T. C. Boyle: Die Terranauten

Die Biosphere 2 war ein gigantisches Experiment. Auf 1,5 Hektar sollte mitten in der Wüste von Arizona unter einer riesigen Kuppel ein Ökosystem entstehen, das für sich alleine funktionieren sollte. Das Projekt, das unter anderem von der NASA gefördert wurde, sollte ein erster Versuch sein, wie ein mögliches zukünftiges Leben abseits der Erde aussehen könnte. Der erste, 1991 gestartete Versuch, scheiterte kläglich. Die Sauerstoffkonzentration erwies sich als schwer kontrollierbar und eine der Terranautinnen verletzte sich so schwer, dass sie außerhalb behandelt werden musste. Diese Fehler sollen sich nicht wiederholen, als 1994 die zweite Gruppe die Luftschleuse durchschreitet.

Über diesen zweiten Einschluss hat T. C. Boyle nun einen Roman geschrieben. Vier Männer und vier Frauen sollen zwei Jahre hermetisch abgeriegelt in dieser kleinen Welt verbringen und von dem leben, was die Biosphäre ihnen bietet. Wenig Fisch, fast kein Fleisch, eine Menge Porridge. 1.500 Kalorien am Tag und viel harte Arbeit. Unter diesen ungewöhnlichen Bedingungen scheinen Konflikte unausweichlich zu sein. Die Handlung orientiert sich allerdings nur sehr grob am tatsächlichen Verlauf des Experiments.

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Erzählt wird die Geschichte von drei Personen. Dawn und Ramsay sind zwei der Terranauten, Linda hat es nicht geschafft. Sie war zwar im Vorbereitungsteam, musste am Ende aber draußen bleiben und betreut das Projekt nun von außen. Zumindest die Stimmen von Ramsay und Dawn sind fast gleich. Ramsay ist fanatischer und entschlossener als Dawn, das bricht manchmal durch, im Großen und Ganzen bedienen sie sich aber des gleichen Vokabulars und bringen keinen Perspektivwechsel in die Erzählung. Und was es zu erzählen gibt, ist nicht besonders aufregend. Ackerbau, Viehzucht, karge Mahlzeiten. Das Leben der Terranauten ist nicht eben erbaulich. Die Spannungsfelder zwischen den Pionieren liegen aber meist brach, denn einige der Terranauten gehen völlig unter. Stevie van Donk, die Meeresbiologin, läuft gelegentlich mal im Bikini durchs Bild und sagt fast nichts. Tom, zuständig für die Technik, taucht fast gar nicht auf. Nicht auszuschließen, dass er im ersten Drittel in einem Nebensatz stirbt und ich es überlesen habe. Linda, außerhalb der Kuppel, betrinkt sich wenigstens noch ab und zu. Ansonsten aber führt sie ein ödes Leben in der Wüste und sehnt sich nach Liebe und Anerkennung von den Junggesellen des Städtchens. Manchmal haben Leute Sex.

„Die Unwiderstehliche Phantasie von Sex unter Glas – das war es, was das Publikum wollte.“

Auch eine ernsthafte Charakterentwicklung findet nicht statt. Ramsay ist ein Aufreißer, Linda die unglückliche Übergewichtige und Dawn die New Age-Tante. Sie wird zu einer Mega New Age-Tante, aber vielleicht war das von Anfang an angelegt. Bei einem zwei Jahre dauernden Experiment unter derart erschwerten Bedingungen hätte da mehr passieren können.

Erschwerend hinzu kommt, dass die Übersetzung an etlichen Stellen zumindest holprig ist und man noch sehr gut erkennt, was der englische Satz war. Buchstäblich. Like, literally. Und manchmal entsteht auch schlicht das falsche Bild. An einem Punkt der Geschichte treffen Linda und Dawns Exfreund Johnny in einer Bar aufeinander. Das Gespräch ist recht unangenehm und kurz und Johnny verabschiedet sich recht schnell wieder:

“und dann legt Johnny einen Finger an die Augenbraue, winkt zum Abschied und ist weg” (323/520)

Winkt er mit der einen Hand, während die Finger der anderen Hand an der Augenbraue verbleiben? Das ist eine relativ bescheuerte Geste und möglicherweise nirgends auf der Welt ein Abschiedsgruß. Ich ahne, was der Autor meint und tatsächlich ist im Original der Abgang viel lässiger:

“Johnny cocks a finger over one eyebrow in a farewell salute” (316)

Johnny ist, trotz abwegiger Abschiede, wahnsinnig sexy und verführerisch, was zu einigen Szenen führt, die sich lesen, als sei Sylvia Day als Co-Autorin eingesprungen.

Dirk van Gunsteren übersetzt normalerweise nicht Sylvia Day sondern auch alles andere von Boyle und weitere durchaus literarische Autoren, weswegen mich der zuweilen unbeholfene Stil bei diesem Roman schon überrascht hat.

