In Heiliges Dunkel berichtet der georgische Autor Lewan Berdsenischwili aus seiner Zeit im Gulag. Wie er bereitwillig eingesteht, war sein Leben dort verhältnismäßig gut. Inhaftiert war er als Gründer einer verbotenen Partei, zusammen mit vielen anderen Intellektuellen. Die Arbeit war monoton aber verhältnismäßig leicht, das Essen war gerade so ausreichend, aber keine Freude.
Um die Sehnsucht nach der Außenwelt zu befriedigen und die Langeweile zu bekämpfen, sprachen die Inhaftierten viel über das Essen, das sie vermissten und auf das sie sich am meisten freuten, sollten sie jemals freigelassen werden. An einen sokratischen Dialog erinnert der Autor sich noch besonders gut. Er bringt den Mithäftling Wadim Jankow, ausgewiesener Experte der internationalen Küche, dazu zuzugeben, dass es auf der ganzen Welt kein besseres Gericht geben könne als Saziwi. Dabei handelt es sich um ein Gericht der georgischen Küche, in dem ein Truthahn in einer Walnuss-Sauce zubereitet wird. Nachdem die beiden im Dialog schon eine Menge weltbester Kandidaten für den Titel ausgeschlossen haben, bleiben nur noch Curry und Saziwi übrig:
Sokrates: „Worin sind mehr Nüsse?“
Anaxagoras: „Im Saziwi.“
Sokrates: „Was sättigt mehr, eine Schale Saziwi oder eine Schale Curry?“
Anaxagoras: „Saziwi, mein Sokrates. Ich gebe zu, Saziwi ist das beste Gericht der Welt, und nun erzähl uns gleich noch, wie es gekocht wird.“
So ist es also beschlossen – nichts kann besser sein als ein Saziwi. Und falls ihr auch in den Genuss kommen wollt – so geht’s:
Saziwi für vier Hungrige:
- 1 ganzes Huhn, küchenfertig
- 250 g Walnusskerne
- 4 Knoblauchzehen
- grobes Salz
- 1 TL Koriander, gemahlen
- 1 TL Ringelblumenbüten, gemahlen
- 1 TL Schabzigerklee, gemahlen
- 3 Zwiebeln
- 1 TL Zimt, gemahlen
- 1/2 TL Gewürznelken, gemahlen
- 2 Eier
- 1 EL Apfelessig
- evtl. Butter oder Öl zum Braten
Das Huhn in einen großen Topf geben und mit Wasser bedecken. Das Wasser zum Kochen bringen, kurz sprudelnd kochen und dann die Temperatur reduzieren, so dass das Wasser nur noch köchelt. Das Huhn etwa eine Stunde köcheln lassen. Anschließend das Huhn aus dem Sud nehmen (diesen nicht wegschütten!) und in eine Braten- oder hohe Auflaufform geben. Etwa 2 – 3 Suppenschöpflöffel Kochsud angießen und das Huhn bei 200° C etwa eine weitere Stunde garen, bis die Haut deutlich gebräunt ist. Dabei immer mal wieder mit der Flüssigkeit übergießen, die sich am Boden der Form sammelt.
Den übrigen Sud im Topf komplett erkalten lassen. Wenn der Sud komplett kalt ist, setzt sich oben Fett ab. Diese Fettschicht entfernen und beiseite stellen. Den Sud immer noch nicht wegschütten.
Die Walnüsse zu einer glatten Paste verarbeiten. Das geht in der Küchenmaschine oder mit einem Fleischwolf. Die Paste sollte ganz glatt sein und das Öl aus den Nüssen austreten. Die Knoblauchzehen schälen, hacken und mit etwas grobem Salz zu einer glatten Paste verarbeiten. In einer Schüssel Walnuss- und Knoblauchpaste mit Schabzigerklee, Koriander und Ringelblumenblüten vermengen. Etwa 2 EL Kochsud zugeben und mit den Pasten zu einer glatten Masse verrühren. Immer mehr Sud zugeben, bis die Masse die Konsistenz sehr dicker Sahne hat.
Die Zwiebeln schälen und fein würfeln. In einer Pfanne das Hühnerfett erhitzen und die Zwiebel darin anbraten. Möglicherweise reicht das Fett nicht aus, denn das Rezept verlangt ursprünglich eine Pute, die wesentlich mehr Fett haben. Dann gerne mit Butter oder Öl aushelfen. Sobald die Zwiebeln anfangen braun zu werden, die Walnuss-Knoblauch-Masse in die Pfanne gießen und etwa 5 Minuten köcheln lassen. Zimt und Nelken unterrühren und weitere 10 Minuten köcheln lassen. In dieser Zeit in einer Schüssel die beiden Eier mit dem Essig verrühren. Die Eimasse ebenfalls in die Pfanne gießen und ohne Rühren abwarten, bis die Eier sich rot-bräunlich verfärben und zu köcheln beginnen – das klingt nach Rührei, der Essig sorgt aber dafür, dass die Eier nicht gerinnen. Wenn die Eier köcheln, alles gründlich verrühren und die Sauce weitere 10 Minuten köcheln lassen. Wenn sie dabei sehr fest wird, kann mit etwas Kochsud verdünnt werden.
Die Sauce vom Herd nehmen und völlig abkühlen lassen. Das Huhn in große Stücke teilen, in eine große Schüssel geben und die erkaltete Sauce darüber geben. Jetzt kann man auch endlich den übrigen Kochsud entsorgen oder anderweitig weiterverarbeiten. Saziwi wird erst gegessen, wenn es komplett erkaltet ist und wird oft sogar einen bis mehrere Tage im Voraus zubereitet.
Saziwi gilt als traditionelles Silvester-Gericht oder wird in anderen Situationen serviert, die einen gewissen Aufwand rechtfertigen. Da das dann oft ein ganze Festmahl beinhaltet, sind die anderen Gerichte zugleich Beilage. Wer kein ganzes Festmahl kochen möchte, kann Kartoffeln dazu essen.
Wie die beiden Inhaftierten im Dialog schon feststellen konnten: Saziwi ist ein sehr, sehr sättigendes Gericht mit jeder Menge Nüssen darin. Das ist sehr lecker, haut einen aber auch schnell um. Nun kann ich mich der sokratischen Logik nicht entziehen, muss aber zugeben, dass ich dann doch lieber beim Curry bleibe. Der zweite Sieger ist ja auch nicht schlecht.
Das Zitat stammt aus: Lewan Berdsenischwili. Heiliges Dunkel. Die letzten Tage des Gulag. Mitteldeutscher Verlag, 2018. S. 152.
Das Rezept ist aus Supra von Tiko Tuskadze. Ich musste es ein kleines bisschen abwandeln, damit es in meine Küche und Möglichkeiten passt. (Tuskadze berichtet u. a. dass ihre Großeltern das Gericht über mehrere Tage in einem Brunnen gekühlt haben. Das übersteigt meine Möglichkeiten in mehrfacher Hinsicht.)