Die Hauptfiguren von Morrisons Paradise leben an einem recht besonderen Ort: Sie haben sich zusammengefunden in einem ehemaligen Kloster, das später als Schule genutzt wurde und nun seit einigen Jahren ohne kirchlichen Anschluss von ihnen bewohnt und verwaltet wird. Eigentlich wollen sie nichts, als dort in Ruhe leben und wirtschaften, doch ihre Wahl des Zusammenlebens erzeugt Ablehnung und Hass in Ruby, dem nächstgelegen Ort. Frauen, die ohne Not in einer Gemeinschaft ohne Männer leben – was soll das sein? Einer der wenigen friedlichen Anknüpfungspunkte zwischen dem ehemaligen Kloster und der Dorfgemeinschaft ist der Lebensmittelverkauf der Frauen. Als das Kloster noch von Nonnen bewohnt wurde, haben diese einen ansehnlichen und ertragreichen Garten angelegt, der von den heutigen Bewohnerinnen noch immer gepflegt wird. Vor einigen Jahren waren die Erzeugnisse so gut, dass sich sogar die Einwohner*innen von Ruby gelegentlich dazu herabgelassen haben, sie zu kaufen. Über die Stadtgrenzen hinaus aber haben die Frauen sich einen sensationellen Ruf erworben:
„Most of their customers in 1955 drove trucks between Arkansas and Texas. Ruby citizens seldom stopped to buy anything other than pepers, since they were supreme cooks themselves and made or gew what they wanted. Only in the sixties, when times were fat, did they join the truckers and look upon what they called Convent-bred chickens as superior enough to their own to be worth a journey. Then they would also try a little jalapeño jelly, or acorn relish. Pecan saplings planted in the forties were strong in 1960. The Convent sold the nuts, an when pies from the harvest were made, they went as soon as posted. They made rhubarb pie so delicious it made customers babble, and the barbecue sauce got a haevenly reputation based on the hellfire peppers.“
Aber auch Jahre später ist der Rhubarb Pie weit bekannt. Gigi, eine der späteren Bewohnerinnen des Convents, lernt im Zug einen Mann namens Dice kennen. Das erste, was ihm zu Ruby einfällt, ist der legendäre Kuchen:
„Ruby. Ruby, Oklahoma. Way out in the middle of nowhere.“
„You been there?“
„Not yet. But I plan to check it out. Say they got the best rhubarb pie in the nation.“
„I hate rhubarb.“
„Hate it? Girl, you ain’t lived. You ain’t lived at all.“
Wenig später landet dann auch Gigi in Ruby, und ist ziemlich enttäuscht von dem trostlosen Kaff, das sie vorfindet. Und der sensationelle Kuchen ist auch nicht in Aussicht:
„She had stopped five minutes ago in a so-called drugstore, bought cigarettes and learned that the boys at the barbecue grill were telling the tuth: there was no motel. And if there was any pie it wasn’t served at a restaurant because there wasn’t one of those either.“
Wo man keinen rhubarb pie kaufen kann, muss man ihn wohl selber machen. Und das geht beispielsweise so:
Rhubarb Pie
Für den Teig:
- 270 g Mehl
- 1/2 TL Salz
- 2 TL Zucker
- 125 g Backmargarine + etwas mehr für die Form
- ca. 6 EL kaltes Wasser
Für die Füllung:
- 500 g Rhabarber
- 250 g Zucker
- 5 EL Speisestärke
- 1/4 TL Zimt
- 1 Msp. gemahlene Vanille
- 2 EL Butter *
außerdem:
- 1 Ei *
- Puderzucker zum Ausrollen und Bestäuben des fertigen Kuchens
* dieser Kuchen kann problemlos vegan abgeändert werden. Hinweise dazu am Ende des Rezeptes.
Für den Teig in einer Schüssel erst die trockenen Zutaten Mehl, Salz und Zucker vermengen. Dann nach und nach das Pflanzenfett untermengen, bis die Masse die Textur von nassem Sand hat. Jetzt das Wasser löffelweise zugeben, 6 EL oder etwas mehr. Der Teig muss stabil und gut formbar werden. Im Zweifel ist ein zu feuchter Teig besser als ein zu trockener. Den Teig luftdicht verpacken (ich lege ihn immer zwischen zwei kleine Schüsseln) und in den Kühlschrank legen. Der Teig sollte mindestens eine Stunde ruhen.
Während der Teig rastet, die Füllung vorbereiten. Den Rhabarber waschen, Blätter und Enden entfernen. Die Rhabarber-Stangen schälen und anschließend in Scheiben von etwa 3 – 5 mm schneiden. Den Zucker für die Füllung abwiegen. Den Rhabarber mit 3 EL davon vermischen und zum Abtropfen in ein großes Sieb geben. Mindestens 30 Minuten zum Abtropfen geben. Rhabarber ist sehr wasserhaltig und das Entziehen von etwas Flüssigkeit hilft, den Pie insgesamt trockener werden zu lassen – es ist immer noch auf jeden Fall genug für ein saftiges Ergebnis da. Mein erster Pie-Versuch endete mit Rhabarber-Kaltschale in der Teighülle, deshalb reite ich da jetzt so drauf rum.
