Mit tausend Schiffen sollen die Griechen einst ausgerückt sei, um die schöne Helena aus den Armen ihres trojanischen Entführers zu retten und nach Hause zu ihrem rechtmäßig angetrautem Ehemann zu bringen. Tausend Schiffe, die kampferprobte Männer an Land spuckten, um über Jahre die Stadt zu belagern und die Bevölkerung zu zermürben. Ihre Taten wurden in Epen besungen, in Kunstwerken verewigt und sind noch dreitausend Jahre später Schulstoff.
Doch was wurde aus jenen, die nicht mit ausrückten? Die zu Hause blieben, sich nicht ins Schlachtengetümmel stürzten, stattdessen Wunden pflegten, Essen kochten, Kinder gebaren? Was ist mit den Ehefrauen, Töchtern, Sklavinnen der tapferen und vielbesungenen Helden? Diese Frage stellt sich auch Natalie Hayes und beantwortet sie gleich in A Thousand Ships.
Den Roman widmet sie den Frauen Trojas und Griechenlands, die ansonsten in der Mythologie zwar vorkommen, aber im Regelfall nur kleine und oft sehr passive Rollen spielen. Haynes schaut sich diese Frauen genauer an und stattet sie mit mehr Tiefe aus, mit Emotionen und Motiven in ihrem Handeln. Sie holt sie aus ihrer Rolle als Statistinnen heraus und stellt klar, dass der sagenumwobene Krieg um Troja keine reine Männersache war. Auch, wenn die Frauen in aller Regel nicht auf dem Schlachtfeld zu finden waren, beeinflusste der Krieg ihre Leben doch massiv und unveränderlich.
So unterschiedlich die Frauen sind, so unterschiedlich sind auch ihre Geschichten. Einige von ihnen sind nicht einmal sterblich, einige sind mit erstaunlichen Fähigkeiten ausgestattet, die einen sind konfliktfreudig, andere wollen nur möglichst ungesehen durchkommen. Haynes erzählt ihre Geschichten nicht als durchgehenden Roman, sondern springt zwischen den einzelnen Figuren und erzählt jeweils nur kurze Episoden. Dennoch entsteht so ein zusammenhängendes Bild des Krieges, vom auslösenden Streit zwischen Aphrodite, Hera und Athene, wer die schönste von ihnen sei, bis zur Heimkehr des verirrten Odysseus zwanzig Jahre nachdem die letzte Schlacht geschlagen ist. Die Männer rücken dieses mal in den Hintergrund. Sie bleiben flache Figuren ohne viel Charakter, definiert oft vor allem über ihr nicht immer attraktives Äußeres. Haynes bleibt eng an den Quellen, denn so ganz unbesungen waren die Frauen des Altertums ja nun auch nicht, zumindest nicht die von höherer Geburt. Die weniger gut gestellten Frauen, die auch in Troja schon nichts zu melden hatten, die Kammerzofen und Ammen, die Köchinnen und Schäfersfrauen finden kaum eine Erwähnung. Ob sie es lebend aus der brennenden Stadt geschafft haben, ob sie ihre Kinder retten konnten, wessen Sklavin sie werden – man erfährt es nicht. Die, deren Stammbaum man nicht kennt, deren Männer und Söhne aber gleichwohl auf dem Schlachtfeld gestorben sind, bleiben weiter im mythischen Dunkel.
„She isn’t a footnote, she’s a person. And she – all the Trojan women – should be memoralized as much as any other person. Their Greek counterparts, too.“
Seinem Anspruch, den trojanischen Frauen eine Stimme zu geben, wird der Roman in diesem Punkt nicht gerecht. Es sind in erster Linie die trojanischen Prinzessinnen und die griechischen Königinnen, die hier zu Wort kommen. Sie werden dadurch natürlich nicht uninteressanter. Haynes verbindet die einzelnen Geschichten auf unerwartete Art miteinander und lässt aus den vielen Stimmen eine harmonische Erzählung entstehen.
tl;dr: Haynes Roman dreht sich statt um die Männer des trojanischen Krieges um ihre Frauen, Witwen und Sklavinnen. Das Romanpersonal setzt sich aus Altbekannten zusammen, Haynes überzeugt dabei aber mit einigen kompositorischen Elementen und überraschenden Ideen.
Natalie Haynes: A Thousand Ships. Mantle 2019, 345 Seiten. Eine deutsche Übersetzung ist bisher nicht angekündigt.
Das Zitat stammt von S. 109.
Haynes war mit diesem Roman 2020 auf der Shortlist des Women’s Prize for Fiction. Dieser Beitrag ist Teil des gleichnamigen Leseprojekts.
Hoffentlich die Autorin auch bei Lysistrata vorbei geschaut. Das Thema Frauen zu Hause und die Männer im Krieg war den Griechen ja zumindest eine Komödie wert.
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In diesem hier zumindest nicht! Aber Haynes hat diverse Bücher zu dem Themenkomplex geschrieben – möglicherweise taucht sie an anderer Stelle auf.
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