Frank Witzel: Bluemoon Baby

Frank Witzels Debüt Bluemoon Baby fand 2001, als es bei Edition Nautilus (einer meiner Lieblingsverlage übrigens) erschien, recht wenig Aufmerksamkeit. Das änderte sich natürlich schlagartig, als er 2015 für den deutlich umfangreicheren manisch-depressiven Teenager den Buchpreis bekam. Bluemoon Baby ist deutlich schmaler, dafür aber auch deutlich versponnener.

Der Roman beginnt recht harmlos mit dem Gymnasiallehrer Hugo Rhäs, der in Mittelhessen sehr bescheiden in der ehemaligen Hausmeisterwohnung einer geschlossenen Fabrik lebt. Dort liest er, um dem trostlosen Arbeitsalltag zu entkommen, Beat-Autoren und arbeitet an einer eigenen Roman- bzw. Wirklichkeitstheorie. Was weder er noch die Leser zu Beginn ahnen können ist, dass Hugo Rhäs auf sehr komplizierte Weise verbunden ist mit dem Fall einer fanatisch religiösen Sekte in den USA, die mehrere Kinder in ihrer Gewalt haben soll, und die gerade mit Hilfe des gänzlich knochenlosen Jungen Douglas Douglas Jr. zum Aufgeben gezwungen werden soll. Und wer steckt dahinter? Ein Geheimdienst natürlich. Derzeit ist Rhäs größte Sorge aber noch die Frage, ob seine Kollegin Frau Helfrich wohl mal mit ihm ausgehen würde.

„Nichts kann man beim Geschriebenen voraussetzen, weder daß es den erreicht, dem man es zukommen lassen will, noch, daß es verstanden, noch, daß es nicht verstanden wird und so weiter.“

In diesem ganzen Chaos wundert es dann auch nicht, dass Derrida einen Auftritt bekommt und die Grenzen und Möglichkeiten von Wahrheit und Legendenbildung sowieso nochmal hinterfragt werden müssen. Die Storys, die von diesem komplexen Konstrukt miteinander verwoben werden, sind vergleichsweise banal. Eine Liebesgeschichte, eine amüsante und nicht ganz unverfängliche Doppelgängerin, ein beständig scheiternder Alkoholiker. Der Stoff aus dem diese Geschichten sind, ist aus der Populärkultur hinreichend bekannt, unter anderem lässt Witzel einige der Geschichten in der sowieso als zwielichtig verrufenen Schlagerbranche spielen. Entsprechend plakativ und schablonenhaft, oft aber auch mit ironischem Unterton, lässt Witzel einige seiner Figuren dann auch auftreten.

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Wie auch in seinem Roman Revolution und Heimarbeit muss man am Anfang einfach akzeptieren, dass nichts so richtig Sinn zu ergeben scheint und man die Zusammenhänge erst später, zum Teil deutlich später, erkennen kann und wird. So simpel die einzelnen Handlungsstränge sein mögen, muss man doch sehr aufmerksam lesen, sonst läuft man Gefahr, ziemlich schnell jede Orientierung zu verlieren. Im Grunde ist die eigentliche Handlung an vielen Stellen auch egal, sie dient nur dazu, den theoretischen Unterbau zu transportieren und zusammenzuhalten.

Bluemoon Baby ist ein wahnsinniger Roman, er ist aber noch nicht so wahnsinnig wie seine Nachfolger. Und deshalb macht er auch ein kleines bisschen weniger Spaß. Es ist auch schon ein guter Roman, es bleibt aber der Eindruck, dass Witzel in seinem Erstling noch nicht alles, was er vorhatte, umsetzen konnte oder wollte. Man sieht aber durchaus Ansätze, und einige der Figuren und Szenen erinnern ebenfalls an seine späteren Romane. Was Wirklichkeit ist und was inszeniert, was möglicherweise nur der Fantasie einer der Figuren entspringt, von denen nicht wenige in psychologischer Behandlung sind, ist manchmal nicht oder zumindest nur sehr schwer zu sagen. Man muss das vielleicht als Prämisse für diesen Roman akzeptieren – so lange wir nicht wissen, was überhaupt Wirklichkeit ist, können wir auch nicht wissen, was wahr und was Wahn ist und müssen erstmal beides als gleichberechtigt betrachten. Da muss man natürlich Bock drauf haben, dann aber kann man durchaus Spaß mit diesem Roman haben.

Übrigens habe ich dieses Buch zusammen mit Janine von „Das Debüt“ gelesen und mit ihr auch das [Zweierlei] beantwortet.


Frank Witzel: Bluemoon Baby. btb 2017. 350 Seiten, € 10.-. Erstausgabe Nautilus 2001.

Das Zitat stammt von S. 89