Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe

wpid-20150728_190216-1.jpg„Wenn ich mich in meinem Alter noch über Menschen wundern würde, käme ich nicht mal mehr zum Zähneputzen.“

Baba Dunja lebt in Tschernowo, einem kleinen Dorf mitten in der Todeszone, die sich um das Kernkraftwerk Tschernobyl zieht. Nach der Katastrophe wurden sie und alle anderen Bewohner des Dorfes evakuiert. Doch bei der ersten Gelegenheit kehrte Dunja zurück in ihr Heimatdorf, wo sie alles hat, was sie braucht. Die ganze Aufregung um die Strahlung findet sie übertrieben, ihr geht es schließlich bestens. Sie hat ihren Garten, gute Freunde in der Nachbarschaft und vor allem ihre Ruhe. Und langweilig wird ihr auch nie. Es ist so viel zu tun in Haus und Garten und gelegentlich muss sie ja auch Briefe schreiben an ihre Tochter Irina, die im fernen Deutschland als Chirurgin arbeitet. Sie besucht sie nie, auch ihre Enkelin Laura hat sie noch nicht kennengelernt, denn niemand macht freiwillig Urlaub in der Todeszone.

Fremde sieht man hier fast nie, nur gelegentlich Forscher, die Schutzanzüge tragen und sich dafür interessieren, warum die Spinnennetze hier so anders aussehen und die Vögel so laut singen. Gelegentlich tauchen auch Reporter auf um Fragen zu stellen und mit ihren Berichten machen sie Baba Dunja zu einer landesweiten Berühmtheit. Aber das Leben außerhalb Tschernowos interessiert Baba Dunja gar nicht, sie findet es eher lästig, wenn sie beim Einkauf in der Stadt erkannt wird.

Doch eines Tages tauchen ein Mann und ein Mädchen auf, die augenscheinlich bleiben wollen. Unverantwortlich, findet Dunja, denn dem Mädchen geht es bestens, und hier sollten nur Menschen wohnen, die außer einem friedlichen Tod nicht mehr viel vom Leben erwarten. Es kommt zu einem Streit mit dem Mann, der die ganze Dorfgemeinschaft auf eine harte Probe stellt.

Baba Dunja ist eine wahnsinnig sympathische Protagonistin. In sich ruhend, pragmatisch, anpackend wenn nötig und voller Weisheit ist sie die Oma, die man jedem wünscht. Die Geschichte allerdings plätschert ein wenig vor sich hin. Das Buch liest sich, als würde man bei Oma auf dem Sofa sitzen und zuhören, was sie zu erzählen hat – von früher, von der nervigen Nachbarin, davon, wie die Tomaten dieses Jahr wachsen, dass die Beine wieder nicht wollen. Voller Charme und Wärme und Witz, aber ohne ganz große Höhepunkte, dafür aber fast märchenhaft und eine schöne Lektüre.

Tschernowo gibt es übrigens nicht, soweit ich das herausfinden konnte. Aber Menschen, die in die Sperrzone zurückgekehrt sind, gibt es. Darunter eine Hanna, die in nahezu jedem Artikel über Tschernobyl-Heimkehrer auftaucht, weit über ihr Dorf hinaus bekannt ist und genauso gut Dunja heißen könnte.


Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe. Kiepenheuer & Witsch 2015. 153 Seiten, € 16.

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