Viet Thanh Nguyen: Der Sympathisant

Als 1975 das letzte Flugzeug Saigon verlässt, ist der namenlose Erzähler mit an Bord. Als rechte Hand des Polizeigenerals konnte er gerade noch rechtzeitig Visa für sich und die Familie des Generals bekommen. Zusammen mit dem General wird er nach Guam gebracht und landet schließlich ebenfalls mit ihm zusammen in den USA, ein Land, das dem Erzähler bereits aus Studententagen vertraut ist. Allerdings fällt ihm die Eingewöhnung nicht leicht, wie auch den meisten seiner Landsleute. Vor allem ehemals hochrangige Armeeangehörige leiden darunter, dass sie nun ihren Lebensunterhalt als Imbissköche oder Schnapsverkäufer bestreiten müssen und ihnen keinerlei Achtung mehr entgegengebracht wird. Der General ist erleichtert, dass er in dieser komplizierten Situation seinen treuen Adjutanten noch immer an seiner Seite hat und vertraut ihm blind. Als klar wird, dass sich in der vietnamesischen Community ein kommunistischer Spion verbergen muss, wird der Erzähler sogar damit beauftragt, den vermeintlichen Maulwurf zu töten.

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Was der General nicht weiß: der Erzähler selbst ist der Spion. Er war es schon in Vietnam und er ist es in den USA selbstverständlich geblieben. Woche für Woche schreibt er kompliziert chiffrierte Briefe an eine angebliche Tante in Paris, von wo die Briefe direkt nach Ho-Chi-Minh-Stadt weitergeleitet werden. Dort ist man sehr interessiert zu hören, dass der General von den USA aus versucht, eine Widerstandsarmee auf die Beine zu stellen, die die kommunistische Herrschaft im Heimatland beenden soll. Für den Erzähler wird die Situation immer vertrackter, denn einer seiner ältesten Freunde will sich der Armee anschließen und dessen Tod will er keinesfalls riskieren. Und von Anfang an ist klar, dass es irgendwann schief gehen wird, denn der Roman ist als Geständnis an einen Kommandanten gerichtet, geschrieben in der Einzelhaft.

Eine konfliktbeladene Identität verfolgt den Erzähler schon seit seiner Kindheit. Er ist das Kind einer sehr jungen vietnamesischen Frau und einem deutlich älteren französischen Mann, dessen Haushälterin sie war. Selbstverständlich verleugnet der Vater jede Beziehung zu dem Jungen. Unter den Kindern an der Schule gilt der Erzähler als „Bastard“, in den USA als „Amerasier“ und sobald es mit einer der beiden Communities zum Konflikt kommt, wird ihm seine Herkunft vorgehalten. Der Erzähler nimmt sich diese Ablehnung immer sehr zu Herzen und verunsichert wie er ist, klappt es dann auch mit der Liebe nicht besonders gut, was ihn noch frustrierter zurücklässt. Einzig als Berater in Hollywood kommt ihm seine doppelte Identität zugute. Für einen Kriegsfilm, der schwer nach „Apocalypse Now“ klingt, soll er dafür sorgen, dass die Vietnamesen möglichst authentisch erscheinen. Doch so viel Mühe er sich auch gibt, am Ende ist es doch wieder eine Kriegserzählung aus amerikanischer Sicht, die vietnamesischen Komparsen nur austauschbare Figuren für ein bisschen Lokalkolorit und er selbst ist um eine weitere Frustration reicher.

„Ah ja, der Amerasier, für immer gefangen zwischen zwei Welten. Nie weiß er, wo er hingehört. Stellen Sie sich vor, Sie würden nicht an dieser ständigen Verwirrung leiden, an diesem ständigen Konflikt zwischen Orient und Okzident, den sie innerlich austragen müssen und der über Ihren Kopf hinweg ausgetragen wird.“

