Thomas von Steinaecker: Schutzgebiet

schutzgebiet„Die Eingeborenen seien weitestgehend friedfertig gegenüber den Weißen eingestellt und kooperativ. So hieß es. Die Schutzherrschaft der Deutschen lasse sie in jeder Hinsicht profitieren, sei es in den Sachen der Hygiene, der Wirtschaft oder der Bildung.“

Schutzgebiet spielt kurz vor dem Ersten Weltkrieg in der fiktiven deutschen Kolonie Tola, genauer gesagt in der winzigen Festung Benēsi, wo die Bremer Kolonialgesellschaft versucht, einen Wald, natürlich einen deutschen, anzulegen. Irgendwann einmal soll hier ein wichtiges Handelszentrum entstehen. Verantwortlich dafür ist Ludwig Gerber, der zuvor bereits in seiner Heimat in Zwiesel und bei einem ersten kolonialen Versuch in Belgisch-Kongo gescheitert ist. Seine Unsicherheit aufgrund mangelnder Fremdsprachenkenntnisse versucht er durch besonders harsches Auftreten gegenüber den Arbeitern zu kaschieren. Auch seine Schwester Käthe lebt in Benēsi, nachdem sie in Deutschland nach einer Scheidung jede gesellschaftliche Anerkennung eingebüßt hat. Hinter den Kulissen ist sie die eigentliche Verwalterin des Projekts, überlässt das Rampenlicht aber ihrem Bruder. Ertragen kann sie das Leben in der Kolonie nur mit regelmäßigem, improvisiertem Drogenkonsum, eine Leidenschaft, die sie mit dem Arzt Brückner teilt. Auch er lebt nur in Tola, weil er in Deutschland endgültig gescheitert ist.

In diese wenig illustre Gesellschaft gerät nun Henry Peters, ein junger Architekt deutsch-amerikanischer Abstammung. Als Assistent des weit bekannteren Architekten Gustav Selwin sollte er in die Kolonie reisen, doch das Schiff Brünnhilde sank mitsamt Henrys junger Frau Natalie und Selwin. Henry ist der einzige überlebende Passagier. In Benēsi hält man ihn für Selwin und er macht sich nicht die Mühe, diesem Eindruck zu widersprechen. Endlich hat er die Chance, seine eigenen Pläne umzusetzen und die Siedlung seiner Träume zu erbauen. Doch dabei stößt er auf massive Widerstände. Baumaterial ist notorisch knapp und entsprechende Gesuche an die Verwaltung in Bismarckburg laufen ins Leere. Auch die Bremer Kolonialgesellschaft zeigt sich wenig interessiert und bleibt Antworten schuldig. Als einzige Hoffnung bleibt das angekündigte Schiff mit neuen Siedlern an Bord.

Einige Geschehnisse des Romans sind historisch verbrieft, einiges ist rein fiktiv, wie beispielsweise das Luftschiff, das über der afrikanischen Wüste schwebt oder Schultzes Stahlstadt, die in Oregon erbaut wurde. Das der Roman sich nicht an die reale Geschichte klammert, gibt ihm mehr Freiheit. In dieser Freiheit werden aber ganz reale Fragen deutscher (und auch anderer) Kolonialherrschaft verhandelt. Der Wald dient dabei häufig als wenig subtiles Symbol für Rassen und die Notwendigkeit, diese strikt voneinander getrennt zu halten und weniger gewünschte zurückzudrängen, sollten sie dem reinen deutschen Wald zu nahe kommen. Im afrikanischen Klima ein wenig aussichtsreiches Unterfangen.

Die Positionen in diesen Debatten werden durch die Charaktere fast allesamt besetzt. Der junge Käutner beispielsweise versucht, sich mit den einheimischen Arbeitern anzufreunden und ihre Sprachen zu lernen, während Schirach, Befehlshaber über die Schutztruppe, gar nicht genug Disziplin und Strafe einfordern kann. Der Abenteurer Lautenschlager macht nur kurz Station in Benēsi um dann weiter entlegene Völker zu suchen, immer auf der Jagd nach dem „first contact“, dem ersten Kontakt von Wilden und Zivilisierten. Von seinen Reisen berichtet er zu Hause in Salons, deren staunende Gäste sonst Völkerschauen besuchen.

Der Roman besteht aus 19 Teilen, die verschiedenen Themen gewidmet sind. Die Erzählung ist nicht chronologisch aufgebaut, sondern springt zwischen den Charakteren und ihren Geschichten, die schließlich alle in Benēsi enden. Von da wird es nicht weitergehen – der Roman beginnt mit der Einnahme der Festung durch französische Truppen, von Anfang ist klar, dass die Menschen, die schon zu Hause in Deutschland gescheitert sind, es auch hier nicht weit bringen werden. Die einzelnen Versatzstücke der Geschichte fügen sich zusammen zu einem Gesamtbild, die Fäden laufen alle zusammen und das auch durchaus stimmig.

Trotzdem konnte Schutzgebiet mich letztendlich nicht überzeugen. Das Personal gibt einiges her, aber außer dem Geschwisterpaar Gerber und Henry bleiben sie alle ziemlich blass. Die Vermischung von Wahrheit und Fiktion hat ihren Reiz, wirkt manchmal aber platt. Der Roman startet stark, baut aber leider schnell ab und die Geschichte braucht dann recht lange um wirklich in Fahrt zu kommen. Dafür geht am Ende plötzlich alles ganz schnell. Bis es soweit ist, sitzt die Besatzung Benēsis in der afrikanischen Wüste und wartet auf Antworten und bessere Zeiten. Und der Leser wartet mit.


Weitere Bücher zum Thema:

Einen grotesken Einblick in die deutsche Kolonialgeschichte allerdings an einem anderen Ort bietet Krachts fantastisches Buch Imperium. Lesern mit einer Menge Zeit und einer Liebe zu pynchonesken Plots sei Eckers Fahlmann sehr ans Herz gelegt, in dem ein Handlungstrang der Tendaguru-Expedition folgt. Auch darüber hinaus ein unfassbar gutes Buch. Keinen deutschen aber einen sehr lesenswerten Blick auf Afrika-Expeditionen findet man in Boyles Wassermusik.


Thomas von Steinaecker: Schutzgebiet. Fischer 2016. 380 Seiten, € 11,99. Erstausgabe Frankfurter Verlagsanstalt 2009.

Das Zitat stammt von S. 16

2 Gedanken zu “Thomas von Steinaecker: Schutzgebiet”

  1. So unterschiedlich können die Geschmäcker sein. Mir hat „Schutzgebiet“ damals ziemlich gut gefallen, auch wenn ich die durchaus berechtigten Kritikpunkte nachvollziehen kann. 😉

    T.C. Boyles „Wassermusik“ liegt seit geraumer Zeit auf meinem SuB, irgendwie traue ich mich nicht heran… 😉

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