Der fiktive Ort Gilead, Iowa ist geografisches Zentrum eines ganzen Erzählzyklus von Marilynne Robinson, zu dem auch Home zählt. In diesem Roman kehrt Glory Boughton in den beschaulichen Ort ihrer Kindheit zurück. Gerade hat sie eine kurz vor dem Altar gescheiterte Beziehung hinter sich und pflegt nun ihre rapide alternden Vater, den ehemaligen Reverend Boughton. Das Leben der beiden plätschert ereignislos dahin, als plötzlich Jack vor der Tür steht, älterer Bruder von Glory und verlorener Sohn des Reverend, der sich trotz anderslautender Versprechungen seit mehr als 20 Jahren nicht hat blicken lassen. Nach vielen harten Jahren gelobt er nun Besserung und versucht wieder Fuß zu fassen in der Kleinstadt, die ihm niemals verzeihen wird, dass er als Jugendlicher geklaut hat und fast nie in der Kirche war. Mit ihm kämpft Glory, die verzweifelt darum bemüht ist, dem Vater in seinen letzten Tagen auf dieser Welt eine große Enttäuschung zu ersparen.

Home spielt zeitgleich mit Robinsons Roman Gilead. Während in letzterem Ames, Reverend Boughtons bester Freund, eine tragende Rolle spielt, ist er in Home nur hin und wieder zu Besuch und gefragter Gesprächspartner. Als moralische Instanz aber ist er eine feste Größe, besonders in der Beurteilung von Jack und seiner ehemaligen wie gegenwärtigen Missetaten. Wie auch Reverend Boughton ist Ames Geistlicher und die theologischen Diskussionen der beiden Männer können schon recht detailliert und weitschweifig werden.
Und damit sind wir auch schon beim Knackpunkt des Romans: es passiert nicht besonders viel. Gilead ist eine gänzlich ereignislose Kleinstadt, in der einem Jugendsünden noch Jahrzehnte später nachhängen. Man muss schon wirklich Lust auf das ausschließlich Zwischenmenschliche haben, um Freude an diesem Roman finden zu können. Home kreist um den äußerst begrenzten Personenkreis zweier Kernfamilien, die beide auf die Bedürfnisse alter und teils bettlägeriger Männer konzentriert sind. Und auch wenn sie das nicht wären – viel ist nicht zu holen in Gilead. Nun kann man das natürlich auch sehr positiv werten und Robinson zugute halten, wie sehr sie sich auf die Charaktere konzentriert und wie einfühlsam sie ihre fragilen Beziehungen zeichnet – denn das tut sie. Stilistisch einwandfrei schildert sie den Eiertanz, den die beiden Geschwister Glory und Jack nach jahrzehntelanger Funkstille aufführen, stets auf das peinlichste bemüht, die unsichtbaren Grenzen des jeweils anderen nicht zu berühren.
„So she prayed, Lord, give me patience. She knew that was not an honest prayer, and she did not linger over it. The right prayer would have been, Lord, my brother treats me like a hostile stranger, my father seems to have put me aside, I feel I have no place here in what I thought would be my refuge, I am miserable and bitter at heart, and old fears are rising up in me so that everything I do makes everything worse.“
Es ist fast schmerzhaft, den beiden dabei zuzusehen, wie sie um jede noch so kleine Offenheit kämpfen, wie sie sehen, dass der andere verletzt ist und es doch nicht schaffen, nachzufragen oder Unterstützung anzubieten. Die findet nur in Gesten statt: ein gejätetes Beet hier, ein gebügeltes Hemd da. Da ist Robinson offenbar ganz in ihrem Element. Als leiser, zurückhaltender Familienroman funktioniert Home ganz hervorragend.
tl;dr: Guter, stilistisch eingängiger und solide strukturierter Familienroman, in dem außer Familie aber nur Theologie passiert.
Marilynne Robinson: Home. Virago 2009. 339 Seiten. Erstausgabe Farrar, Straus and Giroux, 2008. Eine deutsche Übersetzung von Uda Strätling ist unter dem Titel Zuhause bei S. Fischer lieferbar.
Das Zitat stammt von S. 71-72.
2009 gewann Robinson mit diesem Roman den Orange Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekts Women’s Prize for Fiction.