Der Erzähler, der noch nicht mal seinen Namen verrät, von dem auch niemals erfährt, wie er aussieht, ist ein Musterbeispiel für einen unzuverlässigen Erzähler. Niemals kann man sicher sein, wem seine Loyalität wirklich gilt und an welchen Stellen er wirklich in einer moralischen Zwickmühle ist. Nach einem zweiten Mord lasten zusätzlich noch zwei Geister auf seinem Gewissen, die ihm überall hin folgen und ihn nicht unbedingt zurechnungsfähiger erscheinen lassen. Der Sympathisant hat in den USA für viel Aufsehen gesorgt, weil es eine der wenigen Erzählungen über den Vietnam-Krieg ist, die das Geschehen nicht aus US-amerikanischer Perspektive schildern. Tatsächlich ist es eine spannende Abwechslung, den Bericht von jemandem zu lesen, der mittendrin steckt, dessen Heimat vom Krieg zerstört wurde, der nicht „nur“ als Soldat einer fremden Macht mit dabei war. Als Spion, der ideologisch der einen Seite verbunden ist, persönlich aber oft genug der anderen, bezieht der Erzähler auch keine klare Stellung und findet schwer, den internen Konflikt Vietnams zu beurteilen. Wenn er im Roman danach gefragt wird, antwortet er ausweichend, statt Stellung zu beziehen und nimmt so den Lesenden nicht die Entscheidung ab, auf wessen Seite man nun besser stehen sollte.

Aller Spannung zum Trotz fand ich den Roman zum Teil aber auch ein wenig langatmig. Über lange Strecken ist nicht klar, wo der Erzähler hin will und was sein nächster Plan ist. Das weiß er eben auch einfach nicht, so ist der Charakter aufgebaut. Außerdem ist er auf beiden Seiten von Befehlen abhängig und kann im Grunde nur machen, was ihm entweder der General oder der Kommandant befehlen. Diese Episoden ziehen sich zum Teil nicht unerheblich, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass Der Sympathisant ein interessanter, spannender und lesenswerter Spionageroman ist.


Viet Thanh Nguyen: Der Sympathisant. Gelesen als eBook in der Ausgabe Blessing 2017. Übersetzung durch Wolfgang Müller. Originalausgabe: The Sympathizer bei Atlantic Monthly Press 2015.

Das Zitat stammt von S. 77/406.

Ich danke dem Verlag für das Leseexemplar.

5 Gedanken zu “Viet Thanh Nguyen: Der Sympathisant

  1. thursdaynext 4. Dezember 2018 / 17:32

    Ich habe ihn abgebrochen, obwohl ich ihn eigentlich gut fand. Langatmig, weitausholend und dazu noch wirklich füllig. Ziehe meinen imaginären Hut vor deinem realen Durchhaltevermögen.

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    • Marion 4. Dezember 2018 / 21:32

      Wir haben das Buch im Buchclub gelesen und ich bin mir auch wirklich nicht sicher, ob ich es ohne diese „Verpflichtung“ zu Ende gelesen hätte. Ich hatte das Buch als eBook, dann sieht man ja nicht immer wie weit man ist. Es ist mehrfach passiert, dass mein Blick unten auf den xx/406-Zähler fiel und ich dachte „was? Ernsthaft? Was passiert denn noch alles?“.
      Am besten von uns gefallen hat es einer Frau, die fast 60 ist und den Vietnamkrieg auch durch ihre Eltern und älteren Geschwister sehr mitbekommen hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mir wirklich viel Bezug zur Thematik gefehlt hat.

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      • thursdaynext 5. Dezember 2018 / 16:48

        Ih war wirklcih erleichtert als ich abgebrochen hatte und das schwere Stück in die Stabi zurücktragen konnte 😉 Der Vietnamkrieg muss ja DAS Traumata der Amis zusammen mit dem Bürgerkrieg und mittlerweile ninerelebven sein, was ich mir erhofft hatte war ein wenig mehr Durchblick bei dieser Angelegenheit und den fand ich nicht wirklich. Wie du sagst Bezug und Infos

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        • Marion 6. Dezember 2018 / 21:55

          Das stimmt, zum Durchblick verhilft dieses Buch absolut nicht. Zwischendrin hab ich immer nochmal ein paar Wikipedia-Artikel quergelesen, ansonsten hätte ich wohl noch viel mehr zu kämpfen gehabt.

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          • thursdaynext 7. Dezember 2018 / 20:22

            Yupp, dazu war ich schlicht zu faul und desinteressiert am Thema und der Darbietung. Immer gut zu erfahren, dass ein abgebrochenes Buch nicht wieder aufggenommen werden sollte 😉

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