Leben im totalitären Matriarchat – Laline Paulls „The Bees“

Der Beginn des Romans liest sich wie klassische Science Fiction: Lebewesen, die in einem Raumschiff leben, über Fühler kommunizieren, ihr Wissen in mythischen Tänzen weitergeben und sich mit den Füßen orientieren. Ein Volk, das in einer strengen Hierarchie lebt, in der jede ihren Platz hat, Widerstand zwecklos ist und der Kampf gegen andere Völker erbarmungslos ausgefochten wird.

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Allerdings ist das Raumschiff eine höchst irdische Angelegenheit. Es ist ein Bienenstock, der am Rande einer Wiese steht. In ihm wird Flora 717 geboren. Zu groß und zu hässlich weicht sie so sehr von der Norm ab, dass sie eigentlich sofort getötet werden soll. Doch dank ihrer erstaunlichen Fähigkeiten wird sie erfolgreicher Teil eines Experiments, lässt die angeborene Kaste der Reinigungsbiene hinter sich und gehört schließlich sogar zum engsten Kreis der Königin. Die Königin ist das wichtigste Wesen im Volk, Mutter aller und Mittelpunkt allen Handelns. Doch nicht nur ihre Rolle ist festgelegt. Jede einzelne Biene hat ihre Funktion, ihre Ermächtigungen und ihre Grenzen. In Spur gehalten wird das alles vom kollektiven Bewusstsein, dem „Hive Mind“. Wenn jemand abweicht oder gar Rebellion droht, wird erbarmungslos kurzer Prozess gemacht. Mit Selbstkritik-Sitzungen hält man sich in der totalitären Honig-Republik nicht auf. Wer nicht spurt, fliegt und zwar in mindestens zwei Teilen.

„In the Air, you may think for yourselves. Here, the Hive Mind takes that care from you. Do not reject it.“

So interessant und außergewöhnlich das Setting des Romans ist, so sehr zieht sich manchmal die eigentliche Handlung. Obwohl die Bienen extrem vermenschlicht werden, sind sie zu großen Gefühlen und Entwicklungen dann doch nicht in der Lage. Und der Alltag im Bienenstock ist dann, bis auf einige Ausnahmen natürlich, doch recht eintönig. Pollen sammeln, Larven füttern, Wespen bekämpfen – was man halt so macht. Paull bleibt sehr nahe an den tatsächlichen Vorgängen in einem Bienenstock, was den Roman glaubwürdig macht. Allerdings sind eben auch gerade diese Vorgänge mitunter sehr repetitiv und auch die Dialoge plätschern oft belanglos dahin. Der Mangel  an Spannung ist sicher auch darin zu suchen, dass es einfach keine Möglichkeit zur Entwicklung gibt. Die Bienen können sich nicht auflehnen, die Monarchie abschaffen, Funktionärinnen enthaupten und eine freiheitlich-demokratische Grundordnung ausrufen. Das ist einfach nicht, wie Bienenvölker funktionieren. Erschwerend hinzu kommt, dass ich nun wirklich kein Fan des übermäßigen Anthropomorphismus bin, sonst hätte ich mit Sicherheit mehr Freude an diesem Roman gehabt. Aber weinende Bienen kriegen mich emotional halt nur ganz wenig.

Das alles mal beiseite ist The Bees aber tatsächlich ein gut recherchiertes und realitätsnahes Buch über das Leben der Honigbiene in einer Umwelt, die es ihr nicht gerade leicht macht. Neben den althergebrachten Feinden wie Vögeln, Wespen oder Spinnen müssen die Bienen in diesem Roman auch noch gegen Pestizide und Nahrungsmangel kämpfen. Das alles wird im Laufe der Geschichte zu einem sehr ernsten Problem, das den Bienenstock in große Gefahr bringt. Doch getreu dem Motto „Accept. Obey. Serve.“ geben Flora und ihre Schwestern selbstlos und selbstverständlich alles, um das Volk und vor allem die Königin zu retten. Und welche Möglichkeiten sie dabei haben, ist dann doch tatsächlich interessant.


Laline Paull: The Bees. Gelesen in der Ausgabe 4th Estate, London. 2015. 346 Seiten. Die Originalausgabe ist im gleichen Verlag 2014 erschienen. Eine deutsche Übersetzung von Hannes Riffel ist unter dem Titel Die Bienen bei Tropen und Droemer Knaur lieferbar.

Das Zitat stammt von S. 193.

Mit diesem Roman war Paull 2015 auf der Shortlist des Baileys Women’s Prize for Fiction.

2 Gedanken zu “Leben im totalitären Matriarchat – Laline Paulls „The Bees“

  1. Constanze Matthes 1. Oktober 2019 / 20:40

    Der Roman steht bei mir schon seit längerem im Regal. Danke für die Erinnerung. Ich bin immer wieder dankbar für Lektüre über Bienen. Ein ungemein spannendes Thema. Viele Grüße

    Gefällt 2 Personen

    • Marion 1. Oktober 2019 / 20:44

      Das sind sie! Ich finde das Kommunikationsverhalten in Bienenvölkern ungeheuer interessant.

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