Come to the Cabaret – „Alles ist Jazz“ von Lili Grün

Mal wieder ist die junge Schauspielerin Elli ohne Engagement. Damit ist sie nicht alleine im Berlin der späten 20er. Die Vermieterin will ihre 40 Mark Zimmermiete und auf dem Tisch stehen seit Tagen nur mehr Würstchen mit Salat. Da ist schon eine Linsensuppe ein echter Lichtblick. Der viel größere Lichtblick aber ist Kollege und Freund Hullo: auch er hat die ewige Beschäftigungslosigkeit satt und beschließt, ein eigenes Kabarett zu gründen. Jazz soll es heißen, Sinnbild und Rhythmus einer neuen, einer modernen Zeit. Verrucht, aber nicht mondän. Und selbstverständlich gibt es dort auch eine Rolle für die talentierte Elli. Mit der neuen Möglichkeit, wieder tätig und kreativ zu werden, blüht sie auf. Sogar den Ärger mit Roland kann sie darüber vergessen. Roland ist ihr Freund, hat aber auch kein Geld und kann sie nur Mittwochs und Samstags sehen, weil er an den anderen Tagen studieren muss. Bald aber verbringt Elli sowieso jeden Tag bei den Leuten von Jazz um Nummern zu erfinden, einzustudieren und Texte zu lernen.

„Hauptsache ist, man spielt, Hauptsache ist, man lebt!“

Elli ist, trotz ihrer prekären Lage, eine hinreißend sorglose Hauptfigur, die darin an einige Figuren von Irmgard Keun erinnert. Sie überzeugt mit einer Mischung aus Unschuld, Eitelkeit und Abgebrühtheit. Elli weiß, wohin sie will und ist bereit, dafür einiges zu opfern. Ihre Prinzipien hat sie dennoch: sie bleibt bei keinem Mann, der nicht gut ist zu ihr, so viele Vorteile er sonst auch haben mag. Da isst sie lieber wieder Würstchen mit Salat.

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Neue Wege gehen – „Gilgi, eine von uns“ von Irmgard Keun

Gisela Kron hat einen festen Plan für ihr Leben: Sie will arbeiten, es zu etwas bringen, sich bilden und reisen. Vorerst macht sie das alles unter dem Namen Gilgi, der passt viel besser zu ihr. Später, wenn sie gesetzter ist, will sie Gisela heißen. Sie arbeitet als „Maschinenmädchen“ in einem Unternehmen und tippt den ganzen Tag Briefe über Strumpfwaren und Trikotagen en gros. Abends lernt sie in der Berlitz School Fremdsprachen, denn wer vorwärts kommen will, darf sich nicht ausruhen. Das hat Gilgi mit ihren 20 Jahren schon gut verstanden. An ihrem 21. Geburtstag jedoch erfährt sie vom grundsoliden Ehepaar Kron, dass sie nicht ihre Tochter ist, sondern adoptiert wurde. Gilgi zweifelt an der Beziehung zu ihren Eltern, erst recht, als sie herausfindet, dass auch Frau Täschner, eine bitterarme Schneiderin, die sie zur Adoption freigegeben hat, nicht ihre biologische Mutter ist.

Halt findet sie bei Martin, einem in den Tag lebenden Bohemien, der plötzlich ihre ganze Welt auf den Kopf stellt. Bisher hat Gilgi sich immer geweigert, dieses ganze Verliebtsein so ernst zu nehmen. Anderes war ihr wichtiger, ihre Freiheit, ihr eigenes Auskommen, Freundschaften. Nun wünscht Martin sich, dass sie weniger Zeit bei der Arbeit und mehr mit ihm verbringt und so nach und nach fällt es Gilgi immer leichter, morgens einfach liegen zu bleiben. Man kommt auch so ganz gut über die Runden. Doch ein kleiner Zweifel bleibt und nagt hartnäckig an Gilgi. Was ist nur aus ihren Idealen geworden? Will man die für einen dahergelaufenen Schriftsteller über Bord werfen?

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Die schlecht bezahlte Autorität – „Professor Unrat“ von Heinrich Mann

Die Geschichte des Professor Raat ist sicher vielen bekannt, nicht zuletzt durch die Verfilmung unter dem Titel „Der blaue Engel“. Seine Autorität baut dieses Erzbild des verstockten Gymnasiallehrers einzig auf seinen Titel und sieht sich umso mehr bedroht von subversiven Schülern, die ihm den Namen „Unrat“ anhängen. Dieser wenig schmeichelhafte Name hängt ihm nun schon seit Jahrzehnten nach und in seiner kleinen Heimatstadt sieht er sich umzingelt von Feinden, stets besorgt, irgendwo auf der Straße mit dem verhassten Spitznamen angesprochen zu werden. Der hat sich inzwischen fest etabliert, auch bei jenen, die schon lange nicht mehr zur Schule gehen. Dass viele ehemalige Schüler ihm durchaus nostalgische Wertschätzung entgegenbringen und ganz gerne an die Tage in seiner Klasse zurückdenken, merkt er nicht. Er nimmt den kleinsten Angriff auf seine Autorität so persönlich, dass er auf nicht weniger als Vernichtung sinnt und viel Energie darauf verwendet, verhassten Schülern den zukünftigen Lebensweg zu erschweren.

