Lizzies Leben ist aufreibend. Sie hat nicht nur Mann und Kind, sondern auch eine Mutter, deren Glaube langsam ans Fanatische grenzt und einen drogenabhängigen Bruder, der sich wochenlang bei ihr einquartiert. Ihr Berufsleben als Bibliothekarin ist da nicht ganz so turbulent. Dann allerdings wendet sich Sylvia, eine ehemalige Dozentin an sie. Sie ist eine Art populäre Intellektuelle, die landesweit Vorträge hält und mit ihrem Podcast „Hell and High Weather“ ein riesiges Publikum erreicht. Ihr Hauptthema: der Klimawandel, die Zerstörung der Welt und wie uns das alle ruinieren wird. Aus ihrer Zuhörerschaft erreichen sie inzwischen so viele Mails, dass sie jemanden braucht, der sie beantwortet. Und das wird nun eine weitere Aufgabe für Lizzie.
„I swear the hippie letters are a hundred times more boring than the end-timer ones. They are all about composting toilets and water conversation and electric cars and how to live lightly on the earth while thinking ahead for seven generations.“
Lizzie liest Mails und noch mehr Mails, von besorgten Eltern, selbstgerechten Hippies und paranoiden Preppern. Sie hört jede Folge des Podcasts und liest Tonnen von Büchern zu dem Thema. Es dauert nicht lange, bis auch sie vom nahenden Ende der Welt überzeugt ist. Macht das alles noch Sinn? Gibt es irgendwo auf dieser Welt noch eine sicheren Ort? Wird es ihn auch in dreißig Jahren noch geben? Das sind die Fragen, die sie bewegen, während sie ihrem Sohn beim Spielen zuschaut. Sie sieht eine Katastrophe auf sich zurollen, deren Ausmaß sie noch nicht abschätzen kann. Zur Entspannung besucht sie einen Meditationskurs, aber die sehr pragmatische Einstellung ihrer Lehrerin macht eigentlich alles nur noch schlimmer. Ihr Gefühl vergleicht die New Yorkerin Lizzie mit der Zeit nach 9/11, als eine spürbare Anspannung in der Luft lag und alle über das gleiche Thema sprachen und die gleiche Angst hatten.
Neben und in all der Panik lebt Lizzie ihr Leben weiter, führt eine Ehe, bringt ihr Kind zur Schule, versucht weiterhin, ihren Bruder zu unterstützen, Frau, Mutter, Schwester, Freundin, Bibliothekarin zu sein. Und es gelingt. Lizzies Horizont wird immer düsterer, Hoffnung ist nicht in Sicht, aber irgendwie geht alles trotzdem weiter, so groß die Überforderung auch wird. Man muss das drohende Ende und den Wocheneinkauf eben unter einen Hut bringen. Spannend ist dabei auch zu sehen, wie Lizzie selbst beinahe keine Schritte gegen das drohende Unheil unternimmt, weder gegen den Klimawandel noch gegen den Rassismus in ihrem Stadtteil. Sie findet allerdings, „man“ müsse dagegen etwas tun.
Offill gelingt es, die aufsteigende Panik und die ungeheure Anspannung ihrer Protagonistin in unkonventionellen literarischen Formen einzufangen. Der Roman ist aus Lizzies Perspektive und nun nicht gerade als Stream of Conciousness, aber schon sehr gedankenlastig und mit inneren Monologen erzählt. Diese Gedanken und Betrachtungen werden verwoben mit Fragmenten aus anderen Texten, lahmen Witzen und Auszügen aus den Mails, die Lizzie liest und beantwortet. Weather ist ein ungewöhnlicher Roman und es ist auch im Grunde kein Roman über die Klimakrise, auch wenn sie natürlich eine große Rolle spielt. Es ist ein Roman über die Überforderung im Angesicht einer großen Katastrophe, die man nicht aufhalten kann und der man hilflos gegenüber steht. Trumps Wahl gegen Ende des Romans gibt keinen Anlass zur Hoffnung auf Besserung.
tl;dr: Weather ist ein abwechslungsreich konstruierter, kurzweiliger und ungewöhnlicher Roman über die kollektive Ratlosigkeit im Angesicht der Katastrophe.
Jenny Offill: Weather. Granta 2020. 207 Seiten. Eine Übersetzung von Melanie Walz ist unter dem Titel Wetter bei Piper erschienen.
Das Zitat stammt von S. 51.
2020 war Offill mit diesem Roman auf der Shortlist des Women’s Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des gleichnamigen Leseprojekts.
mich hat der Roman überhaupt nicht überzeugt. Da die Lektüre länger her ist, lass ich einen Link da, den genauer als damals könnte ich jetzt eh nicht mehr fomulieren, was mich gestört hat…
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Deine Kritikpunkte kann ich nachvollziehen. Nach dem Klappentext hätte ich auch ein komplett anderes Buch erwartet, vor allem eins, das absurder oder witziger ist. Andererseits hätte ich auch nicht so richtig gewusst, was ich da hätte hinschreiben können, denn eine andere Handlung, die man hätte erwähnen können, gibt es ja auch nicht. „Ein Tagebuch ohne Pointe“ ist ja auch kein verkaufsfördernder Text, wenn auch vielleicht passend(er). „Dieses Buch handelt von einer Frau, die eine diffuse aber existenzielle Angst vor der Zukunft der Welt im allgemeinen hat“ vielleicht. Kauft ja auch niemand.
In den Kommentaren unter deinem Beitrag sagst du es ja auch – das Buch ist was für einen oder nicht. Ich sehe da eigentlich kein Mittelfeld. Mich hat es stilistisch gekriegt, ich habe es gerne gelesen und ich mochte auch einfach die Protagonistin. Aber wenn das für einen nicht funktioniert, dann ist der Roman nicht zu retten. Eine Handlung, an die man sich stattdessen klammern könnte, gibt es nun wirklich nicht.
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Ich bin ja absolut kein Gegner von wenig Handlung, normalerweise. Aber mir fehlte dazu dann doch das sprachlich besondere. Dass das Buch nicht wirklich enthält, was der Klappentext behauptet, sollte man ihm natürlich nicht vorwerfen. Wobei ich es schon blöd finde, dass Verlage da oft so aufschneiden. Das sorgt zB dann auch in Amazon-Rezensionen, die Verlagen glaube ich durchaus wichtig sind, immer wieder für Unmut.
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Natürlich kann man einem Text oder seinen Autor*innen an sich den Klappentext nicht vorwerfen, aber er setzt ja schon einen Rahmen und eben auch eine Erwartungshaltung. In diesem Fall hat es für mich gut funktioniert, aber das ging mir auch schon anders. Ich verstehe total, warum das frustrierend sein kann.
Romane ohne Handlung funktionieren sehr gut, wenn der Stil einen begeistert und umgekehrt funktionieren für mich auch Romane, die sehr spannend sind, aber vielleicht keinen besonders guten Stil haben. Beides ist ja sehr subjektiv, aber zumindest eines von beiden muss dann schon für einen passen.
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Ich frage mich halt, ob sich der „Tradeoff“ für Verlage langfristig lohnt…? Klar, ein Klappentext soll auch werben, aber ich habe schon öfter solche erlebt, bei denen man die Werbung beinah als irreführend bezeichnen würde. Und dann verkauft man ein vll sogar gutes Buch an die „falschen“ Leute, die sind sauer und kaufen so schnell vll nicht noch mal…
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