Selbstsuche in der Kleinstadt – „The Short History of a Prince“ von Jane Hamilton

Walters Zeit als Prinz währt kurz. Als Teenager ist er ein nicht sehr vielversprechendes Ballett-Talent. Für eine Nebenrolle im „Nussknacker“ in seiner Heimatstadt Chicago reicht es nicht, dafür darf er in einem Provinz-Theater gleich die Rolle des Prinzen tanzen. Die Inszenierung ist so schlecht, dass es ihm sogar peinlich ist, dass seine Familie zur Aufführung kommen will. Seine bescheidene Ballett-Karriere kriegt mit dieser Blamage eine deutliche Bruchstelle. Ohnehin ist es eine schwierige Zeit für ihn und seine Familie. Sein Bruder Daniel ist an Krebs erkrankt, der sich langsam als unheilbar entpuppt und Walter ist verwirrt angesichts seiner Gefühle für Ballett-Freund Mitch. Trost und Ruhe findet die Familie im Anwesen an Lake Margaret, das seit Generationen in Familienbesitz und mittlerweile ein Vermögen wert ist. Es ist der Anlaufpunkt für alle Familienfeiern, lange Sommerwochen und Ruhepol für alle, die einen brauchen.

Knapp 25 Jahre später steht die Zukunft des Hauses auf dem Spiel: Tante Sue, Mehrheitseignerin des Anwesens, will verkaufen. Ihr ist es egal, ob an ein Familienmitglied oder irgendeinen Fremden, oder zumindest behauptet sie das. Walter kann da nicht helfen, als Lehrer in einer Kleinstadt verdient er gerade genug, um die Miete für ein karg möbliertes Appartement aufzubringen. Das ist auch nicht sein einziges Problem. Mitte der 90er-Jahre sieht er kaum eine Möglichkeit, in eben dieser Kleinstadt offen homosexuell zu leben, von seiner mangelnden Beziehungsfähigkeit mal ganz abgesehen. Auch an seiner Befähigung als Lehrer zweifelt er fortwährend, da er sich außer Stande sieht, jedes Jahr eine andere Klasse voll schwerfälliger Teenager für die Feinheiten und Möglichkeiten der Literatur zu begeistern.

„He had struggled to find his way as a teenager and as a college student. It was humbling to be in the future, in the time that should have been filled with satisfying labors and triumphs.“

Mit der drohenden Vertreibung aus ihrem Zentrum, dem Sommerhaus, gerät das gesamte Familiengebilde ins Wanken. Plötzlich sind alle bemüht, Verbindungen enger werden zu lassen und Nähe zu finden, wo es bisher keine gab. Das gilt auch für Walter. Der lange verdrängte Tod des Bruders bewegt ihn auf einmal, er stellt seinen Eltern Fragen und spricht mit einer alten Freundin das erste mal über Daniels langsamen Tod. Mit den Erinnerungen daran kommen auch die Begleitumstände wieder hoch: die Zeit beim Ballett, seine ersten sexuellen Erfahrungen mit Mitch und vor allem der erste Tag, an dem er wegen seiner Homosexualität gedemütigt wurde. The Short History of a Prince springt zwischen Walters Jugend in den 1970er-Jahren und seiner Gegenwart in den 1990ern. Hamilton bleibt nah an ihrem Protagonisten und erzählt sehr langsam, aber nicht langatmig, von seinem unbeholfenen Weg ins und durch das Erwachsenenleben. Walter hat ein ungeheures Talent, sich nicht zugehörig zu fühlen und eben auch keinen rechten Zugang zu finden, in welchem Personenkreis auch immer er sich gerade bewegt. Die meisten von Walters Erinnerungen sind schmerzhaft und Hamilton reizt das aus, ohne pathetisch zu werden. Überhaupt hat sie über weiter Strecken einen wirklich humorvollen Ton, der seine Basis in Walters trockener Art findet.

The Short History of a Prince ist eine Coming-of-Age-Geschichte, die nicht besonders außergewöhnlich ist, aber sehr charmant von einem liebenswürdigen Charakter erzählt. Walter und alle um ihn herum sind so alltäglich wie schrullig, ihre Konflikte nur selten existenziell und so tragen sie glaubhaft und unaufgeregt den Roman. Übrigens ist Walter trotz seines Versagens auf diesem Gebiet ein großer Fan von Ballett und klassischer Musik. Wer diese Begeisterung teilt, wird noch mehr Freude an diesem Roman haben.


tl;dr: The Short History of a Prince erzählt mit viele trockenem Humor die Coming-of-Age-Geschichte des sehr liebenswürdigen Walter, der in den 70ern in der Nähe von Chicago aufwächst, das Ballett und seinen besten Freund Mitch liebt. Und eigentlich endet diese Coming-of-Age-Geschichte nie, denn auch 25 Jahre später ist Walter noch lange nicht der Mensch, der er sein kann.


Jane Hamilton: The Short History of a Prince. Black Swan 1998. 431 Seiten. Eine deutsche Übersetzung ist unter dem Titel Die kurze Geschichte eines Prinzen bei Rowohlt erschienen.

Das Zitat stammt von S. 47.

Dieser Roman war 1999 für den Orange Prize for Fiction nominiert. Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekts „Women’s Prize for Fiction„.

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