In der rumänischen Stadt Iași, die in den 1950ern ein ausgesprochen tristes Bild abgibt, kommt eines Tages ein Mann an, dem man ansieht, dass die letzten Jahre hart für ihn waren. Er schleppt sich bis vor die Tür des Krankenhauses und bricht dort zusammen. Papiere hat er nicht dabei, er weigert sich, zu sprechen und augenscheinlich kann er weder lesen noch schreiben. Eine Krankenschwester beschließt, ihn Ioan zu nennen, nach ihrem Sohn, der nie aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Als ihre Kollegin Safta von dem geheimnisvollen Patienten hört, ahnt sie gleich, dass es Augustin ist und dass er hier ist, weil er nach ihr gesucht hat.
Ihr Verdacht bestätigt sich. Als Kinder haben Safta und Augustin viel Zeit miteinander verbracht. Augustins Mutter war die Köchin von Saftas Familie und als Kinder haben die Gleichaltrigen oft miteinander gespielt und wurden eine Zeit auch gemeinsam unterrichtet, bis man beschloss, dass es sinnlos ist, Augustin etwas beibringen zu wollen. Er ist seit seiner Geburt gehörlos und die Lehrkräfte finden keinen Weg, mit ihm zu kommunizieren. Die unbeholfenen Versuche, ihm dooch noch das Sprechen beizubringen, scheitern allesamt. Schließlich findet er selbst einen Weg, sich der Welt mitzuteilen, indem er zeichnet. Mit einfachsten Mitteln und selbstgemischten Farben zeichnet er seine Umwelt und erzählt über seine Bilder das, was er in Worten nicht äußern kann. Safta hofft, dass sie ihn auch jetzt wieder über diesen Weg erreichen kann. Sie bringt ihm Papier und Stifte, doch zunächst rührt Augustin nichts davon an. Sie versucht, Augustins Mutter oder überhaupt jemanden in der alten Heimat Poiana zu erreichen, aber keiner ihrer Briefe wird beantwortet.
„There has been so much between Poiana and now. An intervening life lived in tents and hospitals and makeshift barracks and later in rooms in cities that despite their apparent permanence had the same hard transitions to them.“
Die Begegnung mit dem alten Kindheitsfreund lässt Erinnerungen wiederkommen, besonders an die Zeit vor dem Krieg, an den letzten schönen Sommer, den Safta noch in Poiana verbringen konnte und in dem sie sich nicht vorstellen konnte, was die nächsten Jahre für sie bringen würden. Die Geschichte wird in verschiedenen Strängen erzählt: Augustins Aufenthalt in Iași, Saftas Erinnerungen an die Kindheit bis zum Kriegsbeginn und Augustins Erinnerungen an die Ereignisse, die sich nach Saftas Weggang in Poiana ereignet haben. Durch Saftas Zugehörigkeit zu einer reichen Familie und Augustins Status als unehelicher Sohn der Köchin bringen beide Charaktere ganz unterschiedliche Blickwinkel in die Geschichte.
Aus den kurzen Episoden, die abwechselnd erzählt werden, ergibt sich nach und nach das Bild einer zerstörten Idylle. Als Leserin ist man dabei Safta meistens einen Schritt voraus, denn die hat nun wirklich keine Ahnung, wie es in Poiana weitergegangen ist. Sie wird es erst ganz am Ende erfahren, während Augustins Passagen das alles schon erzählt haben. Der Roman droht zunächst in eine angekitschte Erinnerungs-Reise in eine verklärte Kindheit zu werden, fängt sich aber sehr schnell. Painter of Silence ist eine stimmig konstruierte Erzählung über Rumänien im Zweiten Weltkrieg und die Zeit unmittelbar danach. Der fast durchweg gelungene Aufbau tröstet dann auch darüber hinweg, dass manche Charaktere doch recht eindimensional geraten. Nur das Ende meint es etwas zu gut mit den Charakteren. Da passt dann eins so sehr zum anderen, alle Konflikte werden so wunderbar gelöst, dass es doch beinahe wieder kitschig wird.
Georgina Harding: Painter of Silence. Bloomsbury 2012, 312 Seiten.
Das Zitat stammt von S. 110.
Mit diesem Roman war Harding 2012 auf der Shortlist für den Orange Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des Leseprojekts Women’s Prize for Fiction.