Navigation in einer zerstörten Welt – „The Great Fire“ von Shirley Hazzard

Der Zweite Weltkrieg ist seit zwei Jahren vorbei, als Alfred Leith als Gast das Haus des Australiers Driscoll im japanischen Kure betritt. Leith hat auf britischer Seite gekämpft, hat Freunde sterben sehen und wurde selbst schwer verwundet. Davon allerdings hat er sich beinahe komplett erholt, als er nun, mit Orden behangen und mit Ehrerbietungen bedacht, seine Reise durch Asien antritt, wo er ein Buch beenden will. In Kure lernt er Helen und Ben kennen, die Kinder seiner Gastgeber. In ihrer Isolation sind die beiden stark aufeinander fixiert. Ben ist an Friedreich-Ataxie erkrankt, seine elfengleiche Schwester ist seine größte Stütze in seinem stetigen Niedergang. Auch das Herz von Leith erobert sie im Sturm, obwohl sie gerade erst 17 ist, 15 Jahre jünger als der ehemalige Soldat. Die Zuneigung besteht allerdings auf beiden Seiten. Helen vermutet nicht weniger als einen kosmischen Plan hinter der Reise ihrer Familie um den halben Planeten, die nun in Kure endet, wo sie Aldred kennenlernen muss.

Ergänzend zu Aldreds Geschichte wird die von Peter Exley erzählt, einem jungen Mann, der mit ihm im Krieg war. Auch er bereist nun Asien, allerdings ist er mit der Aufklärung von Kriegsverbrechen befasst. Die beiden Männer treffen sich in Hongkong, beide in der Überzeugung, dass China bald für die Welt verloren sein wird und die ihre letzte Chance auf eine Reise durch das Land wahrnehmen wollen. Exley ist der etwas gröbere Gegenpart von Aldred, nicht weniger tapfer, aber weniger feinfühlig und musisch, weniger agil.

Um diese Figuren herum zeichnet Hazzard ein Bild der kolonialen wie europäischen Welt kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Bei allem Leid, dass Aldred und Exley erfahren, können sie sich noch glücklich schätzen. Aus der britischen Heimat gibt es mit jeder Post neue Meldungen über die katastrophale Versorgungslage, Essen in Dosen und fehlendes Benzin. Und überhaupt: sie haben überlebt. Hazzard setzt auf Introspektive statt Action. Der Roman ist ausgesprochen zurückhaltend geschrieben, große Ereignisse kommen in federleichten Nebensätzen daher und schnell kann man entscheidende Momente überlesen. Die Handlung des Romans konzentriert sich auf Gespräche, geführt bei Tee und Spaziergängen, auf Tischgesellschaften und auf Briefe, die ihren Empfängern vorausreisen und sie im Hotel bereits erwarten. Auch Leith Kriegserinnerungen spielen eine große Rolle, erscheinen aber durch Hazzards sehr zurückgenommenen Stil bei aller Grausamkeit nicht blutrünstig und brutal.

„Oh, the vast distances, forlorn partings, terrible journeys. The loneliness.“

Hazzard gelingt es, vor allem ihre männlichen Protagonisten als hoffnungsfrohe oder zumindest -volle Menschen zu charakterisieren, die nach Jahren der Dunkelheit und Verletzung versuchen herauszufinden, wer sie sind und wer sie sein können, abseits der großen Front. Doch auch die Frauen dürfen hoffen, zumindest auf ein wenig Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Einigen gelingt das schon sehr gut. Durch ihren sehr eigenen Stil gleitet Hazzard bei aller Gefühligkeit und Liebesschwüren dabei nie ins schwülstig-romantische ab und umschifft geschickt alle Kitsch-Klippen, die auf den Kriegsheimkehrer und seine Angebetete lauern. Der sehr zurückgenommene Stil und die reduzierte Handlung machen den Einstieg ein wenig mühsam. Keine großen Worte und dramatischen Szenen sind da, die einen unmittelbar in ihren Bann ziehen würden. Aber das langsame Hineinwaten in die Handlung lohnt sich und führt am Ende dann doch in ungeahnte Tiefen.


tl;dr: The Great Fire erzählt ohne große Worte aber mit viele Tiefe von Menschen, die versuchen, nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Platz zu finden in einer zerrütteten Welt.


Shirley Hazzard: The Great Fire. Virago 2004. 314 Seiten. Originalausgabe Farrar, Straus & Giroux 2003. Eine deutsche Übersetzung von Barbara Rojahn-Deyk ist 2006 unter dem Titel Das große Feuer bei Carl Hanser erschienen.

Das Zitat stammt von S. 152.

2004 war Hazzard mit diesem Roman auf der Shortlist des Orange Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekts Women’s Prize for Fiction.