Mühsamer Weg in die Welt – „A Gate at the Stairs“ von Lorrie Moore

Tassie Keltjin, Tochter eines Kartoffel-Farmers aus dem Mittleren Westen der USA, kommt zum Studium in die Kleinstadt Troy, deren Bevölkerung vor allem aus Studierenden besteht. Wahllos belegt sie Kurse in Sufismus, Weinkunde und Hüftmobilisierung und macht sich auf Jobsuche. Nach einigen Anläufen bekommt sie das Angebot, bei Sarah und ihrem Mann Edward als Kindermädchen zu arbeiten. Das Kind allerdings gibt es noch nicht. Sarah ist noch nicht einmal schwanger und wird es auch nicht mehr werden. Sie und ihr Mann haben sich entschlossen, ein Baby zu adoptieren.

Schließlich halten sie Mary im Arm, ein Mädchen, das die Adoptions-Agentur ihnen eigentlich gar nicht anbieten wollte. Denn Mary ist Schwarz und mit fast zwei Jahren auch schon älter als die meisten Adoptiveltern es sich wünschen. Doch Sarah und Edward kann das alles nicht schrecken und schon bald liegt Emmie, wie sie nun heißt, in ihrem neuen Gitterbett. Doch die Herausforderung ist größer, als zunächst gedacht. Sarah und Tassie begegnen bei ihren Spaziergängen mit Emmie immer wieder mehr oder weniger offenem Rassismus. Weiße Frauen mit einem Schwarzen Baby? Da glauben scheinbar alle zu wissen, was los ist.

Während das im Grunde ein interessantes Thema wäre und sicher auch eine interessante Erfahrung für die beiden Frauen, bleibt der gesamte Roman samt seiner Charaktere ganz schön blass. Die Geschichte wird aus der Sicht von Tassie erzählt, die recht ahnungs- und emotionslos durch ihr erstes College-Jahr stolpert. Sie schildert alles so distanziert, als würde sie die Welt durch eine sehr dicke Glasscheibe sehen oder als hätte man ihr irgendwas sehr Abschirmendes verschrieben. Sarah bleibt zweidimensional und schemenhaft, ihr Mann erst recht. Man weiß gar nicht so richtig, warum er im Roman ist. Er sitzt immer mal am Küchentisch, mehr trägt er zur Handlung kaum bei. Ein paar Mal gibt es Handlungsstränge aus denen etwas werden könnte. So lernt Tassie in einem Seminar einen Mann kennen, der Brasilianer ist und in den sie sich Hals über Kopf verliebt. Dass der Brasilianer kein Portugiesisch spricht, dafür aber einen Gebetsteppich besitzt, macht sie erst sehr spät stutzig. Ebenso haben Sarah und Edward eine Hintergrundgeschichte, die spannend beginnt, dann aber so absurd weitergeht, dass sie das ganze Gerüst des Romans ins Wanken bringt.

„When you are white and you adopt a black child, don’t you feel yourself pulled down a notch socially?“

Die Frage des Rassismus wird vor allem erörtert durch eine Art Selbsthilfegruppe, die Sarah ins Leben ruft und die aus Eltern besteht, deren Kinder eine andere Hautfarbe haben als sie. Diese Gruppe trifft sich wöchentlich und übernimmt es hilfreich, die gesamte Rassismus-Erfahrung zu sammeln, aufzuarbeiten und auch schon für die Leser*innen einzusortieren. Man hätte es vielleicht eleganter und weniger plakativ lösen können. Immerhin aber illustriert diese Gruppe ganz schön, wie sehr sich Mitglieder einer Mehrheit feiern, sobald sie irgendetwas für eine Minderheit tun, selbst wenn dies eigentlich aus reinem Egoismus geschieht.

