Es ist ein merkwürdiger Mann, dem die Schriftsteller Berlioz und Besdomny in Bulgakows Klassiker Meister und Margarita begegnen. Er ist seltsam gekleidet und spricht zwar fließend Russisch, das aber mit deutlichem Akzent. Ein Ausländer muss er sein, beschließen die beiden bald. Er redet allerlei Merkwürdiges und Verschrobenes und prophezeit dem ungläubigen Berlioz, er würde bald von der Tram überfahren werden. Der glaubt natürlich kein Wort, verliert aber wirklich nur wenige Minuten später den Kopf, als eine Straßenbahn über ihn fährt.
Da ist er gerade auf dem Weg zur Sitzung der Schriftstellervereinigung MASSOLIT, deren Vorsitzender er ist. Die mehr oder weniger illustren Damen und Herren treffen sich um zehn Uhr abends im Gribojedowhaus, dessen obere Räume als Clubraum dienen und das im unteren Bereich über ein Restaurant verfügt, das sich nicht nur bei den MASSOLIT-Mitgliedern größter Beliebtheit erfreut. Verstimmt wartet man auf den inzwischen kopflosen Berlioz, über dessen Ableben seine Kollegen noch nicht informiert wurden. Um zwölf schließlich beschließt man, dass er wohl nicht mehr kommt und geht hinunter zum Essen, wo man aufgrund der vorgerückten Stunde keinen Platz mehr auf der Terrasse bekommt. Das sorgt zunächst für weitere Verstimmung, die aber bald vergessen ist, als der Abend sich zu einem rauschenden Fest entwickelt. Der Stimmung tut dann auch die Nachricht von Berlioz Tod keinen Abbruch mehr. Zwar überlegt man kurz, ein Telegramm zu verfassen, aber was sollte das denn Berlioz nun noch nützen? Tot ist eben tot.
„‚Ja, er ist tot, er ist tot… Aber wir leben noch!‘
Ja, eine Weile schlug die Trauer hoch, doch sie hielt sich nur kurz und sank wieder in sich zusammen, schon kehrten die ersten an ihren Tisch zurück, kippten, zunächst verstohlen, dann ganz offen einen Schnaps und aßen nach. Wirklich, wozu sollen die Hühnerbuletten de Volaille umkommen? Wie können wir Michail Alexandrowitsch helfen? Dadurch, daß wir hungrig bleiben? Wir leben doch!“
Was in der deutschen Übersetzung „Buletten“ heißt, ist im Russischen Original котлета де-воляй, kotleta de-voliay. Im nicht-russischsprachigen Raum kennt man das Gericht eher unter seinem Namen „Chicken Kiev“ bzw. „Kiewer Kotelett“. Aber egal unter welchem Namen handelt es sich um ein Hühnerbrustfilet, bevorzugt noch mit Flügelknochen, das mit Kräuterbutter gefüllt wird. Anschließend wird es paniert und in Fett ausgebacken. Ob man es frittieren darf oder nicht, daran scheiden sich die Geister. Als Beilage scheint sich international das Kartoffelpüree bewährt zu haben und ich möchte mich dieser Empfehlung anschließen.

Kiewer Kotelett
für zwei
- zwei Hühnerbrustfilets, bevorzugt mit Flügelknochen
- 2 EL Mehl
- 1 Ei
- 4 EL Paniermehl
- 100 g Butter, Zimmertemperatur
- 1 TL Estragon, gehackt
- 1 TL Petersilie, gehackt
- 1 TL Schnittlauch, gehackt
- 1 EL Zitronensaft
- Salz und Pfeffer
- Öl
Für die Kräuterbutter die Butter mit allen Kräutern und dem Zitronensaft verrühren. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die Butter zu zwei Rollen formen, in Folie wickeln und kalt stellen.
Die Hühnerbrust mit einem scharfen Messer so einschneiden, dass sie sich aufklappen lässt. Unter einer Lage Frischhaltefolie klopfen. Mit der Hautseite nach unten ausbreiten, salzen und pfeffern. Mit Butter füllen, aufrollen und mit Zahnstochern feststecken. Dabei darauf achten, dass die Enden eingeklappt sind, sonst läuft die ganze Butter beim Braten wieder raus.
Das Ei in einer Schüssel verrühren. In jeweils eine andere Schüssel Mehl und Semmelbrösel geben. Die Brüste jeweils in Mehl, Eier und Semmelbröseln wenden. In einer backofengeeigneten Pfanne Öl erhitzen. Den Ofen auf 180°C vorheizen. Die Hühnerbrüste von jeder Seite etwa 5 Minuten anbraten, dann im Ofen in etwa 20 Minuten fertig garen. Vor dem Servieren die Zahnstocher entfernen.
Anders als sein deutscher Name vermuten lässt, kommt dieses Rezept übrigens nicht aus Osteuropa, sondern aus Frankreich. Aber egal woher: der Aufwand ist überschaubar und lohnt sich auf jeden Fall! Gerne natürlich zu einem erfreulicheren Anlass als dem tragischen Tod eines MASSOLIT-Vorsitzenden.
Michail Bulgakow: Meister und Margarita. Zitiert nach der Ausgabe Random House 1994 in der Übersetzung von Thomas Reschke. Seite 90/586.
Das Rezept habe ich im wesentlichen vom Callwey-Verlag übernommen. Es ist dort erschienen im Buch Wie die Helene zur Birne kam.
Mehr Essen aus Büchern gibt es auf schiefgegessen.
Eins meiner Lieblingsbücher. Bin in den frühen 90ern nach Sankt Petersburg gepilgert. Dort liegt sein Nachlass und auch eine Kohlezeichnung von seinem Totenbett. Der gute Michail ist wohl schlicht verhungert. Die Gelage im Literatenclub blieben ihm verwehrt.
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Ja, das stimmt wohl, der Zugang zu „den Großen“ blieb ihm verwehrt. Bulgakows Geschichte ist wirklich eine tragische.
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Ich finde deine Gedanken anregend und das Rezept habe ich sofort gespeichert werde es ausprobieren.
Gruß Michael
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