Steven Pinker: The Language Instinct

Jeder Mensch wird mit einem Sprachinstinkt geboren. Das ist die grundlegende These, die Pinker in diesem Buch ausarbeitet. Wie genau der Spracherwerb dann ausfällt, ist abhängig vom (sprachlichen) Umfeld und den individuellen Voraussetzungen, grundsätzlich ist aber alles möglich. Damit ist er sehr nahe an Chomskys Universalgrammatik, auf die er auch mehrfach Bezug nimmt.

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Für den Spracherwerb bei Kindern gibt es eine „kritische Phase“, in der sich diese Fähigkeit rasant entwickelt, ohne dass eine explizite Unterweisung nötig wäre. Wird diese Phase aber versäumt, ist es enorm schwierig bis unmöglich, noch eine Sprache zu erlernen, was mehrfach bei „Bärenkindern“ zu beobachten war, die angeblich ohne jeden menschlichen Kontakt in der Wildnis aufgewachsen sind. Auch wird es mit zunehmendem Alter immer schwerer, eine weitere Sprache zu erlernen. Pinker begründet dies damit, dass die komplexe und energieaufwändige Fähigkeit des Spracherwerbs an einem bestimmten Lebenspunkt (ca. frühe Pubertät) als überflüssig eingestuft und eingestellt wird. Deshalb ist es für Menschen, die nach diesem Zeitpunkt eine weitere Sprache erlernen, fast unmöglich, diese akzent- und fehlerfrei zu sprechen.

„Speech is a river of breath, bent into hisses and hums by the soft flesh of the mouth and throat.“

Auch ist es anderen Lebewesen nicht möglich, eine Sprache zu erlernen, die mit der menschlichen vergleichbar wäre. Zwar haben viele Tiere Kommuniktionsformen von hoher Komplexität, aber offenbar eine gänzlich andere Herangehensweise beim Erlernen dieser Kommunikation. Schimpansen beispielsweise konnten in Experimenten mühelos einzelne Gebärden der American Sign Language ASL erlernen und sie auch in einfachen Kombinationen verwenden, vor allem wenn diese zuvor bereits belohnt wurden. Eine spontane Satzbildung allerdings, die ein zugrunde liegendes Sprachverständnis vermuten lässt, konnte nicht beobachtet werden.

Aus diesen und anderen Annahmen folgert Pinker (und diverse andere Linguisten), dass es eine angeborene Fähigkeit zum Spracherwerb gibt und dass dieser unter den allermeisten Umständen auch funktioniert.

Pinkers Argumentation ist schlüssig, dennoch gibt es natürlich Forscher, die anderer Ansicht sind und seine Annahmen und Daten kritisieren. Auch muss man beachten, dass das Buch mittlerweile gute 20 Jahre auf dem Buckel hat. Vieles von dem, was Pinker in The Language Instinct beschreit, ist heute so tatsächlich nicht mehr haltbar, besonders in den Kognitionswissenschaften hat sich einiges getan. Ein wenig Abhilfe schafft ein 2007 hinzugefügter Anhang, in dem der Autor selbst einige Fakten aktualisiert – auch das ist nun natürlich schon zehn Jahre her. Auch an seinem Sprachgebrauch und dem recht sorglosen Umgang mit dem Begriff ’normal‘ merkt man, dass das Buch schon ein paar Tage älter ist. Aber ohnehin hält Pinker nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg, dass ihm ‚political correctness‘ in der Sprache ziemlich auf die Nerven geht und er sie lächerlich findet. Damit dürfte er allerdings noch immer breite Zustimmung finden.

Alle verlorenen Sympathien holt Pinker bei mir allerdings wieder rein in seinem Kapitel über Sprachwandel, den er nämlich aufrichtig und ohne Einschränkung begrüßt. Sowas freut mich ja immer. Die richtige Sprache ist die der Sprechenden, so Pinkers Überzeugung. Wohlmeinende Ratgeber zu richtiger Sprache und gutem Stil helfen gar nichts, wenn nun mal die Mehrheit der Sprecher der Meinung ist, dass ein Verb regelmäßig und nicht mehr unregelmäßig sein sollte. Wer sollte denn in einer Sprache kompetent sein, wenn nicht ihre Sprecher?

Der Stil ist durchgehend recht locker und gut zu lesen und alles ist durch Beispiele schlüssig untermauert, allerdings macht Pinker keine halben Sachen. Ohne ein Grundverständnis von Linguistik und Syntaxbäumen kann man seinen Ausführungen kaum folgen, deshalb liefert es das gleich mit. Ein Glossar am Ende klärt den Rest. Das Buch richtet sich an ein breites Pubikum und ist eingängig, aber auch nicht so nett und einfach zu lesen wie Guy Deutscher oder David Crystal.

Letzen Endes aber ist das Buch bei aller Lesbarkeit aber doch etwas überholt. Die Grundlagen bleiben unverändert, allerdings kann man die auch bei anderen Autoren nachlesen. Ebenso verhält es sich mit den anderen Fakten – nichts davon ist mehr neu und bahnbrechend, einiges sogar schon überholt. Natürlich bleibt keine lingustische Theorie lange ohne Widerspruch und beinahe jede Datenquelle lässt unterschiedliche Schlüsse zu, ob das Buch nun drei, fünf oder zwanzig Jahre alt ist. Aber gerade im Bereich der Gehirnforschung ist die Wissenschaft auch dank neuer Technik ein paar große Schritte weiter. Dennoch bleibt The Language Instinct ein Klassiker auf seinem Gebiet. Wer sich noch nicht groß mit der Materie auseinandergesetzt hat, wird in diesem Buch viel neues und interessantes finden. Wer ein ernsthaftes Interesse an der Thematik hat, ist aber mit einem aktuelleren Titel vermutlich besser beraten.


Steven Pinker: The Language Instinct. 514 Seiten, ca. € 12,-. Penguin Press 2015. Erstausgabe William Morrow and Company 1994.

Das Zitat stammt von S. 161.