A Gate at the Stairs erzählt eine fast gänzlich unspektakuläre Geschichte aus der Sicht einer Protagonistin, die von ihrem Umfeld kaum etwas mitzubekommen scheint. Meistens kommt Tassie vollkommen naiv und unbeholfen rüber, dann wieder hat sie tiefe Einsichten, die man ihr nicht zugetraut hätte und die auch wirklich nicht zu ihr und ihrer Lebenserfahrung passen. Wo die Geschichte nicht unspektakulär ist, ist sie nicht immer glaubwürdig. Also: alles ganz und gar nicht rund. Dabei ist Moores Stil flüssig und sicher – er hätte einen besseren Roman verdient.

Immerhin – das soll nicht unerwähnt bleiben – hat der Roman einen erstaunlich schönen Abschluss: „Reader, I did not even have coffee with him“.


tl;dr: Flüssig und sicher schreibt Moore eine Geschichte, die vielleicht Hand und Fuß hat, dann aber an den falschen Stellen. Schade um den schönen Stil!


Lorrie Moore: A Gate at the Stairs. Vintage Contemporaries 2010. 321 Seiten. Eine deutsche Übersetzung von Patricia Klobusiczky ist unter dem Titel Ein Tor zur Welt beim Berlin Verlag erschienen.

Das Zitat stammt von S. 238.

2010 war Moore mit diesem Roman für den Orange Prize for Fiction nominiert. Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekts Women’s Prize for Fiction.

4 Gedanken zu “Mühsamer Weg in die Welt – „A Gate at the Stairs“ von Lorrie Moore

  1. Alexander Carmele 30. November 2021 / 20:00

    Wunderbare Rezension. Manche Spannungsfelder sind sehr schwierig zu durchdringen und adäquat in Sprache zu fassen – zu viel Über-Ich, Politik, und Sendungsbewusstsein stoppen und lähmen den lyrischen Fluss. Ganz anders beispielsweise James Baldwin oder Toni Morrison. Ich finde es schade, dass viele Bücher dieser Art sich nicht in die Sprachlosigkeit des Schuldlosen hineinlassen, aber möglicherweise verstehe ich das falsch, und ich sollte das Buch lieber lesen!

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    • schiefgelesen 30. November 2021 / 20:07

      Nein, ich finde nicht, dass du es lesen solltest. Also kannst du natürlich sehr gerne, aber ich finde nicht, dass man verpasst, wenn man es nicht tut. Es hat so seine Momente, bleibt aber eigentlich wirklich sehr oberflächlich. Die Protagonistin ist in sofern sprachlos, als dass sie nichts zu sagen hat. Manche Dinge im Roman werden fast gar nicht kommentiert und reflektiert, andere dafür breitgetreten. Die Protagonistin reagiert kaum auf den Rassismus, der ihr begegnet. Sie ist ja auch eigentlich gar nicht die Betroffene, sie zeigt aber auch höchst selten überhaupt eine Reaktion, wenn z. B. ihr Freund von seinen Rassismus-Erfahrungen berichtet. Man könnte ja meinen, dass sie das wenigstens ungerecht findet, aber es verhallt vieles einfach so.

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      • Alexander Carmele 30. November 2021 / 20:12

        Oh, okay. Ja, ich verstehe. Mich hat von Ralph Ellison „The invisible man“ sehr beeindruckt. Es bedarf wahrscheinlich unfassbarer innerer Widerstandskraft, um dieses Maß an Ignoranz zu durchdringen ohne zu verzweifeln. Ich werde wahrscheinlich die Finger von diesem Buch lassen 🙂 Gibt es andere Empfehlungen zu dieser Thematik?

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        • schiefgelesen 30. November 2021 / 20:26

          Tatsächlich habe ich auch lange überlegt, ob Tassie absichtlich so naiv ist, ob das irgendeine Kunstgriff sein soll. Ich bin aber am Ende zu dem Schluss gekommen, dass es das nicht ist.
          Es gibt noch „Digging to America“, in dem es um zwei Paare geht, die jeweils ein koreanisches Mädchen adoptieren und damit sehr unterschiedlich umgehen. Aber Tyler geht da auch nicht so richtig in die Tiefe, muss ich sagen. Ansonsten muss ich leider passen, was das angeht.

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