1864 gehen Harriet und Joseph Blackstone in Christchurch von Bord eines Passagierschiffes, das sie den ganzen Weg von England in eine verheißungsvolle Zukunft in Neuseeland gebracht hat. Mit dabei ist Josephs Mutter Lilian, die man nicht alleine zurücklassen wollte. Sie selbst allerdings wollte durchaus alleine zurückgelassen werden und hat kein Interesse daran, sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren. In den Bergen der Südinsel soll eine prosperierende Farm entstehen, mit einem Gemüsegarten, Schafherden und Milchkühen. Doch der Start ist holprig, vor allem weil Joseph an entscheidenden Stellen nicht auf den Rat anderer hört. Neue Hoffnung scheint es zu geben, als Joseph beim Graben eines Teichs (in dem er Forellen halten will, obwohl ihm alle sagen, dass Forellen fließendes Wasser brauchen) ein vielversprechendes Glitzern im Wasser entdeckt, das er als Gold erkennt. „Die Farbe“, wegen der die Männer in Horden nach Neuseeland kommen, alle in der Hoffnung, den ganz großen Fund zu machen. Nachdem die ersten Krumen Gold gewonnen sind, kann ihn nichts mehr aufhalten.
Das Buch habe ich gebraucht gekauft und ein offenbar als Lesezeichen benutzter Kassenzettel (Thalia Rostock 2005) lässt darauf schließen, dass vor mir schon mal jemand an den ersten 40 Seiten gescheitert ist und ich habe dafür vollstes Verständnis. Der Einstieg ist mühsamer als die Suche nach Gold. Das Errichten der Farm und die erste Zeit dort sind recht ereignislos und lassen nicht auf weitere Ereignisse im Fortgang der Geschichte hoffen. Zudem wird mit enormer Penetranz auf einen dunklen Schatten in Josephs Vergangenheit hingewiesen, der etwas mit einer Rebecca zu tun hat und dunkel genug ist, um ihn nach Neuseeland zu treiben. Es ist eigentlich recht schnell klar, was passiert sein muss, aber es wird ab da noch 250 Seiten mit steigender Penetranz angedeutet.
Harriet erkennt schon kurz nach der Landung in Neuseeland, dass sie Joseph nicht liebt und wahrscheinlich niemals lieben wird, dennoch ist die gemeinsame Farm alles, was sie hat. Eine Vertraute findet sie in der ebenfalls englischstämmigen Dorothy, die zusammen mit ihrem Mann in der Nähe eine erfolgreiche Landwirtschaft gegründet hat. Sie ist, mit ihren kurz geschnittenen Haaren und der zupackenden Art genau das, was Harriet sein will. Die Träume von der unendlichen Freiheit in den Bergen, dem allein sein, lassen Harriet nicht mehr los, was manchmal ziemlich esoterisch-träumerisch gerät. Zudem gibt es etliche Elemente in der Geschichte, die sich mit der Maori-Mystik befassen, besonders bei der Figur Pare, die mit einem Jungen eine ganz besondere Verbindung hat, mit ihm über weite Strecken kommunizieren kann und mit den Geistern spricht. Diese Erzählstränge kratzen hart am magischen Realismus. Das langsame Tempo vom Anfang bleibt dem Roman auch im weiteren Verlauf erhalten. Zwar passieren dann doch noch ein paar Dinge, das Erzähltempo ist aber die ganze Zeit über recht behäbig und weil jede Figur mit irgendeiner eigenen Mission beschäftigt ist, fehlt der rote Faden, auch wenn natürlich am Ende alle Missionen irgendwie zusammenhängen. Atmosphärisch (und thematisch) hat mich The Colour an Die Gestirne erinnert, wobei letzteres immerhin einen Kriminalfall hat, der alles zusammen- und spannend hält.
„She didn’t mind the hardness of the earth. She dreamed she was miles from here, in the mountains, alone with the sound of rushing water and the silent brilliance of the stars. Not far from where she lay stood a tall horse, motionless, as if keeping watch.“
Bei The Colour gab es auch durchaus interessante und spannende Passagen und auch stilistisch ist das Buch größtenteils gelungen, auch wenn vereinzelte Bilder an Fantasy-Puzzle-Kitsch grenzen. Harriet ist eine selten mutige Frauenfigur, die auf alle Konventionen pfeift, ihre Ängste immer überwinden kann, und ohne Zögern ihre Ziele verfolgt. Dabei bleibt sie allerdings immer glaubhaft und plausibel. Die verträumte Mystik aber und die vielen einzelnen Erzählstränge, die ein Fortkommen enorm behindern, haben es mir sehr schwer gemacht, dem Roman mehr als wenige Minuten am Stück meine Aufmerksamkeit zu schenken.
Rose Tremain: The Colour. Vintage 2004. 366 Seiten. Lieferbar in einer Neuauflage beim gleichen Verlag für ca. € 11,-. Erstausgabe Chatto & Windus 2003. In deutscher Übersetzung von Christel Dormagen ist der Roman unter dem Titel Die Farbe der Träume bei Insel lieferbar.
Das Zitat stammt von S. 60
Mit diesem Roman war Tremain 2004 für den Orange Prize for Fiction nominiert. Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekts Women’s Prize for Fiction.