Lange Zeit führte kein Weg vorbei an Smilla und ihrem Gespür für Schnee. Buch wie Verfilmung waren in den 90er große Erfolge und für viele die erste Konfrontation mit den schwierigen dänisch-grönländischen Beziehungen.
Fräulein Smilla lebt allein, ohne Lohnarbeit und immer sehr gut angezogen in einem eher unschönen Block in Kopenhagen. Mit dem Nachbarsjungen Jesaja pflegt sie ein enges Verhältnis, vor allem da dieser bei seiner alkoholkranken Mutter keine Geborgenheit findet. Zudem verbindet die beiden ihre grönländische Herkunft. Doch eines Tages liegt Jesaja tot vor dem Wohnblock, in dem sie beide leben. Er ist beim Spielen auf dem Dach verunfallt und hinuntergestürzt, so das schnelle Ermittlungsergebnis der Polizei. Smilla ist sich sofort sicher, dass das keinesfalls die Wahrheit sein kann. Nicht nur hatte Jesaja panische Höhenangst, an seinen Fußspuren erkennt die schneeerfahrene Grönländerin sofort, dass er gerannt und am Ende in seiner Verzweiflung gesprungen sein muss. Im festen Willen, Jesajas Mörder, denn nicht weniger als Mord kann es sein, zu finden, gerät Smilla in ungeahnte Verstrickungen und große Gefahr. Sie kann gar nicht ahnen, in welche Schlangengrube sie kopfüber springt, als sie bei Jesajas Beerdigung beschließt, seine Feinde zu finden.
„Ich frage mich zum x-ten Mal, wie ich hier gelandet bin. Ich kann die Schuld daran nicht ganz allein tragen, die Last ist zu schwer, ich muß auch Pech gehabt haben, irgendwie muß sich das Universum von mir zurückgezogen haben.“
Erzählt wird davon in den drei Teilen „Die Stadt“, „Das Schiff“ und „Das Eis“ und das verrät auch schon, wie die Handlung sich entwickelt: Weg von Kopenhagen und über das Wasser in Smillas alte Heimat, das mehr oder weniger ewige Eis von Grönland. Als vermeintliche Angestellte schließt sie sich einer geheimnisvollen Expedition an. Unterwegs findet Smilla nicht nur Gelegenheit, ihr Leben und ihr Verhältnis zur grönländischen Kultur zu reflektieren, sondern auch für etliche recht brutale Schlägereien. Doch wer auch immer sie zu hindern versucht: Smilla ist von ihrem Weg nicht mehr abzubringen. Jesajas gewaltsamer Tod gerät dabei recht schnell zum Nebenschauplatz, ist Smilla doch einer gewaltigen Verschwörung auf der Spur. Etwas gefährliches Lebendiges soll von Grönland nach Dänemark gebracht werden, das hat sie schnell raus, aber was kann es sein? (Ich hatte gehofft, es sei ein aufgetauter Säbelzahntiger oder so, das ist es nicht. Aber wer sowas mal lesen will, wird bei Lincoln Childs Nullpunkt fündig. Ich rate aber nicht dazu.)
Der Spannungsbogen hat manchmal beträchtliche Schwierigkeiten, seine Haltung zu bewahren, aber immerhin weiß man am Ende alles, was es über die dänische Schifffahrt und ihre Regularien zu wissen gibt. Man muss Høeg allerdings zu Gute halten, dass die Entwicklung der Geschichte tatsächlich unvorhersehbar bleibt, so mühsam der Weg zur Aufklärung mitunter auch ist. Das liegt vielleicht auch daran, dass das Ende so vergleichbar unspektakulär ist, dass man darauf gar nicht kommt. In irgendeiner Form herausragend ist dieser Roman dann auch eigentlich nicht. Warum gerade diese Geschichte einen so durchschlagenden Erfolg hatte, immerhin war sie auch der Fortsetzungsroman in der Wormser Zeitung, ist mir mit zwanzig Jahren Abstand nicht mehr ersichtlich. Ist es das grönländische Setting? Die toughe Frau, die Leute mit Schraubenziehern angreift und dabei unfassbar gut gekleidet ist? Die Trillionen exotischen Wörter für Schnee, die sie kennt? Irgendeinen Nerv muss Høeg mit diesem Roman getroffen haben, den er zumindest bei mir jetzt nicht mehr trifft. Smilla ist, und ich sage das ungern, weil es sie sehr ärgern würde, nicht besonders gut gealtert.
Peter Høeg: Fräulein Smillas Gespür für Schnee. Aus dem Dänischen übersetzt von Monika Wesemann. Carl Hanser 1994, 528 Seiten. Gelesen in der eBook-Ausgabe mit 447 Seiten. Die Originalausgabe ist 1992 unter dem Titel Frøken Smillas fornemmelse for sne erschienen.
Das Zitat stammt von S. 288.