In den Effingers schildert Tergit das Schicksal gleich mehrerer Familien, besonders aber natürlich das der titelgebenden Effingers. Bevor es mit denen aber so richtig losgeht, müssen sie erst bei Oppners einheiraten, so wie es einst Bankiers-Tochter Selma Goldschmidt getan hat. Damit das geschieht, müssen aber erstmal Karl Effinger und Annette Oppner beim Essen nebeneinander sitzen. Und wo ginge das besser, als bei der großen Einweihungsfeier von Oppners neuem Haus in der noblen Tiergartenstraße? Nun fällt leider „Selma das Besorgen großer Gesellschaften so schwer“ und Schwägerin Eugenie, Gesellschaftsdame von Welt, schaltet sich hilfreich ein. Sie hat quasi immer Gäste und versteht sich bestens mit Trottke, den man heute wohl als Caterer bezeichnen würde.
Das Gespräch von Eugenie Goldschmidt und dem treuen Trottke ist ein Musterbeispiel an Standesdünkel, der sich in der Wahl der Speisen manifestiert. Während Eugenie noch ganz dem Kaviar verhaftet ist, gelingt es Trottke mit viel Überredungskunst und hohen Referenzen doch, sie von einer Suppe zu überzeugen:
„Nehmen Sie Suppe, gnädige Frau, Suppe regt an. Potage sicilienne, vorzüglich, wir haben Potage sicilienne erst gestern zum Grafen Schwerin geliefert, wo sie viel Anklang fand.“
„Nein“, sagte Eugenie, „Ich kenne meinen Schwager, er wird doch Kaviar im Eisblock wollen. Potage ist ein bisschen plebejisch.“
„Plebejisch?“ sagte Trottke empört. „Gnädige Frau, bei der Gräfin Zetwitz wurde mit Potage angefangen.“
Offenbar lässt Eugenie sich doch noch überzeugen, denn die Begrüßungsworte ihres Schwagers werden dann wirklich über Suppe und Portwein gesprochen. Nicht überzeugen aber lässt sie sich von der Gans zum Hauptgang, denn „das ist konservativ und preußisch, aber wir sind liberal und Banquiers. Wir stehen auf einer Stufe mit den Industriellen“ – und auf dieser Stufe isst man Ente. So also kommt es, dass Drucker Kimmelstiel dann Potage sicilienne und Canards de Hambourg auf die handkolorierte Menükarte setzen darf.
Was nun genau Potage sicilienne ist, verraten weder Eugenie noch Trottke. Und was um die Jahrhundertwende alles als sicilienne bezeichnet wurde, ist einigermaßen wild: Lasagne ebenso wie Hühnerleber und Kapern, gehackte Eier oder Anchovies. Und natürlich auch Tomaten. Das Rezept, das ich dann letzten Endes für Oppners Einweihungssouper zusammengebastelt habe, ist eine Mischung aus all dem. Der Port, den es dazu gibt, braucht einen einigermaßen kräftigen Gegenpart, weshalb auch Steinpilz mit in der Suppe ist. Ob es das ist, was Tergit im Sinn hatte? Das bleibt reine Spekulation. Aber so lange es nicht plebejisch ist, wird es den Oppners wohl recht sein.

Potage sicilienne
für eine bescheidene Gesellschaft von 4 Personen
für die Gemüsebrühe:
- 2 Karotten
- ½ Stange Lauch
- 1 Zwiebel
- 200 g Knollensellerie
- 1 Bund Petersilie
- 2 getrocknete Steinpilze
- 2 EL Pflanzenöl
- 1/2 TL Salz
- Wasser
für die Potage:
- 350 ml Gemüsebrühe
- 1 kg Tomaten, geschält
- 1 getrockneter Steinpilz, eingeweicht
- 100 ml Sahne
- 2 Eigelb
- 2 Karotten
- 2 Stangen Staudensellerie
- 3 EL Butter
- 4 cl weißer Port
- 3 Lasagneplatten
- 50 g Parmesan in Späne gehobelt
- Salz, Pfeffer
Für die Gemüsebrühe das Gemüse gründlich waschen, Sellerie und Zwiebel schälen und alles außer Petersilie und Pilze in grobe Würfel schneiden.
In einem großen Topf das Öl erhitzen und das soeben kleingeschnittene Gemüse darin bei hoher Temperatur etwa fünf Minuten andünsten. Mit ca. 1,5 l Wasser ablöschen, Petersilie, Salz und Steinpilze zugeben. Aufkochen lassen. Abgedeckt etwa eine Stunde köcheln lassen.
Die Gemüsebrühe durch ein feines Sieb in einen anderen Topf abgießen. Einen der Pilze für die Potage zurückbehalten. Die Brühe offen köcheln lassen, bis sie auf etwa die Hälfte reduziert ist.
Für das weitere Rezept werden nur ca. 350 ml Brühe benötigt. Der Rest hält sich eingefroren mehrere Monate.
Für die Potage Sicilienne 1 kg geschälte Tomaten mit dem eingeweichten Steinpilz pürieren. 350 ml Gemüsebrühe in einen Topf geben. Die pürierten Tomaten durch ein feinmaschiges Sieb passieren und zu der Brühe geben. Mit Salz und Pfeffer würzen und mind. 30 Minuten köcheln lassen.
In der Zwischenzeit die Karotten schälen und, ebenso wie den Sellerie, in sehr kleine Würfel schneiden. Mit 2 EL Butter in einem kleinen Topf dünsten, bis sie bissfest gegart sind.
Die Lasagne in etwas Wasser ca. 8 Minuten kochen und anschließend quer in Streifen von etwa 0,5 cm Breite schneiden.
4 cl weißen Port zur Suppe geben.
Zum Abbinden 2 Eigelb mit 100 ml Sahne in einer Schüssel gründlich verrühren. Die Hitze der Suppe soweit reduzieren, dass sie nicht mehr kocht. Nach und nach drei Schöpflöffel der Suppe rasch unter das Ei-Sahne-Gemisch rühren. Diese Mischung nun zur restlichen Suppe geben und unter ständigem Rühren vorsichtig erhitzen, bis sie andickt. Die Suppe darf jetzt nicht mehr kochen, da sonst das Ei gerinnt.
Die fertige Suppe noch einmal mit Salz und Pfeffer abschmecken.
Mit Karotten, Sellerie, Lasagne und Parmesan anrichten und servieren.
Dazu hat sich Knoblauchbaguette als sehr lecker erwiesen, allerdings habe ich Zweifel, dass das bei Eugenie Anklang gefunden hätte.
Gabriele Tergit: Effingers. btb 2020. 898 Seiten.
Die Zitate stammen von den Seiten 102 – 104.
Dieses Rezept habe ich zusammen mit Sophie Anggawi gekocht für den Podcast des Literaturhaus Bremen. Wer hören möchte, wie wir uns über Essen in Büchern, das Bloggen an sich und einiges andere unterhalten, kann das direkt beim Literaturhaus tun.
Mehr Essen aus Büchern gibt es auf schiefgegessen.
So weit ich mich erinnere, wird in „Effingers“ ja irgendwie dauernd gegessen. Gefühlt bestand in meiner Wahrnehmung ein Drittel des Buches aus innerfamiliären Sonntagsessen mit anschließendem Mittagsschlaf. 😉
Aber wie auch immer: Das Ergebnis klingt gut und sieht gut aus. 🙂
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Ja, die ganze Zeit! Essen, trinken, ruhen. Man wundert sich, dass sie es dann doch zu Vermögen bringen.
Aber diese Szene mit Eugenie ist nun wirklich ausnehmend schön.
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