Jay Porter arbeitet recht erfolglos als Anwalt in Houston. Die Fälle, die er bearbeitet, sind wenig aufregend und nur leidlich lukrativ. Die Tatsache, dass seine Frau Bernie sehr bald ein Kind erwartet, erleichtert seine finanzielle Situation nun nicht. Eine Fahrt auf dem Buffalo Bayou, dem bescheidenen Fluss, der sich durch Houston schlängelt, soll ein ganz besonderes und romantisches Geschenk von Jay zum Geburtstag seiner Frau sein. Doch plötzlich hören sie Schreie am Ufer. Es fallen Schüsse, ein Körper stürzt in den Fluss. Trotz großer Bedenken fasst Jay sich schließlich ein Herz und rettet eine verstörte Frau aus dem Wasser, mehr tot als lebendig. Seine Erfahrung lehrt ihn, dass es ihm als schwarzen Mann in Houston nichts als Ärger einbringt, wenn er mitten in der Nacht mit einer völlig durchnässten weißen Frau angetroffen wird. Also lädt er die Unbekannte vor der nächsten Polizeistation ab und hakt die ganze Geschichte ab. Bis er ein paar Tage später aus der Zeitung erfährt, dass die Sache vielleicht anders steht, als er glaubt. Plötzlich geht es um nicht weniger als sein Leben und das seiner Frau.
In seiner Studentenzeit in den 60er Jahren war Jay ein engagierter Aktivist in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, was ihm zu dieser Zeit einigen Ärger und beinahe eine Haftstrafe eingebracht hat. Noch immer ist er misstrauisch gegenüber denen, die in der Stadt und in der Gesellschaft das Sagen haben, und mit ihrem Geld die Welt regieren. Das macht ihn zum idealen Anwalt in einem Streit der Dockarbeiter, die in der Ölstadt Houston einen bedeutenden Wirtschaftssektor bestreiken könnten, sollten sie sich nicht sehr bald einig werden. Für seine einzige zahlende Klientin, eine Prostituierte, die während der Arbeit ein Schleudertrauma erlitten hat, bleibt da kaum noch Zeit.
„Money, it turns out, is the new Jim Crow.“
Locke zeichnet in ihrem Roman ein düsteres Bild von Houston. Es ist immer und ständig zu heiß, die Stadt kann mit ihrem eigenen Wachstum nicht mithalten und viele Stadtviertel verkommen, werden zum tristen Heim derer, die nicht zum erfolgreichen Öl-Adel der Stadt gehören. Jay wollte Anwalt werden, weil er eben jenen helfen wollte, denen sonst niemand zuhört. Dass damit kein Geld zu machen ist, muss er nun ernüchtert feststellen. Ein Idealist bleibt er trotzdem, wenn er es sich denn gerade leisten kann. Dank seinem politischen Engagement wimmelt der Roman von Abkürzungen. OCAW vs. ILA, SNSS, SCLC, COBRA, BPP, BLA, HPD, AABL für- oder gegeneinander. Zumindest bei letzteren kann man die Details ignorieren, manchmal aber ist es, wenn man sich mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung nicht wenigstens grob auskennt, ein bisschen wie die Judäische Volksfront gegen die Volksfront von Judäa.
Zwischenzeitlich verzettelt der Plot sich dadurch auch etwas. Jays Vergangenheit in der Bürgerrechtsbewegung beispielsweise wird sehr ausführlich geschildert und es wird erst sehr spät klar, warum das relevant ist. Mit einigen anderen Handlungssträngen verhält es sich ähnlich. Zusammen mit Jay, der auf einmal mehr Detektiv als Anwalt sein muss, stochert man als Leserin erstmal im Dunkeln. Am Ende wird natürlich alles klar und die einzelnen Teilchen werden zu einem großen Gesamtbild – einem etwas sehr großen Gesamtbild vielleicht. Aus dem konkreten Fall am Anfang wird eine enorme, komplexe und dadurch auch recht abstrakte Geschichte. Der Spannungsbogen kommt da nicht immer hinterher. Dennoch ist Black Water Rising ein interessanter, lesbarer und vor allem sehr engagierter Roman, der sich für ein Debüt durchaus sehen lassen kann.
Attica Locke: Black Water Rising. Serpent’s Tail 2010. 434 Seiten, ca. € 10,-. Erstausgabe Harper 2009. Update 2021: Eine deutsche Übersetzung ist 2021 unter gleichem Titel im polar Verlag erschienen.
Das Zitat stammt von S. 75
Black Water Rising ist Lockes Roman-Debüt. Mit diesem Titel stand sie 2010 auf der Shortlist des Orange Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist somit Teil des Leseprojekts Womens‘ Prize for Fiction.