Drei Jahre lang, von 1984 bis 1987, war der Georgier Lewan Berdsenischwili im Gulag inhaftiert, verurteilt wegen antisowjetischer Agitation und Propaganda. Er hatte in Georgien eine republikanische Partei mitbegründet. Der Zeit seiner Inhaftierung widmet er den Roman Heiliges Dunkel – Die letzten Tage des Gulag. Anders als man das aus anderen Gulag-Romanen kennt, schildert er diese Zeit allerdings nicht als schreckliches Erlebnis, sondern konzentriert sich ausschließlich auf die Menschen, die er dort kennen lernte und mit denen er auch lange Jahre nach der gemeinsamen Haft in Kontakt stand.
Seine Haftbedingungen waren relativ erträglich, was mit am späten Zeitpunkt seiner Festnahme lag. Zu den Zeiten von Glasnost und Perestroika waren die Strafgefangenenlager schon lange nicht mehr das, was man sich, mit Iwan Denissowitsch im Hinterkopf, unter einem Gulag vorstellt. Zwar berichtet Berdsenischwili von willkürlichen Schikanen durch die Angestellten und Wärter, im Großen und Ganzen geht es aber ganz zivilisiert zu in der Zone der politischen Gefangenen. Mit Grauen erzählt man sich dort, unter der intellektuellen Elite der Sowjetunion, wie furchtbar es zugehen muss in den anderen Zonen, wo Mörder und Diebe ihre Haftstrafe verbüßen. Unter den politischen Gefangenen hat man es ganz nett. Man trifft viele Gleichgesinnte und kann über Literatur, Musik und Sprache reden, Schach spielen oder sich zur Scharade treffen. Zwischendrin müssen Handschuhe genäht werden, eine Arbeit, die eintönig aber körperlich nicht besonders schwer ist. Traumatisierend ist die Erfahrung für Berdsenischwili trotzdem, daran lässt er nie einen Zweifel. Vor allem die Trennung von seiner Frau und seiner Tochter fällt ihm sehr schwer.
„Hier bildeten nunmehr Spione, Kriegsverbrecher und Heimatverräter die neue Aristokratie.“
Die Gespräche unter den Inhaftierten sind tatsächlich interessant und zumindest ich bin über einige KünstlerInnen vor allem aus der UdSSR gestolpert, die ich nicht kannte, die aber sehr interessant klingen. Insofern hält das Buch ein paar gute Anregungen bereit. Allerdings ist mir der Erzähler mit seiner Bildung und der damit verbundenen Selbstgefälligkeit irgendwann auch ein bisschen auf die Nerven gegangen. Er und seine Freunde sehen sich als die Elite der „Zone“ und sie machen keinen Hehl daraus, dass sie sich schon ziemlich gut finden. Berdsenischwili erzählt beispielsweise von einer Begegnung mit der Schauspielerin Lidiya Fedoseyeva-Shukshina, die er auf einem Flug von Moskau nach Tblisi kennenlernte und die er den kompletten Flug mit der Prosa Schuckschins zugetextet hat. Ich bin nicht sicher, ob Frau Fedoseyeva-Shukshina daran interessiert war. Der Flug dauert etwa 2,5 Stunden und Frau Fedoseyeva-Shukshina tut mir leid. Der Fairness halber sei gesagt, dass viele der Menschen von denen Berdsenischwili schreibt, nach Haftstrafe und Ende der Sowjetunion tatsächlich interessante Wege eingeschlagen haben und offenbar wirklich was auf dem Kasten haben. Das ist aber keine Entschuldigung, wildfremde Frauen vollzutexten.
Dennoch ist Heiliges Dunkel ein interessanter und oft unterhaltsamer Roman, der neue und ungewöhnliche Perspektiven auf das Leben im Gulag eröffnet. Besonders die Mikro-Ökonomie, die sich unter den Gefangenen entwickelt, ist von Einfallsreichtum geprägt und mit viel Humor geschildert. Und nicht zuletzt ist der Autor oft auch ganz rührend in der Schilderung seiner Freunde aus dem Gulag, die ihm in der Zeit der Gefangenschaft ein großer Halt waren und oftmals auch danach wichtiger Teil seines Lebens blieben.
Lewan Berdsenischwili: Heiliges Dunkel. Die letzten Tage des Gulag. Übersetzung beruhend auf der russischen Ausgabe von Christine Hengevoß. Mitteldeutscher Verlag 2018. 263 Seiten. Originalausgabe 2010 unter dem Titel Tsminda tsqvdiadi bei Bakur Sulakauri, Tbilissi.
Das Zitat stammt von S. 223.
Ich danke dem Mitteldeutschen Verlag für das Rezensionsexemplar, das mir ohne Bedingungen überlassen wurde.
Was für eine interessante Rezension! Du entdeckst immer wieder Bücher, auf die ich höchstwahrscheinlich nie gekommen wäre. Das letzte, was ich über sowjetisches Lagerleben gelesen habe, war Schalamows „Durch den Schnee – Erzählungen aus der Kolyma 1“: erschütternd, sprachgewaltig, absolut lesenswert. Über die Lager während der Zeit nach der Perestrojka weiß ich dagegen so gut wie nichts. Nun bin ich sehr neugierig auf „Heiliges Dunkel“.
Danke!
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Liebe Sabine,
es freut mich sehr, wenn du durch meine Rezensionen neue Lektüre findest!
An Gulag-Literatur kannte ich bisher auch nur sehr wenig und das alles spielte noch zu stalinistischen Zeiten. „Erzählungen aus Kolyma 1“ klingt allerdings auch sehr interessant. Darüber, wie es in dieser Gegend heute aussieht, habe ich vor einigen Monaten einen sehr interessanten und auch gut gemachten Film gesehen. Hier ist ein Link zum Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=-uEA_mnu50I
Liebe Grüße,
Marion
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Der Trailer ist toll, danke für den Tipp, liebe Marion! Hoffentlich kriege ich den Film bald zu sehen.
Liebe Grüße aus dem sonnigen Berlin
Sabine
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