Große Visionen und humanitäre Katastrophe – „Half of a Yellow Sun“ von Chimamanda Ngozi Adichie

Es sind unruhige Zeiten, in denen Adichies Roman über die Hälfte der Sonne spielt. Nigeria ist erst seit kurzem, seit 1960 unabhängig, doch es ist ein fragiles Konstrukt. Die Grenzen des neuen Staates basieren allein auf kolonialer Strategie, die Konflikte zwischen den mehrheitlich muslimischen Volksgruppen im Norden und dem christlich geprägten Süden brodeln.

Chimamanda Ngozi Adichie - Half Of A Yellow Sun

Ugwu, ein Junge aus einem kleinen Dorf, wird mitten in den Konflikt gerissen, als er Hausdiener bei Odenigbo wird, einem Dozenten an der neuen Universität von Nsukka, der ersten im Land, die nicht von kolonialen Herrschern gegründet wurde. Odenigbo ist ein glühender Feind des Kolonialismus und stolzer Igbo. Seinem radikalen Charme verfällt der halbe Campus, der regelmäßig zu Diskussionsrunden bei ihm zusammenkommt, aber auch die schöne Olanna, Tochter reicher Eltern, die es in Lagos zu solidem Wohlstand gebracht haben. Die beiden sind natürlich nicht so begeistert, dass die vielversprechende Tochter sich mit einem Sozialisten einlässt und lieber an der neuen Universität unterrichtet als die Firmengeschäfte zu übernehmen. Zum Glück ist da noch Zwillingsschwester Kainene, die ein bisschen mehr Geschäftssinn besitzt, sich aber ausgerechnet in den Briten Richard verliebt, der ein Buch über die nigerianische Volkskunst schreiben will.

Binnen kurzer Zeit eskalieren die Konflikte zwischen den Volksgruppen. Nachdem die Attacken immer heftiger werden und es regelrechte Hetzjagden auf Igbo gibt, entschließt der Süden Nigerias sich zu einem radikalen Schritt und ruft eine eigene Republik aus. Biafra heißt das neue Land, benannt nach einem historischen Namen der Region. Der Name wird in wenigen Jahren international und für alle Zeiten mit Krieg und Hungersnöten verknüpft sein. Der Beginn des neuen Landes aber ist hoffnungsfroh. Ein Verwaltungsapparat wird aufgebaut, eine Armee gegründet und eine Flagge entworfen, geziert von einer aufgehenden, halben Sonne. Ein revolutionärer Geist weht durch die Straßen, die wenigen Unannehmlichkeiten ist man bereit hinzunehmen. Doch bald werden die kleinen Unannehmlichkeiten zu massiven Problemen. Das Essen wird immer knapper, Wohnungen sind rar, marode und teuer und die medizinische Versorgung bleibt weit hinter dem zurück, was notwendig wäre.

Man verrät nicht zu viel, wenn man erzählt, dass die Republik scheitert. Die Abtrünnigen werden von den Nachbarstaaten, allen voran Nigeria, attackiert und international kaltgestellt. Kaum ein Land erkennt den neuen Staat an, Hilfslieferungen bleiben aus und werden teils aktiv boykottiert. Im Land selbst werden die Kämpfe immer verzweifelter und kompromissloser. Diese Innenperspektive ist selten. Der Biafra-Krieg wird in aller Regel von Außen und als humanitäre Katastrophe erzählt. Dass die Republik katastrophal gescheitert ist, daran lässt auch Adichie keinen Zweifel. In ihrem Roman aber leidet das Land nicht passiv, sondern kämpft verbissen, auch gegen die immer mehr bröckelnde Moral einer Bevölkerung, die unter Angst und Hunger leidet.

„Starvation was a Nigerian weapon of war. Starvation broke Biafra and brought Biafra fame and made Biafra last as long as it did.“

Half of a Yellow Sun ist ein überzeugender Roman, der einen seltenen Einblick bietet in ein Land, das nur kurz existierte und in Europa oft als Paradebeispiel für das „arme Afrika“ gilt. Adichie versucht, einen Einblick in die Situation zu geben, die zur Abspaltung der Republik führte und in das Leben danach. Meistens gelingt ihr das sehr gut, manchmal aber wirkt die Informationsvermittlung etwas steif, etwa wenn die Abendgesellschaft bei Odenigbo über aktuelle Entwicklungen diskutiert und peinlich darauf geachtet wird, dass jede Position vertreten ist und zum richtigen Zeitpunkt geäußert wird. Biafra steht auf einem Gerüst aus fortschrittlichen Ideen und altem Aberglauben, bemüht, sowohl die koloniale Herrschaft als auch archaische Strukturen zu durchbrechen.

Ugwu ist dabei die Reflektorfigur, und hat die undankbare Aufgabe, der ungebildete Junge aus dem Dorf zu sein, der die Debatten staunend verfolgt. Man folgt dem Jungen, der bis vor kurzem nur sein Dorf kannte und auf einmal mitten im gesellschaftlichen Umbruch steckt. Ihm zur funktionalen Seite steht Richard, ein Brite, der nach Nigeria gekommen ist, weil ihn die uralte Kunst der Igbo fasziniert. Er ist schnell abgestoßen von den weißen Kolonialisten, die außer ihren Clubs kaum etwas vom Land kennen. Trotz seiner aufrichtigen Begeisterung stößt er aber auch auf Skepsis und Ablehnung. Wenige sind bereit, ihm vorbehaltlos zu vertrauen. Zu schlecht sind die Erfahrungen mit Weißen. Diese beiden Prozesse und Figuren geraten mitunter etwas plakativ. Doch darüber kann man hinwegsehen angesichts der Tatsache, dass man mit Half of a Yellow Sun die seltene Chance hat, bei der Gründung einer Republik dabei zu sein.


Chimamanda Ngozi Adichie: Half of a Yellow Sun. Ins Deutsche übersetzt von Judith Schwaab und unter dem Titel Die Hälfte der Sonne bei Fischer lieferbar.

Das Zitat stammt von S. 237.

2007 gewann Adichie mit diesem Roman den Orange Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekts Women’s Prize for Fiction.