Chloe Hooper: A Child’s Book of True Crime

Die junge Kate Byrne hat es in das tasmanische Nest Endport verschlagen. Dort unterrichtet sie an einer Grundschule und hat eine Affäre mit Thomas, dem Vater eines Schülers. Thomas ist mit seiner Familie nach Endport gezogen, weil seine Frau Veronica dort für ihren Roman recherchieren wollte. Sie hat eine wahre Kriminalgeschichte geschrieben über einen Mordfall, der sich in dem Städtchen ereignet hat und nie vollständig aufgeklärt wurde. Die junge Ellie wurde vor zwölf Jahren von Margot, der eifersüchtigen Frau ihres Liebhabers, brutal niedergemetzelt. Margot wurde danach nie wieder gesehen, nur ihren Wagen fand man an den berüchtigten Selbstmörderklippen. Erst zu spät fiel den Ermittlern auf, dass nicht alle Spuren zueinander passten. In Endport selbst ist das Interesse an der neuen Aufwicklung eher gering, man wäre froh, ließe man dieses Kapitel einfach auf sich beruhen.

Doch nun scheint das Leben der nächsten Ehebrecherin in Gefahr zu sein. Als Kate eines Tages die Tür zum Klassenraum abschließt, hat jemand von außen „I KNOW“ in die Tür geritzt. Nachts klingelt ständig das Telefon. Nur wenig später versagen die Bremsen ihres betagten Autos. Hat die betrogene Ehefrau es auf sie abgesehen? Ist gar Margot wiedergekehrt und nimmt stellvertretend erneut Rache an einer jungen Frau, die eine Familie zerstören will? Oder steigert Kate sich, wie Thomas glaubt, in ihre unbegründeten Ängste einfach nur hinein?

„Don’t be scared, Kate. You’re in no danger.“

Der Roman beginnt mit rasantem Tempo, das er leider ebenso schnell wieder verliert. Thomas wird im Kapitel in wenigen Sätzen als ziemlicher Arsch charakterisiert, von seiner Seite ist also wenig Unterstützung zu erwarten. Die Protagonistin ist schwer zu fassen. Sie ist gerade Anfang zwanzig und einiges in ihrem Verhalten erklärt sich aus der Schwierigkeit, dass sie sich der Erwachsenenwelt, in der sie seit neustem leben muss, noch nicht zugehörig fühlt. Das weiß man, weil es einem recht deutlich gesagt wird, es erklärt sich nicht aus Kates Handlungen. In ihrer Affäre und auch im Unterricht gibt sie sich so erfahren und abgeklärt, dass sie gut und gerne 20 Jahre älter sein könnte. Statt nervös vor ihrer Klasse zu stehen, erprobt sie mit großem Erfolg innovative Unterrichtsmethoden.

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Eine davon ist, dass sie die Schulkinder neue Sagen erfinden lässt. Die traditionelle australische Sagenwelt ist reich an Geschichten über die einheimischen Tiere und Pflanzen, die von den Schülern nun erneut zum Leben erweckt werden sollen. Eine dieser Geschichten taucht immer wieder in einzelnen Kapiteln im Roman auf: es wird erzählt, wie Terence, der Tasmanische Tiger, Wally Wombat, Kitty Koala und einige ihrer Freunde den Mord an Ellie beobachten und aufklären können. Ob diese Erzählung nun mehr Wahrheit enthält als die bereits erfolgten Ermittlungen, bleibt dahingestellt. Ebenfalls immer wieder eingestreut werden Gespräche aus Kates Unterricht, in denen die Kinder ihre philosophischen Ansichten von Wahrheit und Lüge formulieren.

Und das ist einfach zu viel. Die Kriminalgeschichte an sich hätte man super einfach spannend aufbauen können, man hätte auch die Geschichte einer jungen Frau schreiben können, die in der Kleinstadt einfach nicht ankommt. Beides zusammen knirscht an vielen Stellen und zieht sich mitunter gewaltig. Die eigentliche Handlung des Romans geht nur über zwei Tage. Mit zahlreichen Rückblenden, historischen Exkursen über die blutige Geschichte Tasmaniens und dem Ausschmücken vieler verschiedener Versionen der Tatnacht ziehen diese beiden Tage sich aber gewaltig. Umso überraschender steht die Eskalation am Ende, die sich über einen deutlich längeren Zeitraum angebahnt zu haben scheint. Die erotischen Szenen sind zahlreich und enervierend, weil sich das Muster ‚unschuldiges Mädchen und dominanter Mann‘ ewig wiederholt.

Das alles führte dazu, dass mir die Protagonistin irgendwann auf die Nerven ging und völlig egal wurde. Zu Hoopers Verteidigung sei gesagt, dass ich zumindest ihren Stil mochte. Aber ab dem zweiten Drittel wurde es mir langsam egal, wer Kates Auto manipuliert und wer nachts anruft und ob sie da lebend rauskommt. Zum Glück, denn wäre ich bis zum Ende gespannt geblieben, hätte mir dann halt die beknackte Auflösung das Buch ruiniert.


Chloe Hooper: A Child’s Book of True Crime. Gelesen in der Ausgabe Vintage 2002. Lieferbar bei Vintage in einer Neuausgabe von 2017. 240 Seiten, ca. € 11,-. Deutsche Übersetzung: Märchen eines wahren Mordes. Übersetzt von Barbara Schaden. Berlin Verlag 2003. Derzeit nicht lieferbar.

Das Zitat ist von S. 45

Hooper war mit diesem Titel 2002 für den Orange Prize for Fiction nominiert. Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekt Women’s Prize for Fiction.

 

6 Gedanken zu “Chloe Hooper: A Child’s Book of True Crime”

  1. Schade! In Teilen klang das Buch ja wirklich interessant, gerade was die australische Sagenwelt betrifft. Aber mitunter ist zu viel einfach auch zu viel. Ärgerlich!

    Liebe Grüße,
    Gabriela

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  2. Danke für den Bericht, das Buch klingt sehr spannend! Hast du die deutsche Übersetzung vielleicht auch gelesen und aknnst sagen, ob es sich auch lohnt?
    LG Sophie

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    1. Hallo Sophie, das habe ich leider nicht. Es sind aber gar nicht so wenige Besprechungen dazu erschienen, viele davon sehr positiv.

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