Mehr als zehn Jahre ist es her, dass Rafael Horzon in Das weiße Buch seine Lebens- und Schaffensgeschichte aufgeschrieben hat. Mehr als zehn Jahre, in denen einiges passiert ist und ebenfalls erzählt werden soll, so zumindest denkt Horzon es sich und fordert bei Suhrkamp, die nur auf diesen neuen Bestseller warten, einen fünfstelligen Vorschuss ein, den er nicht bekommt. Doch der wäre dringend nötig, denn die ganze Horzon GmbH schrammt, trotz überaus erfolgreicher Möbelsparte, immer wieder knapp an der Insolvenz vorbei.
Horzon macht sich also ans Werk und kommt keine Seite weit voran. Über Frauen und Sex solle er schreiben, rät ihm ein Freund, das sei eine Nobelpreis-Garant. Doch in Horzons Leben gibt es keine Frauen und ausdenken will er sich nichts. Er hält sich für völlig fantasielos und will außerdem kein Schriftsteller sein, sondern Autor. Da verbietet sich alles, was nicht Fakt ist.
Fakt ist, dass Horzon in den zwölf Monaten, von denen das Buch handelt, viel Zeit mit Freunden verbringt, auf diversen Partys in diversen Galerien ist und das Deutsche Zentrum für Dokumentarfotografie eröffnet, in dem er zunächst mit dem Verkauf von großformatigen Teleskop-Aufnahmen Geld verdienen will. Fakt ist auch, dass in diesen zwölf Monaten Carl Jakob Haupt stirbt, der einer seiner engsten Freunde war. Mit 34 starb Haupt an Magenkrebs und die Szenen in denen Horzon seine letzten Monate beschreibt, sind unwahrscheinlich rührend, umso mehr da sie in so krassem Gegensatz zur hedonistischen Feierei stehen, die sonst den Grundton des Romans vorgibt.
„Literatur ist langweilig. Kunst ist langweilig. ALLES ist langweilig.“
Ansonsten knüpft das Buch da an, wo Das weiße Buch aufgehört hat, selbst in der Gestaltung. Nimmt man den bunt schillernden Umschlag ab, bleibt darunter ein völlig weißes Buch. Horzon und seine Freunde ziehen durch Berlin, setzen gare und halbgare Projekte um und interessieren sich wenig für das, was man im allgemeinen als geregelten Broterwerb ansehen würde. Und für Kunst auch nicht, Kunst will Horzon auf keinen Fall machen. Christian Kracht ist nicht mehr dabei, dafür Timon Karl Kaleyta. Am Ende hat Horzon immer noch kein Buch geschrieben, aber zumindest den Entschluss gefasst, ein Buch darüber zu schreiben, wie er das ganze Jahr über kein Buch geschrieben hat, obwohl er es wollte. Die hippe Berliner Kunst- und Design-Bubble verlässt der Text nicht. Horzon punktet mit Überdrehtheit und Absurdität, kommt aber nicht an den Charme von Das weiße Buch heran. Eine gewisse Erdung erfährt der Text durch die Szenen, die sich im Kontext von Carl Jakob Haupts Erkrankung und Tod abspielen. Ohne die wäre kaum ein Unterschied zum Vorgänger erkennbar, außer, dass weniger passiert.
Rafael Horzon: Das neue Buch. Suhrkamp nova 2020. 303 Seiten.
Das Zitat stammt von S. 210.