Das Geständnis zum Tode – „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ von Young-Ha Kim

Byongsu Kim, 70 Jahre alt, lebt zurückgezogen in einem Dorf in Südkorea. Vor seiner Pensionierung war er als Tierarzt tätig und widmete sich in seiner Freizeit dem Serienmord. Das aber hat er schon lange an den Nagel gehängt. Nun erfreut er sich an seinem Bambushain, liest Klassiker und schreibt Gedichte. Seit bei ihm Alzheimer diagnostiziert wurde, lebt seine Tochter Unhi bei ihm und pflegt ihn aufopferungsvoll. Als Byongsu Kim erfährt, dass in der Nachbarschaft erneut ein Serienmörder unterwegs ist, ist er erst beleidigt. Erstens ist das sein Revier und zweitens ist der Neue garantiert nicht so gut wie er. Aber schon bald überwiegt die Sorge, der Mörder könne es auf Unhi abgesehen haben. Er beschließt, vor seinem Tod einen allerletzten Mord zu begehen, um seine Tochter zu schützen.

Er hat keine Angst vor dem Tod, wohl aber davor, seine Tat nicht vollenden zu können, bevor ihm die Realität endgültig entgleitet. In Tagebüchern, auf Zetteln und auf einem Tonbandgerät versucht der Ex-Serienmörder verzweifelt, alles festzuhalten, was er macht, sagt und denkt. Oft erinnert er sich nicht mehr, was er am Vortag gemacht hat und hat Schwierigkeiten, Traum und Realität zu trennen. Auch als Leserin weiß man nicht, was man dem alten Mann glauben kann und wie man seine Erzählungen zu deuten hat. Dies betrifft nicht nur die aktuellen Ereignisse, sondern auch die Geständnisse seiner Morde, die er vor Jahrzehnten begangen hat. Vieles erzählt er in mehreren Fassungen.

„Da die Polizeireviere nicht zusammenarbeiteten, wurden Fälle, die sich anderswo ereigneten, als irrelevant angesehen. Allenfalls stocherten ein paar Tausend Polizisten mit Stöckchen in irgendeinem Wald herum. Das nannte sich dann Ermittlung. Das waren schöne Zeiten.“

Zu Beginn ist der Ton recht rau und selbstbewusst. Byongsu ist von sich und seinen Taten überzeugt. Schuldgefühle scheint er nicht zu kennen und berichtet von seinen Taten mit makaberer Selbstverständlichkeit. Seiner Krankheit versucht er zunächst mit Humor zu trotzen. Doch mit den Seiten wird er immer unsicherer, tastender und verwirrter. Gestalterisch wird dies unterstrichen durch Seitenzahlen, die immer mehr verblassen.

Aufzeichnungen eines Serienmörders ist ein außergewöhnlicher Thriller. Der Mörder nimmt einen mit in seine Gedankenwelt, die sich zugleich auflöst. Wissend, dass er der Mörder zahlreicher vollkommen unschuldiger Menschen ist, ist man doch versucht, mit ihm zu sympathisieren, dem lustigen alten Mann, der nicht mehr weiß, dass er gerade Teewasser aufgestellt hat. Letzteres lässt einen beim Lesen fast Mitleid empfinden und man hofft für Byongsu, dass er mit dem Tod davonkommt und sich nicht auf seine alten Tage noch einem komplexen Strafverfahren stellen muss. Aber nachdem seine Gedanken in immer dichteren Nebeln versinken, weiß man ja nicht, was er vielleicht so versehentlich vor sich hin plappert. Verdient hätte er natürlich die allerhöchsten Strafen.

Die Geschichte Byongsu Kims ist ein außergewöhnlicher Roman, der einen oft anhalten, zurückblättern und neu überlegen lässt. Der konsequent unzuverlässige Erzähler bietet keinen Halt und keine Orientierung und seine Geschichte bietet viele Fallstricke. Aufzeichnungen eines Serienmörders ist ein sehr, sehr kluger, unterhaltsamer und smart konstruierter Roman, der einen auf nur wenigen Seiten bestens unterhält und fordert.


tl;dr: Ein selten gutes und außergewöhnliches Buch!


Young-Ha Kim: Aufzeichnungen eines Serienmörders. Aus dem Koreanischen von Inwon Park. Cass 2020. 151 Seiten. Originalausgabe: Salinja-ui gieok-beob. 2013.

Das Zitat stammt von S. 32.

Ich danke dem Verlag für das Rezensionexemplar.

Ein Gedanke zu “Das Geständnis zum Tode – „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ von Young-Ha Kim

  1. Sybille Lengauer 5. September 2020 / 12:23

    Klingt tatsächlich sehr interessant, ich werde mir das Buch vormerken. danke für den Tipp.

    Gefällt 1 Person

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.