In Harmonie mit allen – „Connect“ von Thea Mengeler

Auf den ersten Blick läuft Avas Leben richtig gut. Als Designerin in einer erfolgreichen Agentur ist sie kurz davor, richtig Karriere zu machen, am Wochenende ist sie zu hippen Partys eingeladen und besucht Vernissagen mit ihren ebenfalls hippen Freundinnen. Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass sie das alles gar nicht mehr kann und am Wochenende kaum die Energie aufbringt, ihr Sofa zu verlassen. Das ändert sich, als sie bei einer Ausstellung zufällig ihre alte Bekannte Lina trifft. Lina ist viel gelassener als die Freundinnen aus der Agentur und nimmt sie mit zu einem Treffen von connect, einer Gruppe, in der die Barrieren zwischen den Menschen abgebaut werden sollen und die Menschen befähigen will, so zu leben, wie sie es wirklich wollen. Ava ist zunächst skeptisch. Bei den „Körperübungen“ fühlt sie sich befangen und die totale Offenheit zwischen den Mitgliedern ist ihr fremd. Doch um Zeit mit Lina zu verbringen, geht sie jede Woche mit zu den Treffen in einer ehemaligen Turnhalle und hört immer mehr Erfolgsgeschichten von Menschen, die es schaffen, mit Hilfe von connect endlich ein freies, zufriedenes Leben zu führen, losgelöst von den einengenden Konventionen der Gesellschaft und dem ständigen Erfolgsdruck. Schließlich nimmt sie sogar teil an einem Wochenendseminar auf dem „Airfield“, einem ehemaligen Flughafengelände, das die Gruppe als Zentrale nutzt. Dort trifft sie auch das erste mal auf Gründer und Guru Dev. Dev will natürlich nicht Guru genannt werden, denn bei connect sind alle gleich.

Auch ohne Schutzumschlag noch schön. An der Buchgestaltung hat die Autorin mitgewirkt.

Ihren Freundinnen und ihrer Familie kommt Ava zunehmend seltsam vor, erst recht, nachdem sie vom Seminar zurückkommt und völlig neben sich steht. Sie sprechen Ava auf die sektenähnliche Struktur von connect an, aber sie winkt ab. Auf keinen Fall ist connect eine Sekte. connect ist eine Gruppe von Leuten, die durchschaut haben, wie die Welt richtig läuft und wie man besser leben kann.

„Aber fühl dich bitte zu nichts gedrängt, es ist ganz allein deine Entscheidung. Ich biete dir nur eine weitere Möglichkeit.“

Aber es kommt, wie es beinahe kommen muss: Umso größer der Widerstand in Avas Umfeld wird, umso mehr zieht sie sich zurück und flüchtet sich in die vermeintlich sicheren Arme von connect. Bald ist sie nicht mehr nur einen Tag pro Woche bei den Treffen, sondern beinahe täglich. Sie vernachlässigt Arbeit und alte Freundinnen, fühlt sich aber freier, als je zuvor. Und vor allen Dingen klüger, denn während alle anderen sich im sinnlosen Hamsterrad des Alltags abstrampeln, hat sie das längst durchschaut und ist auf dem besten Weg in ein freies, selbstbestimmtes Leben. Und das will sie am liebsten losgelöst von gesellschaftlichen Zwängen auf dem Airfield leben.

Thea Mengelers Debüt erzählt eine Sekten-Einstiegs-Geschichte wie aus dem Bilderbuch. Niedrigschwellige Einstiegs-Angebote, eine geradezu überschwängliche Willkommenskultur und Manipulationsversuche, die als Hilfsangebote daherkommen. Und schließlich der wohlbegründete und gutgemeinte Ratschlag, besser nicht mehr ganz so viel Kontakt zu „toxischen“ Menschen im Freundes- und Familienkreis zu pflegen. Natürlich kann man auf dem Airfield auch kein Handy haben, schließlich lenkt die ganze digitale Welt nur ab. Ava nickt, versteht und folgt. Erzählt ist der Roman aus ihrer Perspektive, man bekommt also die ungefilterte Indoktrination präsentiert und erlebt, wie beleidigt Ava von den kritischen Nachfragen aus ihrem Umfeld ist. Das ist eine ganz interessante Perspektive, weil man sie selten so unreflektiert liest. Ähnliche Berichte von Aussteiger*innen haben ja in der Regel eine sehr kritische Ebene, die bei Ava gänzlich fehlt. So lässt der Roman den Raum für die Möglichkeit, dass connect, trotz der vehementen Kritik von außen, vielleicht gar nicht schlecht ist.

Durch diese Perspektive und dadurch, dass der Roman im Präsens erzählt wird, ist die Erzählweise sehr nah und unmittelbar. Der Stil ist leichtgängig und sehr lesbar, aber auch eher schlicht. Kompositorische Raffinessen oder überraschende Wendungen findet man in connect nicht. Avas Einstieg in die Sektenwelt verläuft schnell, aber völlig gradlinig. Auch die Vorwürfe, die gegen Gründer Dev erhoben werden, sind beinahe typisch, ebenso wie die Überzeugung seiner Anhänger*innen, dass kein Wort davon wahr sein kann. Je größer der Druck von außen wird, je unanfechtbarer die Vorwürfe, umso näher rückt man bei connect zusammen.

Connect erzählt eine spannende Geschichte, wenn auch keine ganz neue. Sie ist eng an dem, was man in ähnlicher Form vielleicht nicht unbedingt als Roman, aber doch als Erfahrungsbericht schon irgendwie kennt. Man kann die Geschichte als Warnung lesen, aber auch als Möglichkeit, sich selbst und die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen. Der Einstieg bei connect ist schon sehr nett und weich – wie weit man selbst mitgehen würde, ist schon eine Überlegung wert.


tl;dr: Stringent konstruierte und leicht lesbare Kult-Einstiegs-Geschichte ohne ganz große Überraschungen, aber aus einer interessanten Perspektive.


Thea Mengeler: Connect. Leykam 2022, 304 Seiten.

Das Zitat stammt von S. 81.

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