Flucht nach vorne – Eine Tür fällt ins Schloß

So ein ganz klein bisschen ist sie angegilbt, die Geschichte von Carola, einer schillernden Schauspielerin, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Mann verlässt und damit nicht nur ihre Karriere gefährdet. Im Kontext ihrer Zeit aber ist sie nahezu revolutionär und noch immer hat der Roman großen Charme.

Tilla Durieux war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine schillernde Figur und eine gefragt Schauspielerin auf allen Bühnen von Bedeutung. Mir folgt sie, seit ich sie das erste mal auf Franz von Stucks Gemälde „Tilla Durieux als Circe“ sah, das in der Alten Nationalgalerie in Berlin hängt. Ich weiß gar nicht warum, aber ich stand an diesem Tag sehr lange vor diesem Gemälde, beschloss dann, alles gesehen zu haben, was es in der Nationalgalerie für mich zu sehen gab, und ging nach Hause. Natürlich nicht, ohne eine Postkarte des Gemäldes zu kaufen, die seitdem über meinen Schreibtischen hing. Und sich von da in meine Träume schlich – besonders unschön war Circes Auftritt in Celans Todesfuge, von der ich mehrfach träumte, als ich für meine Abschlussprüfung gelernt habe, in der dann niemand was über Celan wissen wollte.

Mit Durieux an sich habe ich mich trotz dieser jahrelangen Verbundenheit erstaunlich wenig beschäftigt, und so erfuhr ich erst vor sehr kurzem, dass sie auch einen Roman geschrieben hat. Diesen veröffentlichte sie zwei Jahre nach ihrer Scheidung vom Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer, die mit dem Selbstmord Cassirers ein tragisches Ende fand und er handelt von einer großen Schauspielerin, die sich scheiden lässt. Nun. Der Roman wurde ein großer Erfolg, glaubte man doch, im Roman Szenen aus der Ehe zu lesen. Durieux bereute die Veröffentlichung zutiefst – es war nicht ihre Absicht gewesen, in der Öffentlichkeit dreckige Wäsche zu waschen oder auch nur anzudeuten, das Paar im Roman könnten sie und Cassirer sein. Aber der Schaden war angerichtet. Durieux und Cassirer waren viel zu bekannt, viel zu glamourös, als dass man in der Öffentlichkeit nicht begierig alles aufgesaugt hätte, was nach Privatleben aussah.

Der Roman aber handelt natürlich nicht von den beiden sondern von Carola Peters, einer berühmten und gefeierten Schauspielerin, die in einer schrecklichen Ehe mit dem Arzt Friedrich Karl gefangen ist. In der Öffentlichkeit funktionieren sie ganz gut, aber nachts liegt Carola wach und wagt nicht, sich zu rühren, aus Sorge, sie würde damit seine Aufmerksamkeit und seine Lust erregen. Eine Lust, die sie schon vor Jahren verloren hat. Noch schlimmer wird es, als Wolgers in das Leben des Ehepaars tritt, eigentlich nur Assistent ihres Mannes, für ihn aber offenbar viel mehr. Nicht willens, sein Ansehen mit einer homoerotischen Beziehung zu ruinieren, beginnt Friedrich Karl zu fantasieren, wie es wohl wäre, wenn an seiner statt Carola mit Wolgers schliefe. Carola hat endgültig genug, beendet die Ehe Hals über Kopf und zieht schon am nächsten Tag ins Hotel. Zum Glück muss sie da nicht einsam sein, denn schon lange unterhält sie eine Affäre mit dem Bankier Bernhard.

„Carola, Carola, was für ein sentimentales Geschwätz! Du willst doch nicht eine rührende Geschichte für junge Mädchen erzählen oder gar dahin gelangen, dich selbst zu bemitleiden. Nein, hart sein und nüchtern, einfach eine Rechnung aufstellen mit Wollen und Haben.“

S. 23

Ihr Ansehen aber leidet erheblich unter der Scheidung. Als Schauspielerin ist sie nicht mehr gefragt, und als sie endlich wieder Engagements bekommt, lässt man sie deutlich spüren, dass sie inzwischen für die meisten Rollen zu alt ist und ihre Schauspielkunst auch nicht mehr auf dem neusten Stand. Doch Carola ist das egal. Sie weiß, was sie kann und sie weiß, was sie will. Auch von einem Bernhard, der sich nicht so recht trauen will, die Beziehung öffentlich zu machen, lässt sie sich nicht zurückhalten.

Durieux Roman war, als er 1928 das erste Mal erschien, nicht nur wegen der Scheidung ein Skandal. Die Schilderung des erotischen Lebens der Ehepaars sind aus heutiger Perspektive ziemlich harmlos, damals waren sie das nicht. Insbesondere die homoerotischen Andeutungen waren brisant, aber auch, dass es in diesem Roman eine Frau gibt, die so sehr die Schnauze voll hat von ihren „ehelichen Pflichten“, von der ganzen Ehe an sich, dass sie zusammenpackt und geht und nicht fragt, ob sie sich das erlauben kann. Und auch nicht zurück kommt, als man sie fast auf Knien darum bittet. Carola Peters geht ihren Weg und ist nicht bereit, sich zu erklären oder gar zu entschuldigen. In erster Linie ist sie auch nicht Ehefrau oder Geliebte, sie ist Schauspielerin. Dieser Kunst wird denn auch ein wesentlicher Teil des Romans gewidmet, dem Leiden der alternden Darstellerin, dem Triumph der guten Kritiken.

Stilistisch merkt man dem Roman sein Alter an. Obwohl Durieux Hauptfigur es durchaus mit den Frauenfiguren aufnehmen kann, die kurz nach ihr von Gabriele Tergit oder Irmgard Keun geschaffen wurden – ihre Sprache kann es noch nicht. Ein wenig schwülstig und getragen wirkt der Roman heute, was einem mitunter den Blick darauf verstellt, wie modern Carola eigentlich ist. Und dennoch lohnt sich ein Blick in den Roman, denn den Charme der „Goldenen Zwanziger“ transportiert er auch so und Carola ist eine Figur, die es wert ist, auch kurz vor ihrem hundertsten Geburtstag noch gelesen zu werden.

Tilla Durieux: Eine Tür fällt ins Schloß.
dtv 1989, 129 Seiten.
978-3-423-19017-6

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