Der Quell der Hoffnung – „Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen“ von Janine Adomeit

Der mondäne Kurort Villrath mit seinem schicken Kurhaus, dem gepflegten Park und dem weitläufigen Boulevard war über Jahrzehnte ein gefragter Urlaubs- und Erholungsort. Eine sprudelnde Heilquelle spülte Touristen in den Ort, versprach den Gästen Linderung diverser Leiden und Villrath volle Kassen. Davon ist nichts mehr übrig geblieben. Ein Erdbeben hat vor fast zwanzig Jahren die wertvolle Quelle zum Versiegen gebracht und mit dem Wasser blieben bald auch die Besucher aus. Nun dämmert der Ort trostlos vor sich hin, die Schaufenster ehemals exklusiver Boutiquen sind vernagelt und mit Graffiti besprüht. Auch Vera leidet unter der Situation. Früher hat sie eleganten Damen die Haare frisiert, nun betreibt sie das „Stübchen“ wo sie Mittagstisch und Feierabend-Bier verkauft, das eigene Elend in Jägermeister ertränkt und ihrem Traum vom eigenen Friseur-Salon nachtrauert.

Doch unerwartet gibt es Hoffnung: Als im nahen Wald eine neue Bahntrasse gebaut werden soll, fängt die Quelle nach einer Sprengung plötzlich wieder an, zu sprudeln. Wie ein fetter, silberner Aal ergießt sich ein neuer Quell der Hoffnung in Richtung Villrath. Alle sind ganz aus dem Häuschen und machen große Zukunftspläne, als die Realität ihnen einen harten Dämpfer verpasst. Die Bahn ist gerne bereit, woanders zu bauen, aber nur, wenn die Stadt Villrath die Mehrkosten trägt. Und das ist ganz unmöglich, leer wie die Gemeindekasse mittlerweile ist. Aber so schnell gibt Vera nicht auf. Damit sie endlich dem verhassten Stübchen Lebewohl sagen kann, legt Vera sich richtig ins Zeug.

Adomeit bevölkert den kleinen Ort mit einer Menge skurriler Figuren. Veras Sohn, der von der großen Liebe und einem Motorrad träumt, sein zwielichtiger väterlicher Freund Harry, der ihm merkwürdige Jobs verpasst, Kramp, der versucht, die Lücke, seine Frau hinterlassen hat, mit Katzen zu füllen – sie alle verpassen Villrath einen eigenen Charme. Gleichzeitig kann man sich kaum vorstellen, dass diese Menschen von jetzt auf gleich ihr Leben auf links krempeln und mit Begeisterung anspruchsvolle Gäste empfangen wollen.

Der Roman gibt sich alle Mühe, mit der Schrulligkeit seiner Figuren zu punkten. Das ist auch die einzige Chance, denn die Geschichte ist nun nicht besonders mitreißend, wenn auch ganz charmant erzählt. Stilistisch gibt es nichts zu meckern, aber man fragt sich doch zwischendrin, wo der Text eigentlich hin will und was er erzählen will. Jede Figur bringt ihren eigenen Konflikt und ihren eigenen Traum mit, alle kommen mal zu Wort. Im totgesagten Villrath ist so viel los, ereignen sich so viele kleine und große Geschichten, dass man manchmal gar nicht mehr weiß, wo man zuerst hingucken soll. Zusätzlich zu den Bürger*innen der Stadt gibt es draußen im Wald auch noch Protestcamp, das gegen die Bahntrasse vorgehen will und zwar Aktualität, aber auch eben noch einen Schauplatz in den Roman trägt. Der Fokus des Romans wechselt so oft, dass er irgendwann gänzlich verloren geht.

„Sie wusste, wie eine Chance aussah, sich anfühlte, roch, sie hatte zu lange keine mehr gehabt.“

So tritt dann auch das ganze Unterfangen ganz schön auf der Stelle und eine Figurenentwicklung ist nicht feststellbar. Selbst Vera, die endlich ihren großen Traum zum Greifen nah sieht, kommt nicht so richtig in die Gänge. Zwar hat sie immerhin ein Buch darüber bestellt, wie man einen Friseursalon führt, guckt aber kaum rein. Es ist ihr auch eigentlich zu kompliziert mit den ganzen Zahlen. Ähnlich träge sind auch die übrigen Charaktere. Ganz Villrath ist in einen dösigen Mittagsschlaf gefallen, aus dem keine Quelle der Welt es noch aufwecken kann. Auf einen echten Durchbruch wartet man auf jedem der zahlreichen Schauplätze vergebens. Gleich der hoffnungsspendenden Quelle in seinem Zentrum plätschert der Roman dahin. Für Entspannung sorgt er möglicherweise auch noch, mehr dann aber auch nicht.


Janine Adomeit: Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen. dtv 2021, 429 Seiten.

Das Zitat stammt von S. 161.

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