„Maybe it was just a further proof that the Whitshanks were not remarkable in any way whatsoever.“
A Spool of Blue Thread war der Shortlist-Liebling des Jahres. Wo immer es einen Literaturpreis zu gewinnen gab, war Anne Tyler schon da. Dementsprechend hoch waren natürlich meine Erwartungen an den Roman.
Anne Tyler erzählt die Geschichte der Familie Whitshank, der Eltern Red und Abby und ihrer erwachsenen Kinder Stem, Denny, Amanda und Jeannie. Sie wirken wie die perfekte Familie, haben ihre Geschichten, die sie sich immer wieder erzählen, kümmern sich um einander und fahren noch immer jedes Jahr für eine Woche an „ihren“ Strand. Nur Problemkind Denny fällt immer wieder aus der Reihe. Über Monate ist er nicht erreichbar, taucht dann plötzlich wieder auf, verschwindet aber, sobald ihm unangenehme Fragen gestellt werden. Ist er überhaupt noch verheiratet? Wie geht es seiner Tochter? Hat er gerade einen Job? Niemand traut sich zu fragen, aus Angst vor einer patzigen Reaktion.
Als Abby in den siebzigern ist, bekommt sie das Alter zu spüren. Ihr Kurzzeitgedächtnis lässt sie im Stich und immer wieder fehlen ihr einzelne Episoden ihres Tages. Nach einem Sturm findet man sie im Nachthemd durch die Nachbarschaft irren. So geht es nicht weiter, beschließen die Kinder mit Ausnahme des abwesenden Denny. Stem und seine Frau Nora werden von nun an bei Abby und Red wohnen und ein bisschen aufpassen. Als Denny schließlich davon Wind bekommt, ist er gar nicht einverstanden. Auf einmal ganz aufopferungsvoller Sohn steht er ebenfalls mit Sack und Pack vor der Whitshankschen Tür und besteht darauf, zu helfen.
Mit dieser neuen Konstellation unter einem Dach werden alte Wunden wieder aufgerissen, schwelende Konflikte brechen sich endlich Bahn und einige Geheimnisse, die über Jahre vorsichtig gehütet wurden, kommen ans Tageslicht.
Der Roman erzählt von vier Generationen einer Familie, von Reds Eltern Linnie Mae und Junior bis zum jüngsten Enkel Petey. Davon, wie Junior das Haus mit seinen eigenen Händen gebaut hat, wie er sich in der Nachbarschaft Respekt verschafft hat und wie Abby sich in Red verliebt hat. Außerdem fehlt es nicht an einigen interessanten und für einen Familienroman durchaus ungewöhnlichen Wendepunkten in der Geschichte. Aber letztendlich fehlt doch etwas. Das Besondere, das diese sehr gute Familiengeschichte zu einer außergewöhnlichen macht, die man nie mehr vergisst. Wären nicht die Erwartungen so hochgeschraubt gewesen, wäre ich mit diesem Roman völlig zufrieden gewesen. Wenn man das mal ignoriert und unvoreingenommen an das Buch geht, hat man hier eine absolut solide, charmante, unterhaltsame Familiengeschichte mit schlüssigen Charakteren und ein großes Lesevergnügen.
Anne Tyler: A Spool of Blue Thread. Ballantine 2015. 387 Seiten, ca. €8,-. Originalausgabe Knopf 2015. Deutsche Ausgabe: Der leuchtend blaue Faden. Kein und Aber 2015. 448 Seiten, € 22,90. Übersetzt von Ursula-Marie Mössner.
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