu (er)finden als Thomas Cromwell?

„it is no small enterprise, to bring down a queen of England“

Während ich mit Wolf Hall noch sehr zu kämpfen hatte, habe ich Bring Up the Bodies erstaunlich gerne gelesen. Möglicherweise lag es daran, dass mir das Personal des Romans schon ein wenig vertrauter war und es mir leichter fiel, die Strukturen am Hof und im Haushalt Cromwells zu verstehen. Sicher kommt auch hinzu, dass das Absägen Anne Boleyns skandal- und vielleicht auch niederträchtiger war als bei ihrer Vorgängerin. Da bekannt war, dass Anne Boleyn ein nicht ganz sauberes Vorleben am französischen Hof hatte, lag es nahe, ihr Ehebruch vorzuwerfen. Das ergibt natürlich interessantere Verhörmöglichkeiten als die zähe diplomatische Krise, die zur Trennung von Katherine von Aragon nötig war.

Was beiden Romane gemein ist, ist der Humor, mit dem Mantel die Ereignisse schildert. Cromwell, der gerne als düsterer, durchtriebener Strippenzieher dargestellt wird, ist bei Mantel erstaunlich witzig. Und deutlich sensibler, als man das von ihm erwartet hätte. Auch den anderen Charakteren mangelt es nicht an witzigen Einfällen und rhetorischen Fähigkeiten. Insgesamt fand ich die Schilderung der Orte und Begegnungen in diesem Roman deutlich lebendiger und nachvollziehbarer als beim Vorgänger. Aber auch hier ist es denkbar, dass mir ein gewisses Wiedererkennen den Zugang erleichtert hat. Während ich beim ersten Buch noch zugestehen konnte, dass es wahrscheinlich objektiv schon gut und interessant ist, kann ich hier wirklich eine Leseempfehlung aussprechen. Bring Up the Bodies ist entgegen meiner Erwartungen ein spannender, kluger, witziger und sehr eingängiger Roman.

Als ich beim letzten Mal so geschimpft habe, wurde mir übrigens empfohlen, die BBC Mini Series Wolf Hall als Einstieg zu versuchen. Bisher kenne ich nur Trailer und Ausschnitte, aber ich gebe die Empfehlung mal weiter. Wer Teil 1 nicht schafft, aber das hier gerne lesen möchte, kann ja auch mal gucken statt lesen.


Hilary Mantel: Bring Up the Bodies. Fourth Estate 2013. Erstausgabe 2012. Eine deutsche Übersetzung von Werner Löcher-Lawrence ist unter dem Titel Falken bei DuMont erschienen.

Das Zitat stammt von S. 429 f.

Mantel war 2013 mit diesem Roman auf der Shortlist des Women’s Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des wpf-Leseprojekts.

10 Gedanken zu “Der Fall einer Königin – „Bring Up the Bodies“ von Hilary Mantel

  1. fraggle 9. April 2019 / 11:20

    Angesichts der Tatsache, dass man sie geköpft hat, ist „das Absägen Anne Boleyns“ schon fast ein Wortwitz … 🙂

    Hach, was bin ich wieder albern heute. 😉

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    • Marion 9. April 2019 / 18:29

      Ich möchte nicht ausschließen, dass mir der Gedanke nicht auch gekommen wäre…

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  2. dj7o9 9. April 2019 / 13:00

    Ahh danke für den Tipp mit der Serie. Habe den ersten Teil zwar geschafft, ist aber ewig her 🙂 Schöne Rezension, macht große Lust auf das Buch.

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  3. soerenheim 9. April 2019 / 17:10

    Ich sagte ja glaube ich schon, dass Wolf Hall für mich den Reiz eines Geschichtsbuch mit verteilten Rollen hatte… Viel Infos, aber welche ästhetische Gestaltung soll mich an das Werk fesseln…?
    Aber ich werde nochmal einen andren Mantel-Roman ausprobieren, versprochen…

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    • Marion 9. April 2019 / 18:32

      Tatsächlich bin ich bei Mantel auch immer ein zwiegespalten. Ich lese sie ganz gerne, aber so richtig umgehauen hat mich noch nichts von ihr. Bei „Beyond Black“ und „Jeder Tag ist Muttertag“ hatte sie jeweils eine wahnsinnig lange Szene drin, die eigentlich nichts gemacht hat, außer dass sie sie witzig sein sollte. Ich erinnere mich, dass mich das ziemlich genervt hat, aber wahrscheinlich finden ihre Fans gerade das sehr charmant.
      Der Cromwell-Stoff war offenbar so umfangreich, dass für Szenen diese Art kein Platz mehr war.

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      • soerenheim 9. April 2019 / 19:33

        Es war jetzt auch nicht die Comedy, die mir gefehlt hatte 😉

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  4. Niamh O'Connor 8. Mai 2019 / 22:34

    Ich kenne nur die Hörbuchversion des Romans und fand diese ein bisschen zäh, obwohl die Geschichte an sich sehr spannend ist. Ich denke, man sollte in jedem Fall einiges Hintergrundwissen mitbringen.
    Es sind sich übrigens auch nicht alle Historiker*innen einig darüber, ob die Vorwürfe gegen Anne Boleyn (inklusive Inzest mit ihrem Bruder) nicht vielleicht doch gestimmt haben. Sie war verzweifelt und musste unbedingt schwanger werden, während ihr Ehemann schon die nächste im Visier hatte – warum dann nicht den Nächstbesten ins Bett holen?

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    • Marion 8. Mai 2019 / 22:39

      Anne Boleyn finde ich sowieso eine sehr spannende Figur. Sie hatte zu Lebzeiten so viele Feind*innen, dass es wahrscheinlich niemals möglich sein wird, herauszufinden, welche Berichte und Gerüchte über sie wahr sind.
      Im Roman wird der Inzest-Verdacht damit begründet, dass ein Kind von ihrem Bruder immer Anne plausibel ähnlich sehen würde, auch wenn die Züge des Vaters dominant wären.
      Hintergrundwissen braucht man allerdings für beide Romane. Ich glaube, ohne das rettet einen auch die Liste der Personen nicht. Ich zumindest wäre verzweifelt.

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