„Unrat, der sich von den Schülern hinterrücks angefeindet, betrogen und gehaßt wußte, behandelte sie seinerseits als Erbfeinde, von denen man nicht genug ‚hineinlegen‘ und vom ‚Ziel der Klasse‘ zurückhalten konnte.“

Anlass zum Ärger geben ihm im aktuellen Jahrgang vor allem die Schüler Ertzum, Kieselack und Lohmann, die er allein schon deswegen hasst, weil sie ein leichteres Leben haben als er. Zu allem Überfluss pflegen sie auch Umgang mit einer fragwürdigen Künstlerin, der schönen „Barfußtänzerin“ Rosa Fröhlich. Sie gastiert gerade in einem der wenigen feinen Theater der Stadt. Um Aufklärung bemüht sucht Unrat die Künstlerin mit einigem Aufwand auf, will ihr die Leviten lesen und verfällt ihr an nur einem Abend. Sein Untergang ist damit besiegelt.

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Ernst Haffner: Blutsbrüder

In den frühen 1930ern, als die wirtschaftliche wie soziale Lage in Deutschland nicht sehr rosig war, berichtete Ernst Haffner erstmals von den Blutsbrüdern, einer Clique, wie es sie in Berlin zu dieser Zeit massenhaft gab. Die Gruppe besteht aus jungen Männern und Jungen, zum Teil nicht älter als 15 Jahre, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr bei ihren Eltern leben und sich, so gut es eben geht, auf der Straße durchschlagen. Sie betteln, prostituieren sich und stehlen, schlafen in billigen Herbergen und vertrödeln die Zeit in warmen Kneipen.

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Die Blutsbrüder bilden einen festen und solidarischen Verbund, teilen was sie haben und schützen die anderen. An die Zukunft denkt man nicht. Wenn einer mal dreißig, vierzig Mark hat, werden die noch am gleichen Abend versoffen, auch wenn man von dem Geld einen ganzen Monat lang eine billige Miete zahlen könnte. Sie alle wissen, dass ihre Zukunft ohnehin nicht viel zu bieten hat. Nach der verkorksten Jugend mit Strafanzeigen, Ausbrüchen aus Fürsorgeanstalten und Gefängnisaufenthalten glaubt keiner mehr, noch groß was erreichen zu können. Nach außen verhalten die Jungen sich gleichgültig bis skrupellos und können auch recht brutal werden.

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Gabriele Tergit: Käsebier erobert den Kurfürstendamm

In einer Berliner Zeitung erscheint 1929 ein Artikel über Käsebier, einen mittelprächtigen Varieté-Sänger in der Hasenheide. Der Text ist die reine Verlegenheitslösung, es ist sonst gerade nichts zur Hand und leer lassen kann man die Seite ja schlecht. Die Hasenheide wird zum neuen Montmartre erklärt, der Sänger in den höchsten Tönen gelobt, und schon springt der nächste Journalist drauf an, schließlich will man nicht hinterherhinken, wenn es einen neuen Star zu entdecken gilt. Von heute auf morgen sind die Vorstellungen restlos ausverkauft und Berlins bessere Gesellschaft strömt in Scharen heran um Schlager zu hören wie „Wer mit mir will, der komme mit, wer mich nicht will, der jeht alleene“. Bald schon tritt Käsebier im schicken Wintergarten an der Friedrichstraße auf. Es erscheinen Bücher, Käsebier spricht im Radio, zu Weihnachten gibt es Käsebier-Puppen für die Kleinen und für die Großen Käsebier-Zigaretten und -Schuhe. Ein eigenes Theater soll für ihn gebaut werden, ein Prachtbau am Kurfürstendamm mit Geschäften und Wohnungen darin.

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Fünf. Zwei. Vier. Neun.

Im letzten Jahr plante Jörg Mielczarek die Herausgabe einer Literaturzeitschrift, die Texte aus der 5249 Tage dauernden Zeit der der Weimarer Republik abdrucken sollte. Das Ziel der zugehörigen Crowdfunding-Kampagne konnte leider nicht erreicht werden, aber da die erste Ausgabe da schon fast fertig war, ist sie jetzt als Ausgabe 0 doch erschienen.

Mielczarek befasst sich seit Jahren mit Texten aus der Zeit der Weimarer Republik. Unter dem Titel Von Untertanen, Zauberbergen, Menschen ohne Eigenschaften hat er auch ein Buch über diese Epoche veröffentlicht. Bei seinen Recherchen stieß er auf zahlreiche Texte, die heute interessierten LeserInnen nicht mehr so ohne weiteres zugänglich sind, bzw. mühsam zusammengesucht werden müssen. Zur Zeit der Weimarer Republik wurden beispielsweise viele Texte, durchaus auch längere, nur in Zeitschriften veröffentlicht. Darunter findet sich vieles, das heute auch noch lesenswert ist, wenn man denn weiß, wo man es findet.

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