Die Welt auf sieben Etagen – Hotel Savoy

Am Rande Europas versammelt das Hotel Savoy Menschen aller Hintergründe in seinen 864 Zimmern. Kriegsheimkehrer, Künstlerinnen, Milliardäre leben hier für kurze Zeit unter einem Dach, in einer ganz einzigarten und temporären Gemeinschaft.

Irgendwo im Osten Europas stolpert der junge Kriegsheimkehrer Gabriel Dan in eine staubige Industriestadt und quartiert sich im Hotel Savoy ein. Er hat nicht einmal Gepäck, nur das, was er am Leibe trägt, und bezieht eines der billigsten Zimmer in der sechsten Etage. Er ist in dieser Stadt gelandet, da er sich seines reichen Onkels Böhlaug erinnert, von dem er sich Unterstützung erhofft. Allerdings wird er mit einem abgelegten Anzug und oberflächlicher Höflichkeit abgespeist.

Freundschaften findet er in der siebten Etage des Hotels, in der unter anderem die junge Varieté-Künstlerin Stasia lebt und von einer Zukunft in Paris träumt. Dort oben lebt man im ewigen Dunst der Wäscheküche und vom Verpfänden der eigenen Koffer, bis einem gar nichts mehr bleibt. Mehrfach plant Gabriel die Weiterreise, will den Herbst in seiner Heimatstadt Wien erleben, will vielleicht sogar nach Paris, und bleibt dann doch im Savoy hängen.

Die ganze Hoffnung der Stadt ruht auf dem mysteriösen Herrn Bloomfield, einem reichen Sohn der Stadt, der inzwischen in den USA lebt und jährlich zurückkehrt, um seiner alten Heimat einen Investitionssegen zu bescheren. So hofft man zumindest. Seine Rückkehr wird dringend herbeigesehnt, denn in der Stadt wird es immer ungemütlicher, erst recht, seit die Arbeiter der großen Fabriken streiken und man fürchtet, die Revolution können von Russland her ins Land ziehen.

Roth schafft in diesem kurzen Roman eine sehr besondere Atmosphäre. Die Stadt bleibt schemenhaft und düster, fast bedrohlich. Die Industrie verpestet die Luft, Wasser und Menschen. Beinahe ausnahmslos begegnet man Kranken, Armen und Zerstörten. Der Erzähler selbst isst häufig in der Armenküche, wo er auf die Arbeiter und ihre Frauen trifft, auf Menschen, die vom Arbeiten in den Fabriken so gezeichnet sind, dass sie kaum älter als 50 werden. Zwischen sie mischen sich immer wieder Wellen von Kriegsheimkehrern, wie Schwärme von Vögeln werden sie beschrieben, die mehr oder weniger vorhersehbar über eine Stadt hinwegziehen und dann weiter gen Westen. Den Menschen fehlt es an Perspektiven und Orientierung, niemand weiß, wohin man gehen soll, was man tun soll. Und im Rauch der Fabriken, selbst an der Wäsche auf den Leinen, glaubt der Erzähler, schon die Vorboten des nächsten Krieges zu erkennen.

„‚Ein herrliches Hotel‘, sagt Zwonimir und fühlt nicht das Geheimnisvolle dieses Hauses, in dem fremde Menschen, nur durch papierdünne Wände und Decken geschieden, nebeneinander leben, essen, hungern.“

S. 70

Das Hotel mit seinen vielen Etagen und seinen 864 Zimmern beherbergt Menschen aller Schichten. Unten lebt, wer sich vieles leisten kann. Nicht nur ein schönes Zimmer, sondern auch gutes Essen und Reisen wohin immer man will. Weiter oben sieht es anders aus. Dort haust man im ewigen Geruch der dreckigen Wäsche des gesamten Hotels und kocht heimlich Tee auf versteckten Spirituskochern. Das erste mal aber findet der Erzähler hier so etwas wie Gemeinschaft. Er selbst bezeichnet sich bis dahin als Egoist, als ungeeignet für jede Revolution, weil er immer nur an sich selber zu denken vermag. In den obersten Etagen des Hotels scheint er diese Lebensweise das erste Mal zu hinterfragen.

Roth schildert knapp und doch mit Tiefe eine Welt, die neu geschaffen werden muss. Der eben erst überstandene Krieg hat ein unvergleichliches Chaos hinterlassen, das alles möglich erscheinen lässt und doch nur wenig erlaubt. Der Protagonist ist nur einer von vielen, die nicht wissen, wohin mit sich, ob es sich lohnt, in das zurückzukehren, was man als Heimat erinnert, oder ob man doch besser woanders ganz neu anfängt. Oder ob man einfach noch ein paar Tage in einem Hotel bleibt, von dem man nicht weiß, wie man es bezahlen soll.

Joseph Roth: Hotel Savoy
dtv 2008, 126 Seiten.
978-3-423-13060-8

4 Gedanken zu “Die Welt auf sieben Etagen – Hotel Savoy”

    1. Ich musste die ganze Zeit an ein Hotel in Wien denken, in dem ich mal war. Unser Zimmer war ganz oben, winzig und stickig und auf der Etage waren mehrere Menschen, die wirkten, als seien sie da immer. In den unteren Etagen waren riesige Salons und Speisezimmer. Auch die hatten ihre besten Tage dreißig Jahre früher gehabt. Es war gar kein schlechtes Hotel und extrem günstig, aber es war sensationell aus der Zeit gefallen und auf seine Art ein Ort, wie ein moderneres Hotel es nicht sein könnte.

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