Alte Jungfern auf der Walz – „Spinsters“ von Pagan Kennedy

1968 ist ein ereignisreiches Jahr. Bobby Kennedy und Martin Luther King werden ermordet, in Memphis sorgt der „sanitation strike“ für Aufregung, überall in den USA formiert sich Widerstand gegen den Vietnam-Krieg und Frannies Vater stirbt. Letzteres ist der Nation herzlich egal, zieht Frannie aber den Boden unter den Füßen weg, denn ihr Vater nimmt ihre Identität mit ins Grab. Mit Mitte dreißig definiert Frannie sich ausschließlich als seine Tochter, die ihn nach dem frühen Tod der Mutter und durch eine langsame, grausame Krankheit hindurch gepflegt hat. Nach seinem Tod kann sie nur noch Frannie sein, hat aber keine Ahnung, wie man das macht, was man darf, was man trägt. Hilfe findet sie bei ihrer Schwester Doris, die, ebenfalls unverheiratet, auch noch im Haushalt des Vaters lebt. Gemeinsam folgen sie der Einladung einer Tante, einer weiteren „alten Jungfer“, die ohne Mann in Virginia lebt. Frannie freut sich. Von der Tante kann sie lernen, wie man so lebt als unverheiratete Frau, als „spinster“.

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Doch Doris hat andere Pläne. Sie will mehr sehen von diesem großen Land und hält es nicht lange aus im eintönigen Leben ihrer Tante. Wohl oder übel schließt Frannie sich ihr an und gemeinsam fahren sie im Plymouth Valiant quer durch die USA. Sie verbringen Stunde um Stunde auf dem Highway, kommen in Motels unter, essen in austauschbaren Diners, kaufen neue Kleider, reden, reden und streiten. Doris fängt an zu rauchen. Frannie lässt sich versehentlich eine neue Frisur verpassen. Vor allem für Frannie bedeutet die neue Freiheit aber auch Unsicherheit. Sie fürchtet ständig, dass Doris jemand anderen finden könnte, einen Mann, eine neue Freundin, irgendjemand, mit dem sie weiter zieht und Frannie alleine zurücklässt. Sie kann sich nicht vorstellen, ihr Leben mit irgendjemand anderem als ihrer Schwester zu verbringen. Für sie war immer klar, dass die Reise nur eine Unterbrechung ist und sie am Ende wieder nach New Hampshire fahren werden, wo sie weiter unverheiratet zusammenleben werden. Mit alten Kleidern und gewohnter Frisur. Doch die vielen Kilometer Asphalt, die die beiden Schwestern hinter sich lassen, werden langsam zum unsichtbaren Hindernis.

„We’re searching for something, that’s for sure, because we’re just a couple of small-town girls. We don’t know anything about life.“

Spinsters ist ein wahnsinnig kurzer Roman. Eigentlich ist es eher eine Novelle, mit seinen 150 großzügig bedruckten Seiten. Aber das ist auch schon der größte Makel des Textes. Ich habe den Roman an einem Tag und sehr gerne gelesen, fand das Ende ein bisschen blöd, die Entwicklung von Frannie aber sehr nachvollziehbar und spannend. Es ist schön, ihr dabei zuzusehen, wie sie weit von zu Hause auf einmal Möglichkeiten entdeckt und Mut findet. Und, das rechne ich Kennedy hoch an, in diesem Roman ist nicht die Liebe das heimliche Happy End, so wie das in Texten dieser Art ja oft genug der Fall ist. Frannie und Doris finden am Ende der Straße nicht ihre große Liebe, nach der sie sich immer gesehnt haben, und allein dafür bin ich der Autorin dankbar. Das Zusammenleben mit der Schwester wird als Lebensentwurf zu keinem Zeitpunkt als irgendwie defizitär dargestellt. Den alten Jungfern fehlt es an nichts in ihrem Leben, schon gar nicht an Möglichkeiten.

Spinsters ist sicher keine große literarische Überraschung und punktet auch nicht mit mutigen Stilexperimenten. Das Versprechen, dass der Roadtrip der beiden auch eine Reise durch eine Gesellschaft im Umbruch sei, wird auch nicht eingehalten. Die Ereignisse der Zeit liefern die Kulisse und damit eine gewisse Auf- und Umbruchsstimmung, die im Hintergrund wahrnehmbar ist, mehr aber auch nicht. Das alles ändert aber nichts daran, dass Spinsters ein gelungener, glaubhafter und harmonischer Coming of Age-Roman ist, auch wenn die Protagonistinnen dafür eigentlich schon zu alt sind.


Pagan Kennedy: Spinsters. High Risk Books 1995. 158 Seiten. Eine deutsche Übersetzung ist unter dem Titel Späte Mädchen 1997 bei Rowohlt erschienen. Beide Ausgaben sind nur noch antiquarisch zu bekommen.

Das Zitat stammt von S. 66.

1996 war Kennedy mit diesem Roman auf der Shortlist für den ersten Orange Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekts Women’s Prize for Fiction.

2 Gedanken zu “Alte Jungfern auf der Walz – „Spinsters“ von Pagan Kennedy

  1. thursdaynext 30. April 2019 / 15:27

    Zugegeben, der Titel brachte mich zum Lachen und machte neugierig, so politisch inkorrekt und eben darum witzig, müsste es doch heißen Dauersinglefrauen *G*. Deine Besprechung klingt verlockend, scheint eine kleine Buchperle zu sein. Danke dafür.

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    • Marion 30. April 2019 / 17:09

      Vor einigen Wochen habe ich bei twitter gelesen, dass unverheiratete Frauen über 26 keine „Spinsters“ mehr waren, sondern „Thornbacks“. Das ist ein ziemlich lässiger Name. Leider galt das offenbar nur in sehr begrenzten Gebieten und hat auch einen nicht sehr aufregenden Hintergrund, der mit Fischen zu tun hat.
      Den deutschen Titel des Romans bzw. den dafür verwendenten Begriff „Spätes Mädchen“ finde ich aber auch ganz, ganz furchtbar.
      Davon abgesehen ist es ein wirklich sehr charmantes Buch.

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