To the Lighthouse zählt zweifelsohne zu den bekanntesten Romanen Woolfs und vermutlich auch der Literaturgeschichte. Doch was den Leuchtturm angeht, beginnt er mit einer Enttäuschung: Aufgrund des rauen Wetters ist ein Besuch gar nicht möglich. Damit entspinnt sich schon der erste Konflikt der Familie Ramsay, die im Roman die zentrale Rolle einnimmt. Mrs. Ramsay ist darum bemüht, ihrem enttäuschten Sohn ein Wunder in Aussicht zu stellen, während ihr Mann überzeugt ist, dass der Ausflug keinesfalls stattfinden kann und man dem Jungen keine unnötige Hoffnung machen sollen.
„They came to her naturally, since she was a woman, all day long with this and that; one wanting this, another that; the children were growing up; she often felt she was nothing but a sponge sopped full of human emotions.“
Die Familie Ramsay, angeführt vom angesehen Philosophen Mr. Ramsay als Familienoberhaupt, verbringt im ersten Teil des Romans (The Window) wie in jedem Jahr ihren Sommer auf der Isle of Skye. Die Ramsays leben in dieser Zeit mit ihre acht Kindern (acht! Und das mit einem Philosophengehalt!) in einem Haus ganz nah am Meer, hinter dem ein kleiner Garten sanft in Richtung Küste abfällt. Das sommerliche Idyll teilen die Ramsays mit einigen Gästen, darunter die Malerin Lily Briscoe und der Dichter Augustus Carmichael. Der Roman ist besonders auf das Innenleben seiner Figuren konzentriert: der Fokus springt von Person zu Person und erlaubt so unterschiedliche Sichtweisen, nicht so sehr auf das äußere Geschehen, als auf die unterschiedlichen Wahrnehmungen und auf die inneren Konflikte der Personen. Viel Handlung enthält der erste Teil indessen nicht. Vor allem geht es darum, ob der geplante Ausflug nun stattfinden kann oder nicht (kann er nicht), um Spaziergänge in die Stadt und an den Strand und um ein Abendessen. Es ist die ganze träge Ereignislosigkeit eines freien Sommertages. Diese Trägheit ist natürlich nur oberflächlich, denn wie eben schon gesagt, ist der wahre Reichtum des Romans ja nicht in der Handlung zu suchen.
Im nächsten Teil, „Time Passes“ passiert dann umso mehr. Nicht im Sommerhaus, das in dieser Zeit leer steht, sondern in der Welt. Einige Mitglieder der sommerlichen Gesellschaft überleben diesen Teil nicht, sei es wegen Krankheiten oder weil sie im Krieg verwundet werden. Erst im letzten Teil kommen einige der Personen wieder im Sommerhaus zusammen, darunter Lily Briscoe, die immer noch überlegt, wo genau in ihrem Gemälde der Baum sein soll. Beim Ausflug zum Leuchtturm, der nun doch endlich stattfindet, ist sie allerdings nicht dabei.
Woolfs Konzentration auf das Innenleben ihrer Figuren, ihre Verwendung des stream of conciousness und verwandter Erzähltechniken, eröffnet ständig neue Perspektiven. Die Diskrepanz zwischen dem Handeln der Charaktere und ihren Gefühlen wird immer deutlicher. Die vergnügte Sommergesellschaft auf der Hebriden-Insel ist ein äußerst fragiles Konstrukt, zusammengehalten allein durch Höflichkeit und das Bemühen, andere nicht zu verletzen. Interessant konstruiert ist auch der zweite Teil, der allein von Mrs. McNab erzählt wird, einer Frau aus dem Ort, die damit betraut ist, das Sommerhaus der Ramsays in Schuss zu halten. Unmöglich findet Mrs. McNab die Ramsays, die glauben, nun nach zehn Jahren Abwesenheit einfach so wieder aufschlagen zu können und erwarten, alles so vorzufinden, wie es immer war, während sie, Mrs. McNab, seit Jahren gegen wuchernden Rasen und undichte Stellen im Dach kämpft.
Durch die unterschiedlichen Charaktere und ihre Sichtweisen wird der kurze Roman sehr abwechslungsreich und vielschichtig. Trotz sehr schmaler Handlung entsteht eine gewisse Spannung und der Text liest sich flüssig und unterhaltsam. Die ständig wechselnden Perspektiven erlauben viele verschiedene Lesarten, die historisch wie auch mit persönlicher Einstellung immer wieder andere waren und sein werden. So zählt To the Lighthouse zu den Romanen, die man nicht nur wegen ihrer Länge gut mehrmals lesen kann, sondern bei denen ein mehrfaches Lesen mit Sicherheit gewinnbringend ist.
Virginia Woolf: To the Lighthouse. Penguin English Library. Penguin Books 2018. 200 Seiten.
mE ist das der größte Roman der Moderne bis heute. Absolut rund, ohne dadurch bloß angenehm zu werden, thematisch auf der Höhe seiner Zeit, ohne jemals zu predigen. Bei meiner ersten Lektüre hatte ich Schwierigkeiten mit der gerafften Weltkriegs-Sequenz, aber auch das erzählt letztlich so viel eindringlicher vom Krieg als etwas, das eben nicht nur an der Front stattfindet, als das hundertste Schützengraben-Epos…
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Absolut. Überhaupt fand ich die mittlere Passage sehr stark, auch die übrigen Schicksalsschläge und Ereignisse betreffend. Extrem gute Erzählstimme und -perspektive.
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Ich habe zum Glück ein Hörbuch, sonst würde ich es wohl nicht schaffen den Text oft genug zu lesen… habe vor 3 Jahren auch mal was kürzeres drüber geschrieben… weil ich es zumindest im Blog vertreten haben wollte… wenn man mehr drüber schreiben will wird man nie fertig 😉
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