Ali Smith: How to be both

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How to be both habe ich eigentlich nur gelesen, weil es im Umfeld jedes relevanten Literaturpreises des vergangen Jahres herumlungerte. Beim Booker Prize, beim Folio Prize, beim Costa Book of the Year, beim Bailey’s Award – überall, wo dieses Buch nominiert sein konnte, war es nominiert. Den Klappentext fand ich erst abschreckend. Eine Geschichte, erzählt von einer 16jährigen und einem Renaissance-Maler? Besten Dank. Am Ende hab ich es dann doch probiert und war entgegen jeder Erwartung begeistert.

Ein Teil des Buchs wird erzählt von Francesco del Cossa (im Buch Francescho geschrieben), einem italienischen Renaissance-Maler, der vor allem für seine Fresken im Palazzo Schifanoia in Ferrara bekannt ist – dieser Maler und diese Fresken existieren tatsächlich. Der andere Teil des Buchs wird erzählt von einem englischen Mädchen namens George, das in Cambridge aufwächst. Georges Mutter sieht Bilder aus dem Palazzo Schifanoia und ist so fasziniert von einer der Figuren, dass sie sofort ein Hotelzimmer bucht und mit ihren Kindern nach Italien reist. Dies ist eine der letzten Erinnerungen von George an ihre Mutter. Wenige Monate später stirbt die Mutter unerwartet und George bleibt zurück mit ihrem kleineren Bruder und dem Vater, der mit der Situation nicht umgehen kann. George ist von da an besessen von einem von Franceschos Bildern und fährt fast jeden Tag in ein Museum, um es zu sehen. Dort taucht eines Tages Francescho höchstpersönlich auf – körperlos, denn er ist seit Jahrhunderten tot. So kann er George aber auf Schritt und Tritt folgen und all die Kuriositäten der modernen Welt beobachten.

Welcher Teil zuerst kommt, ist völlig willkürlich. Beide Teile tragen den Titel „one“ und die Erstauflage wurde in zwei Versionen herausgegeben –  einer, in der erst Georges Geschichte kommt und einer, in der zuerst Francescho das Wort hat. Das lässt schon ahnen, dass das Buch keine besonders stringente Handlung hat und der Fokus vielleicht gar nicht auf einer Handlung liegt. Tatsächlich steht viel mehr die Frage „how to be both“ im Mittelpunkt, wie man beides sein kann.

delcossaEs geht um Kunst, die in die Realität hineingreift, so wie einige von Francescos Gemälden, in denen die Figuren ihre Arme aus dem Bild heraus zu strecken scheinen. Um die Frage, ob Personen, die in Bildern festgehalten sind, noch irgendwie am Leben sind, obwohl sie schon vor langer Zeit gestorben sind. Es geht viel um die Grenzen zwischen Geschlechtern – recht schnell stellt sich heraus, dass Francescho eine Frau ist, die als Mann lebt um Maler sein zu können. George scheint die Kurzform eines weiblichen Namens wie Georgina zu sein, angesprochen wird sie aber durchgehend als George. Francescho hält sie für einen Jungen, als er sie das erste mal sieht. In den Fresken sehen George und ihre Mutter Figuren, bei denen sie nicht entscheiden können, ob sie männlich oder weiblich sind und letztendlich beschließen, dass es auch egal ist.

Nicht immer ist das Buch leicht zu lesen. Denn wie gesagt – an einer spannenden Handlung kann man sich nicht entlanghangeln und ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, wie weit ich gekommen wäre, hätte ich eine Francescho-Version bekommen. So aber war ich sehr zufrieden angesichts der spannenden Themen, die sich durchs Buch ziehen und aus verschiedenen Perspektiven diskutiert werden. Transgender und antike Mythen, das merkt man auch diesem Buch deutlich an, sind Favoriten von Ali Smith. Und ein bisschen was über Malerei, Farben und Fresken nimmt man auch noch mit. Unbedingt lesen, tolles Buch!


Ali Smith: How to be both. Penguin 2015. 384 Seiten, ca. €11,-. Originalausgabe Hamish Hamilton 2014.

Update 06.01.2016: Die Übersetzung erscheint unter dem Titel Beides sein im März 2016 bei Luchterhand.