Die Terranauten war am Ende nicht spannender als “Schwarzwaldhaus 1902” und da gab es wenigstens noch Landschaft zu gucken. In vielen Rezensionen wurde der Roman als brillante Gesellschaftssatire gefeiert, aber das sehe ich einfach nicht – und dabei hab ich mir Mühe gegeben. Ich fand das Setting sehr spannend und hätte den Roman sehr gerne gemocht. Es ist mir nicht gelungen. Vor allem angesichts des recht stattlichen Umfangs dümpelt die Handlung einfach zu sehr vor sich hin und es gelingt Boyle nicht, mir begreiflich zu machen, was er mir eigentlich erzählen will.


T.C. Boyle: Die Terranauten. Übersetzt von Dirk van Gunsteren. Hanser 2017. 603 Seiten, € 26,-. Gelesen als ebook, nach der Zählung meines Readers mit 520 Seiten. Originalausgabe: The Terranauts. Ecco 2016.

Das o.a. angegebene Zitat stammt von S. 115/520.

Die englischsprachigen Zitate stammen aus der Ausgabe Bloomsbury UK 2016.

9 Gedanken zu “T. C. Boyle: Die Terranauten”

  1. Hallo 🙂

    Ich wollte den Roman ja eigentlich wirklich gerne lesen, da ich die Idee toll finde, aber nach deiner Rezension bin ich etwas skeptisch. Zwar werde ich ihn wahrscheinlich wirklich lesen, aber er ist nicht mehr ganz so weit oben auf der Liste. Und wenn, dann denke ich auf jeden Fall das Original, nicht die Übersetzung. 🙂

    Ganz tolle Rezension!

    Liebe Grüße, Katja

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    1. Der Roman hat auf jeden Fall eine Chance verdient 🙂
      Ich glaube auch, er gewinnt im Original. Allerdings habe ich schon von einigen Boyle-Fans (wie auch weiter unten) gehört, dass sie von den Terranauten echt enttäuscht waren.
      Wenn du es liest, lass mich wissen, wie du es fandest!

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  2. Danke, habe mit diesem Roman meine liebste Bibliothekarin enttäuscht, die ihn mir schon zurechtgelegt hatte, weil sie wusste ich mag TCB, aber nach knapp der Hälfte abgebrochen. Wunderte mich auch wg. Dirk van Gusteren. Die Langeweile und alles von dir angesprochene war nicht auszuhalten. Jetzt ist klar, wirklich nichts verpasst *stirnschweissabwisch*
    Thanks.

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  3. Deine Rezension beweist einmal mehr, dass man auf die meist einstimmigen Lobhudeleien des Feuilletons doch immer noch eine Prise Salz geben sollte. Schade, dass insbesondere die Übersetzung die Lesefreude gemindert hat. Da sollte man bei einem Autor vom Kaliber eines T.C. Boyle doch mehr erwarten können.

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  4. Echt? Ich finde, dass jede Menge zeitgemäße und relevante Fragen gestellt werden.
    Wie sieht ein Leben unter extremen Bedingungen aus? Isolation, Hunger, keine äußeren Reize, kein Internet und immer dieselben Leute um einen herum.
    Wie passen wir uns an veränderte Bedingungen an? Wie kommen wir mit einem plötzlich ganz anderem Lebensumfeld klar, welche Taktiken und Strategien entwickeln wir dafür, wie verändern sich unsere Einstellungen und Verhaltensweisen?
    Wie funktioniert Freundschaft? Woraus besteht sie, braucht sie persönlichen Kontakt, übereinstimmende Lebensstile, was kann sie aushalten?
    Und schließlich: Wozu brauchen wir Freiheit?

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    1. Hallo Kevin,
      jetzt ist es schon recht lange her, dass ich das Buch gelesen habe, ich versuche aber mal, noch was dazu zu sagen…
      Ich fand, dass die Fragen, die du stellst, durch das Experiment an sich auch durchaus gestellt werden. Nur die Umsetzung im Roman fand ich nicht sehr gelungen. Die Entwicklung der Charaktere hat mich schlicht nicht überzeugt, ebenso wenig wie sich die Beziehungen untereinander entwickelt bzw. nicht entwickelt haben. Im Stoff an sich wäre das angelegt gewesen. Mittlerweile habe ich deinen Blog-Artikel dazu gelesen und weiß, dass du das deutlich anderes siehst 🙂
      Dadurch, dass das Experiment in den frühen 90ern durchgeführt wurde, war die Gewöhnung an das Internet, das es da ja gerade erst gab und noch nicht sehr weit verbreitet war, sich geringer. Auch die Erwartungen an sofortige Information und Kommunikation mit Freunden und Familie waren damit viel niedriger. Das würde man heute sicher auch anders und deutlich belastender empfinden.

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