Große Stories und gekränkte Eitelkeit – „Eveless Eden“ von Marianne Wiggins

Es ist 1986, eine enorme CO2-Wolke aus dem Nyos-See hat gerade knapp 1.700 Menschen getötet, als sich Noah und Lilith das erste mal in einer Bar begegnen. Er ist nach Kamerun gekommen um im Auftrag seiner Zeitung über den Vorfall zu berichten, sie tingelt als freie Fotografin von Krisenherd zu Unglücksort. Noah bewundert ihre Arbeit schon lange, war aber immer davon ausgegangen, dass sich hinter ihrem Künstlernamen Divi ein Mann verbirgt. Welche Frau ist denn schon so mutig und reist in Kriegsgebiete und macht dann auch noch so gute Fotos? Er weiß noch nicht, wer sie ist, da nutzt er schon die erste sich bietende Gelegenheit, sie unter ihrem Regencape zu begrapschen. Ja, so ekelhaft ist Noah und so ekelhaft bleibt Noah. Dennoch findet er Lilith wenig später in seinem Hotelzimmer. Zwischen den beiden entspinnt sich eine leidenschaftliche Affäre, die ein jähes Ende findet, als Lilith vor einem Heiratsantrag flüchtet und vor ein Auto läuft.

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Das Auto wird gesteuert von Adam Pentrú, rumänischer Handelsminister. Das erfährt Noah aber erst später, als Lilith schon längst mit Adam durchgebrannt ist und er sich manisch in die Idee verbeißt, dass dieser Pentrú irgendwie Dreck am Stecken haben muss, dass es etwas geben muss, mit dem er ihn festnageln kann, aus dem Verkehr ziehen kann, kurz: Lilith zurückerobern kann. Da das nicht so schnell geht, vergewaltigt er Lilith stattdessen, als er sie im Kontext des Mauerfalls kurz im Berliner Tiergarten trifft.

Noah ist ein wirklich und vollkommen unerträglicher Protagonist. Der Roman wird aus seiner Sicht erzählt, Lilith bleibt begehrenswert aber unverständlich, charakterisiert ausschließlich über ihr attraktives Äußeres und ihren Haudegen-Mut. Darüberhinaus bleibt sie erschreckend platt und blass, es gibt nichts in ihrer Persönlichkeit, was erklären würde, warum Noah die halbe Welt auf den Kopf stellt, um sie zurückzuerobern. Am Ende waren es dann wohl doch die Brüste. Noah steht ihr ihm Haudegentum natürlich in nichts nach, er ist ein verwegener Macher und mutiger Überschreiter von Grenzen. Sprachlich äußert sich das vor allem darin, dass er sich immer ausdrückt als lehne er mit Zigarette im Mundwinkel und Cowboy-Stiefeln an den Füßen am Tresen einer Bahnhofskneipe. Ich störe mich wirklich nicht an Flucherei, aber wie oft dieser Mann „fuck“ sagt macht überhaupt keinen Sinn. „Fuck“ ist ein Interpunktionszeichen für Noah, er benutzt es inflationär und nahezu unbeeinflusst von seinem Gemütszustand. Das überdurchschnittliche Sprachgefühl das er, auf einen Pulitzer-Preis hoffend, für sich geltend macht, äußert sich allenfalls in der korrekten Verwendung von Fremdwörtern. Als es dann gegen Ende des Romans Anlass gibt, „fuck“ zu sagen, als er in Rumänien dann wirklich hinter die finsteren Geschäfte Adams steigt, da hört er interessanterweise auf. Im letzten Drittel hört das Buch auf, um das gekränkte Ego eines New Yorker Journalisten zu kreisen, der die Frau nicht haben kann, die er für sich beansprucht. Plötzlich ist Noah nicht mehr so cool und der Roman fast ein Polit-Thriller. Blöderweise wird dieser Paradigmen-Wechsel weder erklärt noch vom Roman und seinen Figuren getragen.

„When she was working, she became a different person than the one who shared a bed with me – when she was working she could dissapear like some women, passive bodies, can – and do – in sex.“

Marianne Wiggins hat ihrem Protagonisten einen „male gaze“ verpasst, der seinesgleichen sucht und so überzogen scheint, dass es schon fast parodistisch wirkt. Ich habe den halben Roman lang mit steigender Verzweiflung Anzeichen dafür gesucht, dass der Roman genau das sein soll, eine Parodie auf den guten alten Dreitagebart-Journalisten, der sich und der Leserschaft die Welt und ihre Krisen erklärt und das mit voller Deutungshoheit. Und dabei ganz nebenbei auch noch pampig wird wenn das Objekt seiner Begierde, und mehr als ein Objekt wird Lilith kaum, keine Lust mehr hat. Wenn es eine Satire sein soll, ist sie sehr gelungen. Leider finde ich weder im Text noch in der zeitgenössischen Rezeption irgendeinen Hinweis darauf, dass das Buch was anderes sein soll als ein todernster Thriller mit mittelviel Sex. Und dann ist das Buch leider unerträglich.


Marianne Wiggins: Eveless Eden. Flamingo 1996. Erstausgabe Harper Collins 1995. Eine deutsche Übersetzung ist 1997 unter dem Titel Das Paradies schwarzweiß bei Ullstein erschienen. Beide Ausgaben werden nicht mehr aufgelegt.

Das Zitat stammt von S. 79.

1996, im ersten Jahr seines Bestehens, war dieser Roman für den Orange Prize nominiert. Dieser Beitrag gehört zum Leseprojekt Women’s Prize for Fiction.