1934 dampft der Landwirtschaftliche Schulungszug im Auftrag der australischen Regierung durchs Outback. An Bord sind Spezialisten für Getreideanbau, Nutztierzucht, Hauswirtschaft und Säuglingspflege. In wirtschaftlich schweren Zeiten wird die optimale Nutzung des kargen Lands zur patriotischen Pflicht. Mit von der Partie sind auch Robert und Jean. Sie bringt den Farmersfrauen bei, wie sie selbst Kleidung nähen und flicken können, er schwärmt von explodierenden Ernteerträgen dank des neuartigen Phosphatdüngers. Die beiden verlieben sich Hals über Kopf und wollen ihre wissenschaftlichen Kenntnisse auf einer eigenen kleinen Farm auch in der Praxis unter Beweis stellen.
Die beiden starten verliebt und hoffnungsvoll im kargen Outback. Robert baut Weizen an und untersucht akribisch, welche Art unter welchen Bedingungen zu optimalem Wachstum findet. Jean backt Brot aus seinen Ergebnissen und hält nicht weniger akribisch fest, wie gut das Mehl sich verarbeiten lässt. Doch die Natur hält sich nicht an den Versuchsaufbau. Eine Mäuseplage macht den Farmern der Gegend das Leben schwer, ein Sandsturm fegt wertvollen Boden davon, eine anhaltende Dürreperiode zwingt viele zum Aufgeben. Doch nicht Robert und Jean, die überzeugt sind, Erfolg haben zu können. Doch unter den gegebenen Umständen ein gutes Team zu bleiben, ist nicht leichter als der Weizenanbau.
„Australier sind ein Volk britischer Abstammung und dazu geschaffen, einer Krise mit Mut, Kraft und Selbstbewusstsein zu begegnen.“
Carrie Tiffany beschreibt in ihrem Roman eine Gegend Australiens, die zum Zeitpunkt der Handlung sehr isoliert war und gänzlich traditionell. Die Aufgaben der Frauen sind klar auf Hausarbeit und Kindererziehung beschränkt, und als Jean einen Ausweis der Leihbücherei möchte, braucht sie die Unterschrift ihres Mannes. Telefon und aktuelle Presse haben es auch noch nicht bis ins Innere des Kontinents geschafft, der drohende Kriegsausbruch ist erstmal ein sekundäres Problem. Doch an manchen Stellen blitzt der Geist der Herrenrasse hervor – einige Menschen vertreten die Ansicht, dass nicht jede Rasse sich fortpflanzen sollte, und kränkliche Vertreter schon gar nicht, seien es nun Menschen oder Tiere. Nur wer nützlich ist, soll bestehen. Jean ist entsetzt von diesen Gedanken, sie liebt ihre überkommene Kuh, die sie niemals gegen eine leistungsstarke Züchtung tauschen würde.
Das aber ist auch fast die einzige Thematik, die neben der Landwirtschaft eine Rolle spielt (und das auch recht unbeholfen), was den Roman an einigen Stellen doch recht trocken werden lässt. Weizen, backen, Wasserversorgung – das Leben im Outback ist trostlos und monoton und nicht immer schafft Carrie Tiffany es, dagegen anzuschreiben. Zwischendrin gibt es Sexszenen von einer Explizität, die fast schon störend ist im rotsandigen Einerlei. Die Ehe von Robert und Jean ist allerdings, auch aufgrund ihrer schwierigen Lage, ständig unter Spannung und zeigt schnell erste Risse. So richtig greifbar aber wird das nicht. Auch die beiden Hauptpersonen bleiben recht blass und austauschbar. Zwar wird von schwierigen Kindheiten erzählt, wie diese Erlebnisse sich nun aber konkret auf ihr Verhalten und ihre Erwartungen auswirken sollen, bleibt unklar.
Fortschrittlich leben für jedermann ist ein unterhaltsamer Roman, der sich schnell und flüssig liest. Die Geschichte ist aber absolut konventionell und brav und über weite Strecken auch vorhersehbar. Es ist ein nettes Buch für einen Sonntagnachmittag (und tatsächlich auch in dieser Zeitspanne lesbar), warum es aber mal so sehr preisverdächtig war, bleibt mir schleierhaft.
Carrie Tiffany: Fortschrittlich leben für jedermann. Übersetzt von Barbara Ostrop. dtv 2008. 254 Seiten, zur Zeit nicht lieferbar. Originalausgabe: Everyman’s Rules for Scientific Living. Pan Macmillan Australia 2005.
Das Zitat stammt von S. 209/210.
Mit diesem Roman war Carrie Tiffany 2006 auf der Shortlist des Orange Broadband Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekts Women’s Prize for Fiction.
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