Nach der Ruhezeit des Teiges den Ofen auf 220° C (Ober-/Unterhitze) vorheizen. Eine Pie- oder kleine Springform (ca. 18 cm) mit Margarine fetten. Den Teig in zwei Portionen von etwa 2/3 und 1/3 teilen. Den kleineren Teil wieder luftdicht verpackt in den Kühlschrank legen. Die Arbeitsfläche mit Puderzucker bestreuen. Es geht auch Mehl, das verändert allerdings die Konsistenz des Teiges und macht ihn zäher. Den Teig zu einer Kugel formen und anschließend gleichmäßig dick zu einem Kreis ausrollen. Der Kreis muss so groß sein, dass man damit die Form auskleiden kann und noch ein kleiner Rand über den Rahmen steht. Damit werden später Boden und Deckel verbunden. Den Teig vorsichtig in die Form geben. Zu sehr überstehende Ränder können abgeschnitten werden. Die Form samt Teig wieder in den Kühlschrank stellen. In einer großen Schüssel den Zucker mit der Speisestärke vermischen. Einen gut gehäuften EL davon abnehmen und zur Seite stellen. Anschließend Zimt und Vanille untermengen. Den abgetropften Rhabarber in die Schüssel geben und alles gut vermischen.
Den Pie-Boden aus dem Kühlschrank holen. Die eben zur Seite gestellte Zucker-Stärke-Mischung auf dem Boden verteilen. Diese Schicht fängt Flüssigkeit auf und hilft zu verhindern, dass der Boden durchweicht. Den Rhabarber auf dem so vorbereiteten Boden verteilen. Wenn sich beim Mischen viel Flüssigkeit bildet, diese in der Schüssel zurückbehalten und nicht mit in den Pie geben. Darauf achten, das nicht über den Rand der Form hinaus steht. Die Butter in kleine Flöckchen auf dem Rhabarber verteilen. Und dann alles wieder in den Kühlschrank.
Das Ei in einer Tasse verrühren. Die kleinere Teigportion aus dem Kühlschrank nehmen. Die Arbeitsfläche wieder mit Puderzucker vorbereiten, eine Kugel formen und diese zu einem gleichmäßigen Kreis ausrollen. Die Ränder mit Ei bestreichen. Den Unterteil des Pies aus dem Kühlschrank holen, den Deckel auflegen und zu sehr überstehendes abschneiden. Die Ränder von Boden und Deckel sorgfältig zusammendrücken oder einschlagen. Den Deckel mit Ei bepinseln. Mit einem kleinen, scharfen Messer Schlitze in den Deckel stechen, durch die der Dampf entweichen kann, der bei Backen entsteht. Und dann kann der Pie in den Ofen.
Bei 220° C etwa 15 Minuten backen. Dann die Temperatur auf 180° C reduzieren und weitere ca. 40 Minuten backen, bis man es bei den Lüftungsschlitzen blubbern sieht. Dann den Pie aus dem Ofen nehmen. Auskühlen lassen, bevor er aus der Form genommen und angeschnitten wird.
Es ist gar nicht so leicht, einen schönen und stabilen Pie hinzubekommen, schon gar nicht beim ersten Anlauf. Im Zweifel geht Stabilität vor und wenn der Deckel nicht schön wird, streut man einfach Puderzucker drauf. Mein erster Pie war schön, dass Innenleben aber eine Katastrophe, beim zweiten ist der Deckel leider eingesackt. Dafür war er innen gut gelungen: für meinen Geschmack war er fast ein bisschen süß, beim nächsten Mal würde ich vielleicht ein bisschen weniger Zucker nehmen. Aber die Speisestärke hat hervorragend dafür gesorgt, dass die Flüssigkeit gebunden wurde und die Füllung selbst nach dem Anschneiden stabil geblieben ist. Was die Gewürze angeht, kann man natürlich auch variieren, und z. B. Kardamom verwenden. Das Ziel ist ja nicht weniger als der beste Rhabarberkuchen im ganzen Land, da darf man kreativ werden.
Hinweise zur veganen Zubereitung: Beim Einkauf darauf achten, dass die Margarine als vegan deklariert ist. Alternativ gibt es reines Pflanzenfett verschiedener Hersteller in einer „soft“-Variante, die man auch benutzen kann. Die Butter, die auf den Rhabarber kommt, kann man natürlich auch durch Margarine ersetzen. Das Ei erleichtert das Zusammenkleben von Boden und Deckel und sorgt für gleichmäßigere Bräunung beim Backen. Beides kann auch Pflanzenmilch leisten.
Alle Zitate aus: Toni Morrison: Paradise. Vintage International 2014.
Das Zitat, in dem Verkauf und Produktion beschrieben werden, ist auf S. 241/242 zu finden. Die Zugszene kann man auf S. 66/67 nachlesen, Gigis Ankunft in Ruby auf S. 67.
Das Rezept ist in wesentlichen Teilen aus der New York Times. Ich habe einige Abwandlungen vorgenommen.
Dieses und mehr Essen aus Büchern gibt es auch auf schiefgegessen.